Entgeltgleichheit in der Transformation
Mit eg-check.de Diskriminierung aufspüren
Die ökologisch-soziale und digitale Transformation hat auch bei den Berliner Wasserbetrieben weitreichende Folgen. Entgeltgleichheit ist dort schon seit Jahren ein zentrales Thema und durch den TV-V weitgehend erreicht. Um zu verhindern, dass die Transformation neue Diskriminierungspotenziale schafft, wurde der bisher angewandte Entgeltgleichheits-Check ausgeweitet.
Neue Praktiken durch einen ambitionierten Umwelt- und Naturschutz, die fortschreitende Digitalisierung und verstärkte Automatisierung haben die Tätigkeiten vieler Beschäftigter bei den Berliner Wasserbetrieben bereits verändert oder werden es in naher Zukunft tun. Das Unternehmen engagiert sich bereits seit Jahren in hohem Maße für die Gleichstellung von Frauen und Männern. Dies wird unter anderem dadurch sichtbar, dass es einen bemerkenswert hohen Anteil von Frauen unter den Führungskräften gibt. Auch bei der Vergütung ist es ein zentrales Anliegen des Vorstands, das rechtliche Gebot und die soziale Verantwortung der Entgeltgleichheit zwischen den Geschlechtern umzusetzen, das heißt: für gleichwertige Arbeit von Frauen und Männern gleiches Entgelt zu bezahlen.
Bereits vor gut zehn Jahren (2013) führte das Unternehmen erstmals einen Entgeltgleichheits-Check auf der Basis des seit 2013 von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes empfohlenen Verfahrens durch. Dabei wurde der geltende Tarifvertrag auf mögliche Diskriminierungen hinsichtlich der Eingruppierung geprüft (Regelungscheck) und die Grundentgelte von Frauen und Männern für gleichwertige Tätigkeiten miteinander verglichen (Paarvergleiche). Dabei kamen Regelungen im geltenden Tarifvertrag ans Licht, die diskriminierende Wirkung haben könnten. Diese Gefahr konnte aber in der Praxis durch entsprechende Eingruppierungen ausgeräumt werden. Daher lautete das Ergebnis von 2013: Hinweise auf Entgeltungleichheit gibt es bei den Berliner Wasserbetrieben nicht.
Veränderte Arbeitswelt birgt Gefahren für Entgeltgleichheit
In den letzten Jahren hat sich die Arbeitswelt für viele Arbeitnehmer*innen jedoch stark verändert. Auch bei den Berliner Wasserbetrieben zogen neue Technologien, neue Arbeitsformen und -kulturen in den betrieblichen Alltag der Beschäftigten ein. Dazu gehören beschleunigte Digitalisierungs- und Automatisierungsprozesse, aber vor allem flexiblere Arbeitszeitmodelle, mobiles Arbeiten, vielfältige Qualifizierungsangebote und neue Formen der Kooperation mit teils veränderten Hierarchieebenen. Dies warf die Frage auf, ob und wie sehr sich diese Veränderungen unterschiedlich auf die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen von Frauen und Männern niederschlagen und ob von den möglichen Unterschieden auch die Entgeltbedingungen betroffen sind.
In dieser Zeit veränderte sich ebenso der Blick – vor allem der Wissenschaft – auf Diskriminierungstatbestände. Nicht allein die Formulierungen in Gesetzen, Tarifverträgen und sonstigen Vereinbarungen, sondern besonders die Auswirkungen patriarchaler Strukturen im realen Arbeitsalltag – und damit weitere Facetten möglicher Diskriminierung – rückten damit stärker in den Fokus.
Auch die 2023 verabschiedete Entgelttransparenzrichtlinie der EU (2023/970), die bis 2026 in deutsches Recht umgesetzt werden muss, ist von diesem Gedanken getragen. Sie verlangt, sowohl unmittelbare als auch mittelbare geschlechtsspezifische Diskriminierungen im Entgeltbereich auszuschließen und über entsprechende Maßnahmen und ihre Umsetzung fortwährend zu berichten.
Für die geschlechtergerechte Gestaltung von Entgeltsystemen ergibt sich daraus, dass es nicht ausreicht, sich bei der Prüfung von möglichen Diskriminierungstatbeständen ausschließlich auf Regelungen und die Grundentgelte zu konzentrieren. Vielmehr gilt es, weitere Entgeltbestandteile wie Leistungsentgelte, festgelegte Erfahrungsstufen (bei Einstellungen und /oder als vorgezogene Stufensteigerung aufgrund besonderer Leistung), Erschwernis- und sonstige Zulagen einer kritischen Prüfung zu unterziehen, da sich in ihnen womöglich mittelbare Diskriminierungen ausdrücken, die sich auf – noch immer vorhandene, mehr oder weniger offen zutage tretende – patriarchalische Strukturen zurückführen lassen.
Wie man dabei verfahren kann, wird aktuell in einem Projekt der Hans-Böckler-Stiftung im Rahmen der Förderlinie Transformation untersucht. Es entstand auf Initiative des Unternehmens mit Unterstützung der Gewerkschaft Verdi, dem Personalrat der Berliner Wasserbetriebe und wurde beantragt von Dr. Andrea Jochmann-Döll, GEFA Forschung und Beratung in Hattingen, die die Projektleitung übernahm.
Mittelbare Diskriminierung im Fokus
Zu Beginn – im Rahmen einer Kick-Off-Veranstaltung im März 2023 – wurde eine Projektgruppe eingerichtet, in der zahlreiche Bereiche des Unternehmens mit eingebunden sind – darunter das zuständige Vorstandsmitglied sowie Expert*innen aus dem Personalmanagement, dem Datenschutz, der Unternehmenskommunikation wie auch Mitglieder der Gesamtfrauenvertretung und Gesamtschwerbehindertenvertretung bis hin zu den Diversity Beauftragten der Berliner Wasserbetriebe, die auf betrieblicher Seite das Projekt leiten. Auch diesmal wird die Prüfung auf der Grundlage des von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes empfohlenen Verfahrens – eg-check.de – vorgenommen, allerdings werden noch mehr Entgeltbestandteile geprüft.
Im Mittelpunkt des Projekts steht erneut die Analyse von möglichen Diskriminierungstatbeständen beim Grundentgelt. Neu hinzu kommt die Betrachtung weiterer Entgeltbestandteile, wie Erfahrungsstufen, Leistungsvergütung sowie Erschwernis- und Arbeitsmarkt- und Fachkräftezulagen.
Andrea Jochmann-Döll, ProjektleiterinBei den relativ vage formulierten Entgeltbestimmungen gerade im Öffentlichen Dienst, ist oft eine Menge Musik drin. Sie schaffen Interpretationsräume, die eine Unterbewertung von Frauenarbeit zur Folge haben können.
Diese Erkundungen erfolgen im Rahmen von Workshops und in drei Schritten:
- Zunächst werden die vom Unternehmen bereitgestellten statistisch aufbereiteten Entgeltdaten beurteilt.
- Zusätzlich werden die betrieblichen und tariflichen Regelungen auf entgeltbezogene Diskriminierungen befragt.
- Und um mögliche Unterbewertungen von frauendominierten Tätigkeiten feststellen zu können, sollen wieder Paarvergleiche vorgenommen werden, das heißt: die direkte Prüfung der Bezahlung gleichwertiger Arbeit von Frauen und Männern.
Das Projekt steht zum Zeitpunkt dieses Projektberichts noch am Anfang. Deshalb können hier keine Ergebnisse vorgestellt werden. Aber Erfahrungen, die Andrea Jochmann-Döll in anderen Unternehmen gesammelt hat, haben ihren Blick geschärft.
Andrea Jochmann-Döll, ProjektleiterinAuch wenn die Berliner Wasserbetriebe schon sehr weit vorangeschritten sind, um Diskriminierungen in den Entgeltsystemen und -bestandteilen aufzudecken, die eine Unterbewertung von Frauenarbeit zur Folge haben können, so sind wir doch gehalten, genau hinzuschauen.
Beispielsweise werden die im Tarifvertrag vorgesehen Sprünge von einer Erfahrungsstufe zur nächsthöheren oder auch die Zuweisung zu einer bestimmten Erfahrungsstufe bei Einstellung oft sehr subjektiv von den Vorgesetzten beziehungsweise den einstellenden Personen gehandhabt. Damit öffnet sich ein Tor für Diskriminierungen. „Uns wird immer wieder berichtet, dass vor allem Frauen in Verhandlungen über die Einordnung in eine tarifliche Erfahrungsstufe nicht immer alle ihre Berufserfahrungen gleich auf den Tisch legen. Viele Bewerberinnen halten sich zunächst zurück und ergänzen ihre Informationen erst nach genauem Nachfragen. Dieses genaue Nachfragen seitens des Arbeitgebers müsste aus meiner Sicht daher zum Standard einer guten Einstellungspraxis werden, um Benachteiligungen zu vermeiden“, rät die Wissenschaftlerin.
Überdies ließen es Tarifverträge auf der kommunalen Ebene noch immer zu, dass Beschäftigte nach mehr als fünfjähriger Elternzeit – das trifft besonders Mütter – um eine Erfahrungsstufe zurückgestuft würden. Auch dies müsse sich ändern, da es der geltenden Rechtslage widerspricht.
Bei der Leistungsvergütung und bei den Erschwerniszulagen zeigt sich ebenfalls in der Praxis vieler Unternehmen, dass Frauen bei der Vergütung benachteiligt werden. Hier spielen herkömmliche Vorstellungen und Geschlechterstereotype noch immer eine große Rolle. Der Arbeitstätigkeit eines Kanalarbeiters wird beispielsweise in der Regel ein viel höherer Grad an körperlich schwerer Arbeit – und damit eine höhere Erschwerniszulage – zugebilligt als der Tätigkeit einer Küchenwirtschaftsarbeiterin. Dabei werden gerade in Großküchen enorme Gewichte – sicherlich mit dem Kanalbau vergleichbar – gestemmt, wenn etwa große Töpfe, Pfannen oder Warmhaltebecken regelmäßig befüllt und weggetragen werden.
„Es ist für mich spannend, welche Hinweise auf Diskriminierungen wir bei den Berliner Wasserbetrieben vorfinden werden. Aber selbstverständlich gehe ich ergebnisoffen an die Analysen“, sagt die Wissenschaftlerin. „Denn Entgeltgleichheit ist hier zwar bereits einmal mit positivem Ergebnis geprüft worden, aber die Tätigkeiten haben sich möglicherweise verändert. Außerdem beziehen wir nun weitere Entgeltbestandteile in die Prüfung ein.“
Sämtliche Analyseergebnisse des Projekts werden zusammen mit Gestaltungsempfehlungen in einem internen Ergebnisbericht dokumentiert. Dieser soll den Mitgliedern der Projektgruppe im Herbst 2024 präsentiert werden.
Ansprechpersonen des Projekts
Projektleiterin: Dr. Andrea Jochmann-Döll, GEFA Forschung und Beratung
Förderlinie Transformation
Digitale Transformation, Klimawandel, Energiekosten - Es gibt viele Treiber von Transformationsprozessen. Folgen für die Arbeitswelt sind u.a. ein hoher Veränderungsdruck auf allen Seiten, in Betrieben, Branchen und Regionen. Im Zentrum der neuen Förderlinie Transformation steht daher: Wir entwickeln sehr konkrete Projekte gemeinsam mit Praxispartner*innen und etablieren eine schnelle Entscheidungsfindung über die Förderung. Wir bringen konkrete aktuelle Herausforderungen in der Praxis von Betriebs- und Personalräten mitbestimmter Unternehmen und Organisationen mit wissenschaftlicher Expertise zusammen – betrieblich, regional, lösungsorientiert.