Toolbox: Innovative BR-Arbeit
Starke Beteiligungsorientierung
Darum geht's
Ein Betriebsrat ist nur so stark wie seine Durchsetzungsmacht. Erfolgreiche Betriebsratsarbeit basiert daher auf größtmöglicher Beteiligung der Beschäftigten an Entscheidungen des Betriebsrats.
Einleitung
Einen starken Rückhalt benötigen Betriebsräte aber nicht nur aus taktischen Gründen, um Druck auf den Arbeitgeber ausüben zu können und so – im Interesse der Arbeitnehmer*innen – gute Verhandlungserfolge zu erzielen. Vielmehr erweitern sie im Kontakt mit den Beschäftigten zugleich ihre Fähigkeiten, zu effizienten und von großen Teilen der Belegschaft akzeptierten Lösungen zu gelangen, wenn sie das im Betrieb verteilte Wissen mobilisieren und bündeln können.
Der enge Draht zu den Beschäftigten, der direkte Zugang zu ihrem Erfahrungswissen, ihren Ansichten und ihrer Kritik an betrieblichen Gegebenheiten ist ein enormer Vorteil, den in der Praxis Betriebsräte gegenüber dem Management haben, das oft aus weiter Entfernung urteilt. Das gilt ganz besonders für die Einführung neuer technischer Systeme und Prozesse.
Wenn Technik funktionieren soll, muss sie an die spezifischen Gegebenheiten vor Ort und auch an diejenigen Menschen angepasst werden, die mit ihr umgehen sollen. In vielen Unternehmen haben Betriebsräte bereits für entsprechende Regelungen gesorgt. Die Beteiligung der Beschäftigten an derartigen Veränderungsprozessen spielt dabei eine zentrale Rolle.
Beteiligung enthält aber immer auch emanzipatorische Elemente. Wer beteiligt wird, wird gehört! Allein dies führt bei vielen Beschäftigten bereits zu neuen Sichtweisen: Sie sehen sich als Individuen respektiert, als Expert*innen in eigener Sache anerkannt und fühlen sich selbstwirksam, wenn sich durch ihre Hinweise oder Kritik etwas ändert. Solche Erfahrungen von „Empowerment“ stärken demokratisches Bewusstsein und lassen sich für Betriebsräte durchaus nutzen, um mehr Beschäftigte für weitergehendes betriebliches Engagement oder gar für die Betriebsratsarbeit zu gewinnen.
Beteiligung organisieren
Betriebsratsarbeit entlasten
Fast alle Mitbestimmungsakteur*innen kennen das: Die Betriebsratsarbeit wird immer komplizierter. Die Geschwindigkeit, mit der Betriebsräte Entscheidungen treffen müssen, nimmt zu; die Themen, die auf ihrem Schreibtisch landen, werden vielfältiger und komplexer; der zeitliche und personelle Aufwand, um Lösungen zu entwickeln und mitzugestalten, wird immer höher, da vermehrt unterschiedliche Interessenlagen unter einen Hut gebracht werden müssen. Einen Ausweg bietet § 28a Betriebsverfassungsgesetz. Er ermöglicht es Betriebsräten in Betrieben mit mehr als 100 Beschäftigten, Aufgaben an Arbeitsgruppen zu übertragen.
Dies hat vor allem zwei Vorteile: Zum einen kann sich der Betriebsrat in einzelnen Themenfeldern entlasten, vor allem, wenn er sachkundige Beschäftigte und engagierte Vertrauensleute in die Ausschussarbeit einbezieht. Zum anderen ist der § 28a BetrVG ein Schlüssel für eine neue Mitbestimmungskultur im Betrieb. Er schafft die Möglichkeit, interessierte Beschäftigte aktiver an der Betriebsratsarbeit zu beteiligen. Gleichzeitig sorgt dies für mehr Transparenz, da mehr Beschäftigte Zugang zu den Diskussionen und Entscheidungen des Betriebsrats erhalten.
Bei der Merck KGaA gelang es dem Gemeinschaftsbetriebsrat 2018, mit dem Arbeitgeber eine Rahmenvereinbarung zur Anwendung des § 28a BetrVG abzuschließen. Anlass war die tiefgreifende Reorganisation der Konzernstruktur, die der Betriebsrat unter anderem auch nutzen wollte, um neue Maßstäbe für eine demokratische Mitbestimmungskultur zu setzen.
Angepasste Technik
Beteiligung als notwendige Modernisierungsstrategie
Eine der Hauptursachen dafür, dass die Einführung neuer Technologien häufig problematisch verläuft, liegt darin, dass diejenigen, die mit den neuen Prozessen befasst sind, nur schlecht auf den Wandel vorbereitet werden. Zumeist erhalten sie eine knappe Erstinformation im Rahmen eines Workshops oder werden am Arbeitsplatz kurz eingearbeitet. Aber Einfluss auf die Anwendung oder gar auf die Technikgestaltung erhalten sie in der Regel nicht. Welche Technik wie im Unternehmen eingeführt wird, unterliegt auch nur eingeschränkt der Mitbestimmung.
Unangepasste Technik führt aber immer wieder zu Problemen und Leerläufen. Jede*r Anlagenbediener*in kann davon ein Lied singen, genauso diejenigen, die sich in eine neue Software einarbeiten müssen. Erst recht kann die Einführung von neuen KI-Systemen, vor allem wenn sie extern entwickelt wurden, drastische Folgen für die Beschäftigten nach sich ziehen.
Seit Juni 2021 (Betriebsrätemodernisierungsgesetz) gibt § 80 Abs. 3 BetrVG dem Betriebsrat das Recht, externe Sachverständige hinzuzuziehen, um KI bewerten und regeln zu können. Bei der Siemens AG arbeitet eine ganze Abteilung – AI Lab (Artificial Intelligence Lab) – daran, die neuen Möglichkeiten im Bereich der künstlichen Intelligenz zu erkunden und darüber zu beraten. Ein wichtiges Instrument, das dort entwickelt wurde, sind AI-Cards. Diese Art von Steckbriefen stellt alle relevanten Funktionen und Verwendungsformen einer KI-Anwendung übersichtlich dar.
Solche AI-Cards nutzen inzwischen auch der Gesamtbetriebsrat und die Standortbetriebsräte, um die Gefahren von KI-Anwendungen auf die Beschäftigten besser abschätzen zu können und mit diesen darüber ins Gespräch zu kommen. Aktuell sind sie dabei, mit dem Arbeitgeber eine Rahmenvereinbarung auszuhandeln, die den Einsatz von AI-Cards standardisiert und damit die Voraussetzung schafft, dass auch die Beschäftigten daran beteiligt werden, KI-Anwendungen nicht nur funktionaler, sondern auch verantwortungsvoller im Sinne einer humanen Technikentwicklung mitzugestalten.
Ebenfalls interessant ist die von Klaus-Wilhelm West entwickelte Digitalisierungscheckliste für (Euro-) Betriebsräte. Auch sie zielt darauf, Betriebsräte und Beschäftigte an den einzelnen Standorten aktiv einzubeziehen, um die konkrete Umsetzung der Digitalisierungsstrategie eines Unternehmens weiterzuentwickeln (siehe auch Hans-Böckler-Stiftung (2024): Die Förderlinie Transformation. Daten und Projekte, Seiten 38 bis 41).
Partizipation und Empowerment
Befähigung zur Selbstwirksamkeit
Der Veränderungsdruck in allen Unternehmen nimmt zu. Immer mehr Arbeitgeber erkennen, dass sie Veränderungen nicht gegen, sondern nur gemeinsam mit den Mitbestimmungsakteur*innen und Beschäftigten voranbringen können. Viele Betriebsräte nutzen die Chance, die Belegschaften aktiv in diesen Wandel einzubeziehen. Dies nicht allein deshalb, weil es ihnen wichtig ist, das Wissen und die Erfahrungen der Beschäftigten zu mobilisieren, damit diese – als Expert*innen in eigener Sache – dabei helfen, Prozesse effizienter und geschmeidiger auszugestalten. Den meisten von ihnen geht es auch darum, durch Partizipation die Selbstwirksamkeit der Beschäftigten zu stärken.
Dazu gehört beispielsweise, mit dafür zu sorgen, dass regelmäßig Gefährdungsanalysen im Betrieb durchgeführt werden, bei denen gemeinsam mit den Beschäftigten nicht nur die physischen, sondern besonders auch die psychischen Belastungen erfasst, bewertet und vermindert werden.
Entscheidend ist auch, dass Betriebsräte geeignete Qualifizierungsangebote einfordern, um alle Beschäftigten auf erforderliche Veränderungen vorzubereiten. Vor allem aber wichtig ist, dass sie sich darum kümmern, dass die Mitarbeiter*innen die Angebote auch wirklich wahrnehmen. In verschiedenen Projekten der Hans-Böckler-Stiftung konnte gezeigt werden, dass hierbei direkte Ansprechpartner*innen von großem Wert sind.
In einigen Unternehmen gibt es bereits sogenannte Umweltschutzobleute oder Energie-Scouts, die Beschäftigten am Arbeitsplatz direkt Hilfe im Themenfeld Nachhaltigkeit anbieten, um Ressourcen zu schonen oder Energie einzusparen. Besonders bedeutsam sind zudem Weiterbildungsbeauftragte beziehungsweise -mentoren – Chief Qualification Officer (CQO) – im Betrieb, die insbesondere Beschäftigten mit negativen Bildungserfahrungen zur Seite gestellt werden, um sie für Qualifizierungen zu gewinnen.
CQO können besonders dann wirkungsvoll eingesetzt werden, wenn ihre Aufgabe es zulässt, für einzelne Beschäftigte und in engem Kontakt mit ihnen („Peer to Peer“) passgenaue Weiterbildungsangebote zu ermitteln, sie dabei zu unterstützen, daran teilzunehmen und sie über den gesamten Qualifizierungsprozess eng zu begleiten.
Beteiligung als Ideenschmiede
Neue Arbeit und plurales Leben
Der gesellschaftliche Wandel macht auch vor den Betrieben nicht Halt. Inklusion und Diversity stehen für Konzepte, mit denen eine Vielfalt an Lebensweisen und -stilen auch in den Unternehmen Einzug hält. Die Gleichstellung der Geschlechter, Chancengleichheit für Menschen mit Behinderung, aus unterschiedlichen Kulturkreisen, mit verschiedener Religionszugehörigkeit und als Angehörige verschiedener Generationen: Die Gesellschaft ist pluraler geworden – dies spiegelt sich auch in den Unternehmen und den Bedürfnissen der Beschäftigten wider.
Wie wollen wir in Zukunft arbeiten und leben? Diese Frage bewegt viele Betriebsräte. Von New Work ist dann vielfach die Rede, um junge qualifizierte Fachkräfte zu gewinnen und stärker zu binden. Dahinter steckt die Idee, dass die Arbeit dem Menschen dienen und zu Selbsterfüllung und Sinnstiftung beitragen soll. Stichworte sind: flexible Arbeitszeiten, mobile Arbeit, Desksharing, agile Arbeit und neue Kommunikations- und Kollaborationstools, die mehr Selbstständigkeit, Freiheit und Teilhabe an der Gemeinschaft ermöglichen sollen.
Mittlerweile gibt es in zahlreichen Unternehmen Vereinbarungen, die die Rahmenbedingungen für New Work regeln. Aber längst nicht überall halten sie den an sie gestellten Ansprüchen stand. Denn oft ausgeblendet blieb die Frage: Wie lassen sich Beschäftigteninteressen mit zukunftsorientierten Arbeitsformen verbinden?
Die Antwort eines Projekts der Hans-Böckler-Stiftung auf diese Frage ist eindeutig: Ohne Beteiligung des Betriebsrats und der Beschäftigten sind derartige Regelungen nicht nachhaltig. Bettina Seibold und Walter Mugler beschreiben erfolgreiche Modelle von New Work, die im engen Kontakt mit den Beschäftigten entwickelt wurden und in die diese ihre Interessen und Bedürfnisse einbringen konnten. Zu den wichtigsten Beteiligungsinstrumenten zählten digitale Chats, Videokonferenzen und Betriebsratspodcasts, aber auch „virtuelles Frühstücksfernsehen“ für die Belegschaft und digitale Pinnwände bis hin zu „klassischen“ Formen der Befragung wie Umfragen durch den Betriebsrat, Betriebsversammlungen oder der Einsatz von Infoblättern.
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Gute Arbeit, starke Demokratie
Flagge zeigen für Vielfalt
Arbeitnehmer*innen, die im Arbeitsmarkt gut integriert sind, eine sichere Beschäftigung mit gutem Einkommen haben, Wertschätzung im Beruf erfahren und die Möglichkeit sehen, die eigene Arbeit mitzugestalten, neigen weniger zu antidemokratischen Ansichten. Eher empfänglich für antidemokratische Einstellungen sind Menschen mit Abstiegsängsten beziehungsweise solche, die das Gefühl haben, sozial abzusteigen. Das trifft auch für Erwerbstätige zu, die sich von den technischen Entwicklungen und gesellschaftlichem Wandel überfordert fühlen und die glauben, über ihr Leben werde „irgendwo da draußen in der Welt entschieden“ oder die die Lage im Land grundsätzlich als unfair empfinden. Zu diesem Ergebnis kommt eine repräsentative Umfrage der Hans-Böckler-Stiftung aus dem Jahr 2021.
Die drei Wissenschaftler*innen Andreas Hövermann, Bettina Kohlrausch und Dorothea Voss betonen in der Studie die zentrale Bedeutung von Beteiligung der Beschäftigten an Entscheidungen, die ihre Arbeit betreffen. „Wer nicht entscheiden kann, wie die tägliche Arbeit organisiert wird, wessen Arbeit nicht abwechslungsreich ist, wer keine kollegiale Unterstützung erwarten kann und wer den Lohn als zu niedrig empfindet, stimmt antidemokratischen Einstellungen überdurchschnittlich häufig zu.“
Mangelnde Partizipation der Beschäftigten, aber auch fehlende Mitbestimmung und Arbeitsbedingungen, die mangelhaft betrieblich oder tarifvertraglich geregelt sind, begünstigen nach der Studie antidemokratische Orientierungen. Der Arbeit von Betriebsräten kommt daher eine wichtige demokratische Aufgabe zu, nämlich mit dafür zu sorgen, dass Beschäftigte die Chance haben, ihre Arbeitsbedingungen mitgestalten zu können.
Ebenfalls interessant: Die Initiative des Gesamt- und Konzernbetriebsrats der Siemens AG „Demokratie schützen, Grundwerte stärken“, die für den Betriebsräte-Preis 2024 nominiert wurde.
Alle Module im Überblick
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Erweitertes Selbstverständnis
Innovatives Betriebsratshandeln bedeutet, den Blick thematisch und über den Betrieb hinaus zu weiten, vorausschauend zu handeln und für unterschiedliche Interessenlagen gemeinsame Lösungen zu finden.
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Neue Methoden
Die forcierte Digitalisierung, Automatisierung und Dynamisierung fast aller Unternehmensprozesse verlangen auch von Betriebsräten, in ihrer Arbeit neue Techniken, Instrumente und Methoden anzuwenden.
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Neue Kooperationen
Um die wachsende Komplexität von Aufgaben kompetent bewältigen zu können, benötigen Betriebsräte einen stärkeren Wissensaustausch mit internen Sachverständigen und externen Kooperationspartner*innen.