Toolbox: Innovative BR-Arbeit
Neue Methoden

Darum geht's
Die forcierte Digitalisierung, Automatisierung und Dynamisierung fast aller Unternehmensprozesse verlangen auch von Betriebsräten, in ihrer Arbeit neue Techniken, Instrumente und Methoden anzuwenden.
Einleitung
Dies ist zum einen nötig, da sich die Kommunikationsbedingungen in fast allen Unternehmen grundlegend verändert haben. So ist heute nahezu jeder Arbeitsplatz mit einem Computer verbunden. Auch Tablet und Smartphone gehören inzwischen zum betrieblichen Alltag. Die digitale Kommunikation nimmt einen immer breiteren Raum ein, bei Homeoffice ist sie schon vorherrschend. Damit stellen sich völlig neue Anforderungen an die Kommunikationsarbeit von Betriebsräten. Erwartet wird von ihnen ein wirkungsvoller Umgang mit den neuen digitalen Medien, der es ermöglicht, alle Beschäftigten auch unter den gegebenen Veränderungen zu erreichen, sie umfassend zu informieren, mit ihnen in einen Dialog einzutreten und sie intensiver in betriebliche (oder auch tarifliche) Entscheidungen einzubinden.
Zum anderen tragen betriebliche Umstrukturierungen, beschleunigte Entscheidungsprozesse und die wachsende Komplexität vieler Aufgaben dazu bei, dass auch in die Betriebsratsarbeit mehr Transparenz, Effizienz und Organisationsentwicklung einziehen. In vielen Unternehmen sind Betriebsräte bereits dabei, neue Methoden zu erproben, um untereinander besser kooperieren, Entscheidungen schneller herbeiführen und Aufgaben effizienter wahrnehmen zu können. Dabei geht es ihnen unter anderem darum, das gesamte Gremium oder einzelne Betriebsratsmitglieder stärker zu entlasten, das Wissensmanagement des Betriebsrats zu verbessern oder auch die Nachfolge von Gremienmitgliedern systematisch anzugehen.
Einige nachfolgende Beispiele von Studien, Projekten und Porträts der Hans-Böckler-Stiftung sollen Anreiz geben, die eigene Betriebsratspraxis zu prüfen und Mut machen, Neues einfach mal auszuprobieren.
Professionalisierte Öffentlichkeitsarbeit
Analog und digital kommunizieren

Die Coronapandemie hat der Betriebsratsarbeit in fast allen Unternehmen einen enormen digitalen Schub verliehen. Die Herausforderung bestand nicht nur darin, die Beschäftigten während des Lockdowns auch im Homeoffice wirkungsvoll zu erreichen. Viele Betriebsratsmitglieder selbst arbeiteten ebenfalls vermehrt von zu Hause aus. Vor diesem Hintergrund mussten sie ihre Arbeit teilweise völlig neu organisieren. In Präsenz und analog abgehaltene Betriebsratssitzungen, -sprechstunden und Abteilungsversammlungen fanden nun vermehrt digital statt – auf neuen Kommunikationsplattformen wie etwa Teams und Zoom. Anstelle des Infoblatts am „Schwarzen Brett“ wurden Informationen über die digitalen Kanäle, die Betriebsräten vom Unternehmen zur Verfügung gestellt wurden oder die sie sich in den neuen Medien selbst schufen, in Form von Podcasts oder Videoclips verbreitet. Mithilfe digitaler Tools konnten – oft sogar relativ einfach – Umfragen unter den Beschäftigten organisiert werden, sodass der Dialog mit den Beschäftigten auch weiterhin aufrechterhalten werden konnte. Viele Betriebsräte entwickelten dabei ein erstaunliches Maß an Kreativität, wie Ralf Ziegeweid und Julia Massolle anhand von praktischen Beispielen etwa beim Diakonischen Werk Würzburg e. V., der GlaxoSmithKline (GSK) GmbH & Co. KG und der W&W Informatik GmbH zeigen.
Inzwischen gehören digitale Kommunikation und neue Tools der Öffentlichkeit zum „neuen Normal“ der Betriebsratsarbeit. Damit rücken aber auch die (datenschutzrechtlichen) Probleme und Grenzen dieser Kommunikationsform stärker in den Blick. Wieviel digitale Kommunikation ist den Beschäftigten überhaupt zumutbar? Inwieweit kann sie analoge Formen der Kommunikation und insbesondere das persönliche Gespräch ersetzen? Mit diesen Fragen befasst sich insbesondere die Studie von Carsten Wirth: „Betriebsrat und Homeoffice-Arbeitende: Ein Kommunikationskonzept“.
Eher kritisch äußert sich die Studie von Klaus-Stephan Otto unter anderem zur Reichweite digitaler Kommunikation.
Zusammenarbeit und Organisation im Betriebsrat
Umstrukturierungen besser managen

Der verschärfte internationale Wettbewerb und die digitale und ökologische Transformation führen in vielen Unternehmen zu Umstrukturierungen etwa durch Out- oder Insourcing von Tätigkeitsbereichen, durch die Integration neuer Geschäftsfelder oder die Modifizierung von Wertschöpfungs- und Lieferketten. Derartige Veränderungen stellen stets auch die Mitbestimmung und insbesondere die Organisation der Betriebsratsarbeit auf den Prüfstand.
Am Beispiel der Transformation der DB Systel GmbH, einer Tochter der Deutschen Bahn AG, von einem internen Dienstleister hin zu einer selbstorganisierten Netzwerkorganisation beschreiben Claudia Niewerth und Julia Massolle, wie der Betriebsrat sich neu organisieren musste, um diesen Prozess im Interesse der Beschäftigten mitzugestalten. Eine zentrale Rolle nimmt bei diesem selbstorganisierten Umbauprozess der sozialpartnerschaftlich geführte „Trafo-Ausschuss“ ein, in dem die wesentlichen Entscheidungen über die Organisation und Aushandlungsprozesse getroffen werden. Der Betriebsrat spielt darin eine zentrale Rolle. Unter anderem brachte er die Idee einer selbstlernenden Betriebsvereinbarung zur Gestaltung der Transformation ein, in der Prinzipien, Organe und Rollen sowie Beteiligungsrechte verankert sind. „Selbstlernend“ bedeutet, dass die Regelungsinhalte nicht auf lange Zeit festgelegt wurden, sondern – entsprechend dem Bild einer lernenden Organisation – kontinuierlich oder bedarfsweise je nach gegebener Situation angepasst werden können.
Organisationsentwicklung stand auch beim Betriebsrat der Merck KGaA auf der Agenda, als es darum ging, in der neuen Konzernstruktur Mitbestimmungsrechte zu sichern. Die Basis dafür legten ein zwischen den Sozialpartnern abgeschlossener Strukturtarifvertrag und die beiderseitige Einigung darüber, dass die Beschäftigten durch einen Gemeinschaftsbetriebsrat vertreten werden. Geregelt wurde unter anderem, dass der Gemeinschaftsbetriebsrat Aufgaben an Arbeitsgruppen und Ausschüsse delegieren kann – einerseits, um insbesondere stark belastete freigestellte durch nichtfreigestellte Betriebsratsmitglieder zu entlasten und andererseits, um mehr interessierte Beschäftigte und interne Sachverständige in seine Entscheidungen einzubeziehen. Der Gesamtbetriebsrat sichert sich dadurch eine höhere Flexibilität, um je nach Lage (neue) Themen intensiv zu bearbeiten und neues Wissen in seine Entscheidungen zu integrieren.
Beide Beispiele sind in der Studie von Claudia Niewerth und Julia Massolle „Vertretung in der doppelten Transformation. Einblicke in neue Gestaltungsformen betriebsrätlicher Arbeit“ enthalten.
Agile Methoden
Mehr Transparenz und Effizienz in der Betriebsratsarbeit

Die Arbeit in Ausschüssen, Arbeitsgruppen und Projekten ist bei vielen Betriebsräten bereits gute und gängige Praxis. Weniger verbreitet sind dagegen neue – agile – Verfahren, um Aufgaben effizienter anzugehen und Entscheidungen zu komplexen Sachverhalten schneller und besser zu treffen.
2018 hat sich der Betriebsrat der Hermes Germany GmbH ein eigenes „Agiles Manifest“ für seine Arbeitsweise gegeben. Im Kern geht es dabei um den Einsatz von Methoden und Instrumenten, die die ziel- und lösungsorientierte Zusammenarbeit im Gremium fördern und Aushandlungsprozesse mit der Personalabteilung und dem Arbeitgeber unterstützen sollen. Leitlinien sind unter anderem: besser in Lösungen denken, als starren Prinzipien/Standpunkten zu folgen; besser zu verlässlichen Einigungen und Absprachen gelangen, als sich in wiederholenden, nervtötenden Diskussionen zu verlieren; besser Vertrauen zum Management und dem Arbeitgeber aufbauen, als jedes kleinste Detail ein für alle Mal umfassend regeln zu wollen. Die Anwendung von MS Teams zur Kommunikation, von Kanban zum Aufgabenmanagement und die verstärkte Bearbeitung von Themen in Arbeitsgruppen stehen dabei im Mittelpunkt.
Auch bei der enercity AG hat sich der Betriebsrat intensiv mit agilen Verfahren auseinandergesetzt und Teile davon in seine Betriebsratsarbeit integriert. Unter anderem können sich die Mitglieder verschiedener Ausschüsse in Daily Stand-ups über den Stand der jeweils darin bearbeiteten Projekte informieren. Ferner werden Kanban-Boards ausprobiert. Beide Beispiele finden sich in der Studie von Claudia Niewerth und Julia Massolle.
Ebenfalls interessant: Bei der Heidelberg Materials AG arbeiten Arbeitgeber und Betriebsrat aktuell an einem Workflowsystem, um den IT-Einführungs- und Mitbestimmungsprozess besser zu strukturieren und weiterzuentwickeln. Alle Informationen werden gleichzeitig an den Betriebsrat und den Datenschutz übergeben, die jeweiligen Bearbeitungsschritte dokumentiert und transparent zur Verfügung gestellt.
Wissensmanagement gestalten

Die Beschleunigung von Entscheidungen, die wachsende Komplexität von Aufgaben und Themen, die sich oft auch überlagern, und der rasante technologische Wandel fordern die Betriebsratsarbeit auch im Umgang mit den eigenen Wissens- und Erfahrungsbeständen heraus. Betriebsräte müssen sich sowohl breites Basiswissen als auch profundes Fachwissen aneignen. Sie haben zwar das Recht, in wichtigen Fragen Sachkundige hinzuziehen zu können. Aber um eigene Entscheidungen treffen zu können, brauchen sie selbst tiefen Einblick in wichtige Themen. Es ist daher zwingend für sie, gewerkschaftliche Bildungsangebote wahrzunehmen und unabhängige Wissensquellen zu nutzen. Aber in der Betriebsratspraxis geht es immer wieder auch darum, unternehmensspezifische Gegebenheiten auf allen Handlungsebenen beurteilen zu können. Wie baut man sich entsprechende Wissensbestände systematisch auf?
Mithilfe einer Digitalisierungscheckliste, die im Rahmen eines Projekts der Förderlinie Transformation der Hans-Böckler-Stiftung entwickelt wurde, gelang es dem Europäischen Betriebsrat bei der Merck KGaA, eine Art Frühwarnsystem einzurichten, das den jeweils aktuellen Stand und beobachtete Probleme mit der Digitalisierung in allen europäischen Standorten des Unternehmens festhält. Die Checkliste ist auf allen Ebenen der Mitbestimmung einsetzbar. Sie fragt eine Vielzahl von Faktoren ab, durch die sich Betriebsräte an allen Standorten einen tiefen Einblick in das jeweilige Digitalisierungsgeschehen verschaffen können. Besonders wirksam ist die Checkliste, wenn die Informationen aus den einzelnen Standorten auf nationaler und EBR-Ebene zusammengetragen und dauerhaft gepflegt werden. Sie hilft Betriebsräten überdies, zusätzliche Informationen durch gezieltes Nachfragen beim Arbeitgeber beziehungsweise Management einzufordern. Auf diese Weise können sie auf der einen Seite ihre Anhörungs- und Unterrichtungsrechte stärken und ausdehnen und auf der anderen Seite für sich ein proaktives und dauerhaft angelegtes Berichtswesen etablieren.
Interessant sind auch verschiedene Konzepte zur systematischen, themenspezifischen Qualifizierung von Betriebsräten und zum erfahrungsbasierten Wissenstransfer in der Studie „Generationenwechsel in der Betriebsratsarbeit. Wissensmanagement und Nachfolgeplanung im Betriebsrat“ von Julia Massolle und Claudia Niewerth.
Nachfolgeplanung strategisch angehen

Viele Betriebsräte haben Nachwuchsprobleme. Manche Beschäftigte zögern, wenn sie auf eine Kandidatur zum Betriebsrat angesprochen werden. Gerade eine Freistellung ist für viele Interessierte oft mit Nachteilen verbunden, weil sie dadurch ihre berufliche Laufbahn unterbrechen, ihren Arbeitsort und Kolleg*innenkreis verlassen oder womöglich auf Dauer – im Vergleich zu ihren beruflichen Karriereaussichten – Entgelteinbußen befürchten müssen. Anderen fehlt die Zeit oder sie fühlen sich nicht kompetent genug. Manche Betriebsräte gehen daher neue Wege, um ihre Nachfolge rechtzeitig aufzubauen.
Bei der B. Braun Melsungen AG ist das Betriebsratsbüro als Ausbildungsplatz in die Ausbildung für Kaufleute integriert, um bei jungen Leuten Interesse an der Betriebsratsarbeit zu wecken. Außerdem gibt es Patenprogramme für Betriebsratskandidat*innen, um den Wissenstransfer zwischen Betriebsräten, die ihr Mandat niederlegen, und ihren potenziellen Nachfolger*innen zu gewährleisten.
Bei der Salzgitter Flachstahl GmbH wurde eine Mitbestimmungsakademie eingerichtet, um Betriebsräte schon vor der eigentlichen Tätigkeitsübernahme auf ihre Aufgaben vorzubereiten. Dort wird Betriebsratskandidat*innen über drei Jahre hinweg pro Quartal an einem Tag Wissenswertes rund um die Mitbestimmung gelehrt.
Auch Volkswagen richtet sein Augenmerk auf neue Methoden für eine stärkere Professionalisierung von Betriebsräten. Am Standort Emden geht es mithilfe von Teamentwicklungsprozessen und Tandemmodellen darum, insbesondere jungen Mitbestimmungsakteur*innen organisatorische Arbeitsweisen, Grundsätze der Kommunikation untereinander und Führungskulturen zu vermitteln. Personalentwicklung für Betriebsräte mithilfe von Qualifizierungsbausteinen und Mentoringprogramme stehen auch bei Volkswagen Nutzfahrzeuge auf der Agenda.
Alle Beispiele werden in der Studie „Generationenwechsel in der Betriebsratsarbeit. Wissensmanagement und Nachfolgeplanung im Betriebsrat“ von Julia Massolle und Claudia Niewerth ausführlich dargestellt.
Alle Module im Überblick

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Erweitertes Selbstverständnis
Innovatives Betriebsratshandeln bedeutet, den Blick thematisch und über den Betrieb hinaus zu weiten, vorausschauend zu handeln und für unterschiedliche Interessenlagen gemeinsame Lösungen zu finden.

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Neue Methoden
Die forcierte Digitalisierung, Automatisierung und Dynamisierung fast aller Unternehmensprozesse verlangen auch von Betriebsräten, in ihrer Arbeit neue Techniken, Instrumente und Methoden anzuwenden.

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Starke Beteiligungsorientierung
Ein Betriebsrat ist nur so stark wie seine Durchsetzungsmacht. Erfolgreiche Betriebsratsarbeit basiert daher auf größtmöglicher Beteiligung der Beschäftigten an Entscheidungen des Betriebsrats.

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Neue Kooperationen
Um die wachsende Komplexität von Aufgaben kompetent bewältigen zu können, benötigen Betriebsräte einen stärkeren Wissensaustausch mit internen Sachverständigen und externen Kooperationspartner*innen.