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Kolumne

Arbeitnehmer­genossenschaften für das digitale Zeitalter

In den USA versucht eine neue Bewegung, die genossenschaftlichen Grundsätze in der Online-Welt zu etablieren. Internetbasierte (Plattform-) Genossenschaften und Freiberufler-Genossenschaften könnten zu wichtigen Instrumenten werden, um in der digitalen Zukunft Arbeitnehmerrechte zu bewahren.

Das digitale Zeitalter verändert die Arbeitswelt in nie dagewesenem Ausmaß. Die neuen digitalen Technologien haben das Potenzial, das Arbeitsleben zu verbessern – oder bestehende Trends hin zu größerer Ungleichheit, Konzernmonopolen und Vormachtstellungen weiter zu verschärfen. Welches Zukunftsszenario wird sich durchsetzen? Diese Frage entscheidet sich in den nächsten fünf bis fünfzehn Jahren.

Deutschland spielt bei der Gestaltung von Wirtschaftsstrategien zur Förderung eines sozialeren Europas bereits eine Vorreiterrolle. Zu diesen Strategien gehören die Mitbestimmung, berufliche Aus- und Weiterbildung, Jobsharing und Kurzarbeit sowie Arbeitnehmer-, Erzeuger-, Konsum- und Wohnungsgenossenschaften. Die Frühphasen der deutschen Arbeitnehmerbewegung waren anfänglich durch den Dreiklang aus Gewerkschaften, politischen Parteien und Genossenschaften geprägt. Aber das digitale Zeitalter verlangt die Modernisierung alter Strategien und neue Ansätze.

Warum sollte eine Fahrergenossenschaft eine Plattform nicht besser führen können als Uber?

In den Vereinigten Staaten ist eine neue Bewegung entstanden, die versucht, die genossenschaftlichen Grundsätze in der Online-Welt zu verankern. Während sich die digitale Ökonomie und der Plattformkapitalismus als jüngste Verwerfungen der kapitalistischen Wirtschaftsentwicklung abzeichnen, ist eine Parallelbewegung entstanden, die dieser neuen Welt genossenschaftliche Strukturen und Philosophien bringen möchte. Sie nennt sich „Plattform-Genossenschaftswesen“ und möchte Genossenschaftsgrundsätze mit den Technologien des 21. Jahrhunderts verbinden.

Es gibt keinen Grund, warum eine Fahrergenossenschaft die Fahrdienst-Vermittlungsplattform von Uber nicht besser führen können sollte; oder warum ein Reinigungsdienst auf Abruf wie Handy oder ein Wohnungsvermittlungsdienst wie Airbnb sich nicht in der Hand und im Betrieb der Gastgeber befinden sollte, die den Großteil des Werts für diese Unternehmen erwirtschaften. Das Internet senkt zum Teil die Anfangskosten neuer Onlinedienste und -Plattformen, sodass solche Dienste theoretisch zu überschaubaren Kosten gegründet und dann von demokratisch kontrollierten und geführten Strukturen besser betrieben werden können.

Professor Trebor Scholz, ein deutschstämmiger Akademiker an der New School for Social Research in New York City, gehört zu den führenden Köpfen der neuen Bewegung für Plattformgenossenschaften. Zusammen mit anderen hat er das Platform Cooperative Consortium gegründet, das die Bewegung online unterstützt. Prof. Scholz erklärt: „Ganz gleich, ob es um sichere Arbeitsplätze, Mindestlöhne, Sicherheit, Krankenversicherung oder Rentenvorsorge geht – keines dieser Themen kann ohne eine grundlegende Neuausrichtung der Arbeitswelt und ohne strukturelle Veränderungen gelöst werden.“ Plattformgenossenschaften werden seiner Meinung nach die „Solidarität stärken, Eigentumsverhältnisse verändern und demokratische Führungsstrukturen schaffen.”

Die Schaffung einer Alternative für Verbraucher, die die großen gewinnorientierten Konzerne unter Marktdruck setzt, könnte für ein besseres Geschäftsgebaren sorgen. Ein Netzwerk von Plattformgenossenschaften könnte im digitalen Zeitalter eine Renaissance der Genossenschaften bewirken und eine neue Dynamik auslösen, die zu arbeitnehmerfreundlichen Unternehmen führt. Vielleicht können einige dieser neu entstehenden Firmen den Konzernen aus dem Silicon Valley eines Tages echte Konkurrenz machen. Es sind bereits eine Reihe von Plattformgenossenschaften entstanden, zum Beispiel:

Stocksy United, eine wirtschaftlich erfolgreiche Bildagentur-Plattform im kollektiven Eigentum von fast 1.000 Berufsfotografen, die sich das erklärte Ziel gesetzt hat, faire Entgelte zu zahlen und nachhaltige berufliche Möglichkeiten für ihre Mitglieder zu schaffen;

Green Taxi Co-op, eine 800-köpfige Fahrdienstgenossenschaft mit Sitz in Denver, Colorado, die 2015 ihre eigene App einführte und inzwischen etwa ein Drittel des gesamten Markts im Großraum Denver kontrolliert. Weitere erfolgreiche Taxigenossenschaften in den USA sind Union Cab in Madison, Wisconsin, und Union Taxi in Portland, Oregon. Beispiele aus anderen Ländern sind Coop Taxi in Montreal, Kanada, und COOP Taxi in Seoul, Südkorea.

Up & Go ist eine Online-Plattform in New York City, die es Verbrauchern ermöglicht, Reinigungskräfte bestehender Arbeitnehmergenossenschaften zu beauftragen.

Home Green Home ist eine Arbeitnehmergenossenschaft, die in San Francisco umweltfreundliche Reinigungsdienste anbietet. Die Arbeitnehmer, die gleichzeitig Eigentümer sind, haben an wichtigen Unternehmensentscheidungen und am Gewinn teil und der Einsatz natürlicher, schadstofffreier Reinigungsmittel schützt die Gesundheit der Arbeitnehmer und die Umwelt.

Die unterschiedlichen Genossenschaftsarten haben jeweils eigene Betriebsmodelle, aber verfolgen alle ein ähnliches Ziel – gemeinsame demokratische Führung und Kollektiveigentum des Unternehmens in den Händen der Arbeitnehmer. Scholz hofft, dass durch die Bewegung der Plattformgenossenschaften ein Netzwerk lokalerer Plattformen in kollektivem Eigentum entsteht, das den Verbrauchern, Arbeitnehmern, Erzeugern und Unternehmern alternative Unternehmensformen anbieten kann.

Instrumente zur Lösung von Herausforderungen schaffen

Der kleinen, aber wachsenden Bewegung ist es in den USA gelungen, allmählich die Aufmerksamkeit von Aktivisten, Wissenschaftlern und Stiftungen auf sich zu lenken. Aber eines der Probleme, vor denen Plattformgenossenschaften weiterhin stehen, ist das fehlende Startkapital oder auch spätere Anschlussfinanzierungen, um sich nach einer erfolgreichen Gründung zu entwickeln. Dies gilt generell oft für neugegründete Plattformunternehmen, aber für Plattformgenossenschaften ist es noch schwieriger, da sie es als Teil ihres Leitgedankens ablehnen, Gewinne für Anleger und Aktionäre zu erwirtschaften. Andere Finanzierungsmaßnahmen wie Crowdfunding, philanthropische Investoren und Eigentumsanteile für Arbeitnehmer oder Mitglieder haben sich als unbeständig und unzuverlässig erwiesen.

Die Bewegung der Plattformgenossenschaften versucht, Ressourcen und Toolkits zu schaffen

Für alle Arten internetbasierter Unternehmen ist Startkapital besonders wichtig, um einen attraktiven und reibungslos funktionierenden Internetauftritt, eine effiziente App und je nach Art des Geschäfts ausreichend Kapital für Lagerbestände zu haben. Eine effektive Webseite muss die Produktauswahl durch den Kunden unterstützen und dann die Verbindung zu einer Reihe von Datenbanken herstellen, die alle die Kundenbestellung fehlerfrei und effizient ausführen und zustellen sowie den Bestand dauerhaft überwachen. Die Webseite von Amazon ist benutzerfreundlich und effizient. Wie beim Wirken eines großen Musikers oder Künstlers erscheint ihre Funktion mühelos, ist aber das Ergebnis großen Fachwissens und beträchtlicher finanzieller Investitionen. Im Hintergrund solcher Webseiten laufen viele Prozesse, die für den Nutzer nicht ersichtlich sind, der nur das Frontend der Benutzeroberfläche sieht. Ohne diese eingebetteten Komponenten kann es sein, dass die Dienste und Produkte eines internetbasierten Unternehmens stark eingeschränkt sind, was dem Markenansehen beim Endkunden sowie bei den Erzeugern und Händlern schadet.

Um solchen und anderen Problemen zu begegnen, versucht die Bewegung der Plattformgenossenschaften Ressourcen und Toolkits zu schaffen. Eine Plattform-Genossenschaft namens Start.coop fungiert als Startkapitalgeber und Katalysator für andere Plattformgenossenschaften und bietet Weiterbildung, Mentoren und wichtige Infrastruktur für Start-ups. Das Platform Cooperative Consortium von Prof. Scholz erarbeitet ein „Platform Co-op Development Kit“, das Arbeitnehmergenossenschaften den Weg in die digitale Welt ebnen soll. Mit einer Startbeihilfe von 1 Million US-Dollar  von Google.org (dem wohltätigen Zweig des Unternehmens) ausgestattet, wird das Paket Weiterbildungen, Online-Lehrfilme, Fallstudien von Genossenschaften und soziale Vernetzungsangebote beinhalten, damit interessierte Arbeitnehmer/innen ihre Fähigkeiten erweitern und von den Erfahrungen anderer lernen können. Es soll außerdem fachliche Unterstützung bieten, wie eine Rechtsberatung, die Scholz und seine Kollegen über eine Partnerschaft mit der Harvard Law School aufbauen. Sie soll Arbeitnehmern beim Aufbau ihrer Plattformgenossenschaften Anleitung geben. Arbeitnehmer, die schon als Genossenschaft organisiert sind, können die Angebote nutzen, um eine gute Webseite zu erstellen, damit sie mit ihrem Geschäft als Plattformgenossenschaft online gehen und ihre Dienste im Internet anbieten können.

Die verschiedenen Tools werden im Zuge ihrer Entwicklung eingeführt, aber bereits im Anfangsstadium unterstützen sie verschiedenste Arbeitnehmergruppen bei der Gründung von Genossenschaften und dem Aufbau von Online-Plattformen. Dazu zählt zum Beispiel ein Netzwerk von 3.000 Babysittern in Illinois, das von der Dienstleistungsgewerkschaft Service Workers Union organisiert wird und Hilfe bei der Einrichtung einer Arbeits- und Einkaufsplattform benötigt. Außerdem unterstützt wird eine Gruppe geflüchteter Frauen in Hamburg, die mit Syrerinnen, Albanerinnen und Iranerinnen angefangen hat und eine Plattformgenossenschaft für Kinderbetreuungs- und Pflegedienste anbieten möchte.

Scholz hofft, mit dem Paket eine Reihe von Sektoren zu erreichen, insbesondere die häusliche Pflege und Reinigungsdienste, die stark nachgefragt sind, aber seit jeher schwer gewerkschaftlich zu organisieren sind. „Indem wir diese Arbeitnehmer mit der Online-Ökonomie zusammenführen, helfen wir ihnen, besser untereinander zu kommunizieren“ und ihr eigenes wirtschaftliches Schicksal in die Hand zu nehmen“, sagt Scholz.

Fortschritt und Probleme in Deutschland

Die wachsende Bewegung der Plattformgenossenschaften findet mittlerweile auch außerhalb der USA Nachahmer. Dieses Ökosystem zählt etwa 350 Projekte in über 26 Ländern und 97 Städten, entweder in Form neuer Plattformgenossenschaften oder anderer sie unterstützender Organisationen. 

Deutschland hat sich in Europa zum Schwerpunkt entwickelt. In Deutschland gibt es seit Mitte des 19. Jahrhunderts Genossenschaften und heute gehören fast 20 Millionen Deutsche – ein Viertel der Bevölkerung – einer der etwa 6.000 verschiedenen Genossenschaften an (obwohl die meisten Deutschen sich dessen nicht bewusst sind). Deutschland hat etwa ein Dutzend Plattformgenossenschaften hervorgebracht, darunter eine, die IT-Dienste anbietet, eine Sportgenossenschaft, die Zugang zu Sportstätten bietet, eine andere im Bereich der Finanzdienste und die Leih-Plattform Cosum, die lokal den gemeinsamen Besitz von Dingen ermöglicht. Zu den bekanntesten gehört Fairmondo, ein genossenschaftlicher Online-Händler, der in Berlin als Konkurrenz zu Amazon, Zalando und Etsy und als Online-Börse für „ethische Waren und Dienstleistungen“ entstanden ist. Seit kurzem ist Fairmondo auch im Vereinigten Königreich vertreten. Ein weiteres Beispiel ist Resonate, eine Berliner Genossenschaft in Künstlerhand, die Musik-Streaming anbietet und im Gegensatz zu Diensten wie Spotify und iTunes den Künstlern einen fairen Anteil der Gewinne überlässt.

Bisher fehlt es jedoch an Unterstützung der deutschen Regierung für die Entwicklung von Plattformgenossenschaften. Obwohl die Bundes- und Landesregierungen die Förderung von Start-ups auf ihre Fahnen geschrieben haben, kamen die genossenschaftlich organisierten Gründungen bisher nicht in den Genuss einer solchen. Stattdessen treffen sie beim deutschen Gesetzesgeber auf Unverständnis.

Felix Weth, der Gründer von Fairmondo, berichtet, dass das Genossenschaftsmodell beim Versuch, in Deutschland in die Online-Welt vorzudringen, auf Probleme durch veraltete Gesetzgebung stößt. „Nach deutschem Recht brauchen Genossenschaften von jedem neuen Mitglied ein handschriftlich unterzeichnetes Schreiben“, erzählt er mir bei einem indischen Mittagessen in Berlin-Neukölln. „Man kann nicht einfach online oder per Smartphone Mitglied werden“, und das mindert das Wachstumspotenzial von Genossenschaften deutlich.

Außerdem ist es für Plattformgenossenschaften schwerer, die großzügigen Anschubfinanzierungen der Bundesregierung für Start-ups zu erhalten. „Das Bundeswirtschaftsministerium fördert viele Start-ups“, erklärt Weth, „aber wir haben Mühe, darauf zuzugreifen, weil wir Genossenschaften sind.“

Das ist schade, denn eine Vielfalt konkurrierender Geschäftsmodelle, einschließlich einer stärkeren Unterstützung von Genossenschaften, würde die erfolgreiche Entwicklung dieser Plattformen fördern. Nach Meinung von Weth könnten sich auch die deutschen Gewerkschaften stärker für die Plattformgenossenschaften einsetzen.

„Die Gewerkschaften scheinen nicht zu verstehen, dass es wichtig ist, wer diese Plattformen besitzt und kontrolliert. Sie haben kein Problem mit den großen Plattformkonzernen, solange die Arbeitnehmer ihren Anteil abbekommen.”

Eine neue Bewegung von Plattformgenossenschaften kann Chancen für Wirtschaftsdemokratie und stärkere Arbeitnehmerrechte schaffen

Es steht außer Frage, dass die Eigentumsverhältnisse und Führung dieser großen Plattformen enorme Auswirkungen haben. Aber vielleicht wird sich dies bald ändern. SPD-Parteichefin Andrea Nahles traf sich 2018 mit Prof. Scholz und hielt in der SPD-Zentrale in Berlin eine gemeinsame öffentliche Veranstaltung ab. Nahles betonte, dass sie die Plattformgenossenschaften ausdrücklich unterstütze und die SPD dazu beitragen müsse, sie in Deutschland „genauso zu fördern, wie wir es heute mit normalen Start-ups tun.“ Sie nannte explizit den Aufbau der Plattformgenossenschaft für geflüchtete Frauen in Hamburg als förderwürdiges Pilotprojekt.

Auch die Europäische Kommission könnte Plattformgenossenschaften stärker unterstützen. Es gibt in der EU etwa 250.000 Genossenschaften, die Eigentum von 163 Millionen Bürgern sind (fast ein Drittel der EU-Bevölkerung) und 5,4 Millionen Menschen beschäftigen. Die Kommission hat sich eine ehrgeizige digitale Agenda gesetzt, die auch milliardenschwere Ausgaben für die Anschubfinanzierung von Start-ups und Inkubatoren vorsieht und Investitionen und Entwicklungen im Bereich der künstlichen Intelligenz und des maschinellen Lernens fördern sollen. Aber in ihren Bemühungen um Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit in der „Lissabon-Strategie“ ließ sie sich geradezu besessen von den Werten des Silicon Valley leiten, wo der „Verbraucher Vorrang hat“. Die Verbraucher und Unternehmen sind wichtig, die Arbeitnehmer, Erzeuger, Familien und Gesellschaft aber auch, die andere Werte nähren, wie Demokratie, Rechenschaftspflicht, fairer Wettbewerb und allgemeiner Wohlstand.

Daher sollten die Kommission und auch Deutschland in ihren Wirtschaftsvisionen eine neue Bewegung von Plattformgenossenschaften berücksichtigen, die Chancen für Wirtschaftsdemokratie schaffen sowie Arbeitnehmerrechte, demokratische Eigentumsstrukturen und Kontrolle ausbauen kann. Dies wäre ein Gegengewicht zu Verbraucherrechten und zu Eigentum und Kontrolle in der Hand der Konzerne.

Genossenschaften für Selbständige

Neben Online-Plattformgenossenschaften gibt es einen weiteren Genossenschafts-Typus, der heute für prekäre Arbeitnehmer große Relevanz hat. Für Freiberufler und Selbständige könnten Beschäftigungsgenossenschaften (im Englischen „Business and Employment Cooperatives (BEC)) eine wichtige Rolle spielen.

In Frankreich sind sie unter dem Namen Coopératives d’Activités et d’Emploi (CAE) bekannt. Die CAE ist eine Genossenschaft, die selbständigen Arbeitnehmern Unterstützung bei der Ausübung ihres Berufs bietet. Die Mitglieder der CAE vermeiden die Soloselbständigkeit, indem sie (rechtlich betrachtet) abhängig Beschäftigte der Genossenschaft werden und so größere Arbeitnehmerrechte genießen. Die CAE bietet ihren Mitgliedern unter anderem erschwingliche Arbeitsräume, Bürodienstleistungen, Rechnungslegung und Inkasso (bei säumigen Auftraggebern), Unterstützung beim Marketing, günstige Versicherungen und ein kollektives System zur Sicherung staatlicher Kranken- und Sozialversicherungleistungen.

Die CAE agieren fast wie Zünfte, die sich auf ein bestimmtes Handwerk oder einen Sektor spezialisieren.

Da die CAE außerdem als Unternehmensgründungen gelten, haben sie Anspruch auf Beihilfen der französischen Regierung und der EU. Eine solche CAE ist die 2004 in Frankreich gegründete Coopaname, die mehr als 850 Mitglieder hat, darunter Handwerker, Freiberufler und Dienstleister. Es handelt sich um eine Genossenschaft für Soloselbständige und Arbeitnehmer, die in genossenschaftlich organisierten Gruppen arbeiten, und sie unterstützt ihre Mitglieder in den verschiedenen Entwicklungsphasen. Coopaname deckt eine Reihe wirtschaftlicher Bedarfe und Dienste ab und bietet allen Mitgliedern die Möglichkeit der genossenschaftlichen Integration. Ihre Mitglieder erhalten „Teil-Löhne“, die im Verhältnis zu den Einnahmen stehen, die ihr Geschäft erwirtschaftet, sowie Sozialversicherungsleistungen. Sie sind de facto abhängig Beschäftigte der CAE, was die Freiberufler und Unternehmer auf dem Weg zum Erfolg unterstützt, weil sie von gewissen Infrastrukturen und dem Rechtsschutz eines traditionellen Arbeitgebers profitieren. Im Gegenzug erhält die CAE 10% der Bruttoeinnahmen derjenigen, die unter ihrem Dach arbeiten. So können selbständige Unternehmer selbständig arbeiten, ohne auf sich allein gestellt zu sein.“

Das Modell der CAE hat in Frankreich inzwischen Schule gemacht und sich zum nationalen Netzwerk mit 72 lokalen Genossenschaften entwickelt, die über 5.000 Unternehmer beschäftigen. Verschiedenorts agieren die CAE fast wie Zünfte, die sich auf ein bestimmtes Handwerk oder einen Sektor spezialisieren. Beispiele sind Coopénates mit dem Schwerpunkt der häuslichen Pflege, Artenréel für regionale Kunst- und Kulturschaffende und Antigone, die mit unterschiedlichsten selbständigen Gewerken arbeiten.

Der Erfolg und die Verbreitung des CAE-Netzwerks in Frankreich haben in Europa Nachahmer in Form ähnlicher Unternehmer- und Beschäftigungsgenossenschaften gefunden. SMart in Belgien ist eine soziale Genossenschaft für Kreativschaffende im Bereich der gewerblichen Kunst und des Designs. Sie erspart den Mitgliedern den Aufwand, ein Ein-Mann- oder Ein-Frau-Unternehmen zu gründen. Sie bietet Arbeitsräume und Bürodienstleistungen für die Selbständigen, Unterstützung und Weiterbildung durch ein spezialisiertes Beratungs- und Rechtsteam, Rechnungslegung und Inkasso sowie Zugang zu Finanzierungen, technischer Ausstattung und Fahrzeugen. Die Mitglieder von SMart müssen einen Jahresbeitrag von 25 Euro zuzüglich 6,5% jedes Rechnungsbetrags abführen. Die Genossenschaft hat inzwischen zwölf Büros in Belgien und 75.000 Mitglieder und expandiert in ganz Europa mit Büros in Deutschland, Österreich, Frankreich, Ungarn, Italien, den Niederlanden, Spanien und Schweden.

Online-Plattformgenossenschaften und Freiberufler-Genossenschaften ergänzen sich gegenseitig. Wenn sie genug Dynamik entwickeln, könnten sie Freiberufler und Selbständige in die Lage versetzen, ihre wirtschaftlichen Geschicke selbst zu bestimmen und zu steuern. Sie könnten dazu beitragen, die jahrelange Stagnation der Vergütung, die Aushöhlung des sozialen Sicherungsnetzes, den Rückgang der Arbeitsplatzqualität und Unterbeschäftigung zu überwinden, und neue Impulse setzen, die einen breiteren Wohlstand fördern. Deutschland und Europa sollten sich diesen neuen Bemühungen in den USA anschließen und die Wirkung von Genossenschaften sowie ihre Wurzeln in der digitalen Ökonomie stärken.