Kolumne
Unterstützung für die Mitbestimmung aus ungewohnter Ecke – von konservativen US-Republikanern
„Project 2025“ – eine rechte Blaupause für Donald Trumps zweite Amtszeit im Weißen Haus – offenbart eine Spaltung unter den US-amerikanischen Konservativen, die über die beste Arbeitspolitik uneins sind. Jüngere Konservative loben die Mitbestimmung und Betriebsräte. Bietet sich hier eine Chance für Deutschland, neue transatlantische Gesprächspartner zu finden?
Der Wahlkampf für die US-Präsidentschaftswahlen ist in vollem Gange, und wir dürfen uns auf weitere Überraschungen einstellen. Eine solche völlig unerwartete Entwicklung ist, dass plötzlich Unterstützung für die Mitbestimmung und Betriebsräte deutscher Art aus einem Lager kommt, von dem man es am wenigsten erwartet hätte – von einigen konservativen Republikanern.
In Vorbereitung auf den Wahlkampf hat die ultrakonservative Heritage Foundation ein 900-seitiges Dokument mit dem Titel Project 2025 ausgearbeitet. Es beinhaltet ein rechtes Manifest, das die Politiken für Donald Trumps Wiedereinzug ins Weiße Haus darlegt. Project 2025 ist eine ehrgeizige Blaupause zum Umbau der Bundesregierung und ihrer Dutzenden von Verwaltungsbehörden mit dem Ziel, die Vorherrschaft des neokonservativen Kurses für das nächste Jahrzehnt zu zementieren.
Der Großteil von Project 2025 ist beunruhigend, denn das Manifest fordert rückständige Politiken wie die Abschaffung des Bildungsministeriums und der Federal Reserve (Zentralbanksystem der USA), eine „bibelgestützte Auffassung der Familie und Gesellschaft“, weitere Einschränkungen der Abtreibung und die Lockerung des Arbeitsrechts, um jungen Erwachsenen mit Zustimmung ihrer Eltern die Möglichkeit zu geben, in „gefährlichen Berufen“ zu arbeiten. Das Manifest, das viele knallrote Linien der US-amerikanischen politischen Tradition überschreitet, fordert nicht nur die Politisierung des Justizministeriums, sodass der Generalanwalt Gegner*innen des Präsidenten angreifen kann, sondern auch des unparteiischen Beamtenapparats, der dem Präsidenten die Treue halten solle. Dieser Schritt würde zur Wiedereinführung eines Klientelsystems führen, das vor über 150 Jahren gesetzlich verboten wurde. An vielen Stellen liest sich Project 2025 wie ein mittelalterliches Programm, das bei Frauen- und Menschenrechten die Uhr zurückdreht.
Arbeitnehmerfeindliche Gesetzgebung unter einer zweiten Trump-Administration
Project 2025 sieht für das Arbeitsministerium und Arbeitnehmer*innen vor, die Durchsetzung wichtiger Arbeitsgesetze zum Mindestlohn, zur Vergütung von Überstunden, Kinderarbeit, der gewerkschaftlichen Vereinigungsfreiheit, zum Tarifverhandlungsrecht und Recht auf kollektive Arbeitskampfmaßnahmen, wie Streiks, aufzuheben. Das würde viele der wichtigsten Arbeitsgesetze der letzten 75 Jahre aushöhlen. Project 2025 will außerdem Rechtsvorschriften aus den Amtszeiten von Obama und Biden rückgängig machen, die die in der Fastfood-Branche weitverbreitete Ausbeutung von Beschäftigten eindämmt, indem Holdingunternehmen wie McDonald’s und Burger King gesamtschuldnerisch für Verstöße gegen geltendes Arbeitsrecht haften, die einzelne Franchisenehmer unter der Marke des Konzerns begehen. All diese Pläne sind Teil einer verklärenden „Zurück in die Zukunft“-Philosophie, die auf ethnischer Herkunft, Geschlecht, Religion und der Ablehnung von Abtreibung basiert.
Viele Vorschläge von Project 2025 zielen eher darauf ab, eine nostalgische Vorstellung von weißer männlicher Vorherrschaft und christlichem Nationalismus wiederherzustellen, als tatsächlich den Arbeitnehmer*innen zu helfen.
Es ist fraglich, ob viele der 161 Millionen erwerbstätigen Amerikaner*innen, die mit hohen Preisen, zu geringen Löhnen und Ungleichheit in erschreckendem Ausmaß konfrontiert sind, nachts wachliegen und sich über Fragen wie ethnische Herkunft, Geschlecht oder Religion am Arbeitsplatz sorgen. Dies gilt umso mehr, da insgesamt 39 Prozent von ihnen Minderheiten angehören und 55 Prozent Frauen sind. Viele der die Erwerbsarbeit betreffenden Vorschläge von Project 2025 zielen eher darauf ab, eine nostalgische Vorstellung von weißer männlicher Vorherrschaft und christlichem Nationalismus wiederherzustellen, als tatsächlich den Arbeitnehmer*innen zu helfen.
Spaltung innerhalb des konservativen Lagers
Und dann wird es interessant. Beim Thema Arbeitnehmerrechte und -gesetze hat sich zuletzt eine Gruppe jüngerer Konservativer abgespalten, die eine relativ neue Organisation unter dem Namen American Compass ins Leben gerufen haben. Ihr Gründer Oren Cass ist Ökonom und hat in konservativen Kreisen für Furore gesorgt, weil er die fundamentalistisch-neoliberale Politik des freien Markts hinterfragt, die den Kern des Konservatismus bildet – vor allem des Konservatismus Trumpscher Prägung, der nach der Devise „Make America Great Again“ (MAGA) verfährt. Ihre Handschrift findet sich deutlich in Teilen des Dokuments, wobei Cass als einer der Co-Autoren des Kapitels zum Arbeitsministerium genannt wird.
Project 2025 beinhaltet einige interessante Ansätze, wie die Forderung nach besserer Kinderbetreuung und einem „Ruhetag“ am „Sabbat“, der entweder als Sonntag oder anderer Tag „aufrichtiger Glaubensausübung“ definiert wird. Dies erscheint eine gute Idee für die „No Vacation American Nation” ("Urlaubslose amerikanische Nation"), denn die Beschäftigten in den USA haben weniger Urlaubs- und Feiertage als in Deutschland und anderen entwickelten Ländern.
Mitbestimmung auf konservative Art?
Das Kapitel des Manifests, das sich mit Arbeitnehmerrechten befasst, bietet packenden Lesestoff. Project 2025 fordert eine „nichtgewerkschaftliche Mitsprache und Vertretung der Beschäftigten“ und die Schaffung von „Organisationen zur Arbeitnehmerbeteiligung“ (Employee Involvement Organizations). Gemeint ist damit eine US-amerikanische Version der deutschen Mitbestimmung, bei der „Betriebsräte“ und die Arbeitnehmervertretung in den Unternehmensgremien den Beschäftigten Anhörungsrechte gewähren und ihnen helfen, ihren Einfluss geltend zu machen – über die gewerkschaftlichen Möglichkeiten hinaus.
Ein weiterer Vorschlag sieht vor, den Zugang der Arbeitnehmer*innen zu Belegschaftsaktien (Employee Stock Ownership Plans – ESOPs) auszubauen, damit die Beschäftigten zu Miteigentümer*innen der Firma werden, in der sie arbeiten und eine Vergütung erhalten, die über ihr Entgelt und Lohnnebenleistungen hinausgeht. Aktuell haben 14,7 Millionen US-amerikanische Beschäftigte Belegschaftsaktien in 6.300 ESOPs, was fast der Anzahl der Gewerkschaftsmitglieder in den USA entspricht. Dank dieser Aktienprogramme erhalten sie Mitarbeitervergünstigungen im Wert von 2,1 Billionen US-Dollar. Angesichts von deren jahrzehntelangem Erfolg ist es verwunderlich, dass weder Republikaner noch Demokraten bisher mehr unternommen haben, um diese Programme zu fördern.
Des Weiteren fordert das Papier den Kongress auf, einen „sicheren Hafen“ für Arbeitgeber zu schaffen, der sie vor Strafen für die Falscheinstufung von Arbeitnehmer*innen schützt, wenn sie Selbständigen (einschließlich Plattformarbeitenden, wie Uber-Fahrer*innen) ein gewisses Sicherheitsnetz mit Leistungen wie einer Krankenversicherung und Altersvorsorge bieten. Project 2025 zeigt im Ansatz die Einsicht, dass viel mehr unternommen werden muss, um die Erwerbsbevölkerung auf die unmittelbare Zukunft mit einem deutlich höheren Anteil von Plattform- und Telearbeit vorzubereiten. Diese Forderungen der jungen US-amerikanischen Konservativen nach Mitbestimmung, Betriebsräten, ESOPs und anderen arbeitnehmerfreundlichen Innovationen stehen noch ganz am Anfang und müssen viel detaillierter ausgearbeitet werden, bevor man sagen kann, wie aufrichtig oder wirkungsvoll diese Vorschläge wirklich sind. Dennoch stellen sie in der politischen Landschaft der USA eine bemerkenswerte Entwicklung dar und verdienen, weiter beobachtet zu werden.
Dies spiegelt die sehr realen Debatten innerhalb des konservativen Lagers über die besten Ansätze zur Lösung von Arbeitnehmerfragen wider.
Interessanterweise präsentiert Project 2025 an verschiedenen Stellen „eine alternative konservative Sicht dieser Fragen“, in denen abweichende konservative Weltanschauungen und politische Ziele zum Ausdruck kommen. Dies spiegelt die sehr realen Debatten innerhalb des konservativen Lagers über die besten Ansätze zur Lösung von Arbeitnehmerfragen wider. William Galston vom Brookings Institute bezeichnete Oren Cass’ Buch „The Once and Future Worker“ als „willkommenen gemeinsamen Nenner für politische Debatten über parteipolitische und ideologische Gräben hinweg“. Leider wird diese vernünftige Sicht einer (wenn auch wachsenden) Minderheit innerhalb des konservativen Lagers noch immer von der vorherrschenden Ideologie mit ihrer Fixierung auf ethnische Herkunft, Geschlecht und Nationalismus an den Rand gedrängt.
Regulierung des Big-Tech-Sektors in Project 2025
Darüber hinaus enthält Project 2025 Kapitel zur Federal Trade Commission (Bundesbehörde für die Kartellkontrolle und den Verbraucherschutz) und zur Federal Communications Commission (Bundesbehörde zur Regelung der Kommunikationswege). Diese legen ein weiteres interessantes weltanschauliches Spannungsfeld im konservativen Lager frei, das die Regulierung von Großkonzernen und übermäßiger Wirtschaftsmacht betrifft. Diese beiden Agenturen regulieren die Technologieriesen, einschließlich Internet, Radio, Fernsehen, Mobilfunk, Breitbandfunk, Kabel und Satellit, und kämpfen mit verschiedenen Gerichtsklagen an vorderster Front für die Zerschlagung von Monopolen. So erklärte zum Beispiel jüngst ein Bundesgericht in einem wegweisenden kartellrechtlichen Urteil Google zum „Monopolisten”, während weitere Verfahren gegen Meta/Facebook, Amazon und Apple noch anhängig sind. Project 2025 hat mit seinen nachfolgend genannten Forderungen seltsame gemeinsame Nenner mit progressiven Denker*innen:
- Bessere Transparenzregeln für Big-Tech-Konzerne im Zusammenhang mit Verstößen durch Manipulation von Suchergebnissen
- Befähigung der Verbraucher*innen, ihre eigenen Content-Filter zu wählen, anstatt Facebook die Auswahl treffen zu lassen
- Gewährleistung eines besseren Kinderschutzes, um ihren Zugriff auf soziale Netzwerke zu verhindern
Das Project 2025 der Konservativen beleuchtet, wie profitgierige US-amerikanische Technologiekonzerne die Entwicklung chinesischer Technologien (einschließlich von Überwachungssystemen) als Preis für den Zugang zu chinesischen Märkten gefördert haben. Aber es schwankt zwischen dem üblichen rechten China-Bashing und einer realistischeren Einschätzung Chinas. Nirgends fordert Project 2025 zudem eine ernsthafte Durchsetzung antimonopolistischer Regeln, wie die Einschränkung oder enge Überwachung von Fusionen und Übernahmen, ganz zu schweigen von der Zerschlagung monopolistischer Technologiekonzerne, die einen Wettbewerber nach dem anderen schlucken.
Es sind zaghafte, aber ermutigende Signale, denn jahrzehntelang waren die US-amerikanischen Konservativen vehement gegen solche Maßnahmen, die als 'schleichender Sozialismus' betrachtet wurden.
Project 2025 bekommt aktuell viel Aufmerksamkeit, wobei das Kampagnenteam von Kamala Harris es verreißt und versucht, es Trump anzuhängen, während sich Trump davon distanziert – was schwer möglich ist, da die Autoren zu Trumps engstem Beraterkreis gehören. Für die deutsche Leserschaft ist an diesen Teilen von Project 2025 interessant, dass in diesem Dokument aus dem konservativen Lager die Mitbestimmung, Betriebsräte und andere an deutsche Strukturen angelehnte Vorschläge in den Blickpunkt rücken. Innerhalb des konservativen Lagers gibt es eine gewisse weltanschauliche Debatte über die beste Herangehensweise an Gewerkschaften, die Stärkung der Erwerbstätigen im digitalen Zeitalter und Regulierung von Big-Tech-Unternehmen. Es sind zaghafte, aber ermutigende Signale, denn jahrzehntelang waren die US-amerikanischen Konservativen vehement gegen solche Maßnahmen, die als „schleichender Sozialismus“ betrachtet wurden.
Trotz seines Pomps und seiner beängstigenden Exzesse bietet Project 2025 externen Beobachter*innen Gelegenheit, einen Blick hinter die Kulissen des konservativen Lagers mit seinen weltanschaulichen Gräben zu erhaschen. Jüngere Konservative versuchen, einen neuen Weg einzuschlagen, der deutschen Gewerkschaften und ihren Verbündeten vielleicht einen Ansatzpunkt liefert, mit einer neuen Generation der amerikanischen Konservativen ins Gespräch zu kommen, die für Instrumente der betrieblichen Demokratie offen ist, wie Mitbestimmung, Betriebsräte und Belegschaftsaktien.
Englische Fassung der Kolumne
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