Neue Geschäftsfelder in der Elektromobilität
Start-up im Unternehmen als Ideenschmiede
Die Enercity AG steht vor der Aufgabe, neue Ideen für die Elektromobilität zu entwickeln und zu realisieren. Dies soll nicht außerhalb, sondern innerhalb des Unternehmens und innovativ im Rahmen einer dynamikrobusten Struktur und Kultur geschehen.

Neue Geschäftsideen und -modelle gedeihen in Unternehmen vor allem dann am besten, wenn hierfür Räume zur Verfügung stehen, die zu kreativer Arbeit in einer gewissen Unabhängigkeit zu den herkömmlichen unternehmenseigenen Produkten und Verfahren anspornen.
Im Trend liegt, dass in der Transformation viele Unternehmen diese kreativen Prozesse und Aufgaben auslagern. Sie vergeben sie an externe Auftragnehmer oder gründen ein eigenständiges Start-up mit einer eigenen Struktur und Innovationskultur. Das spart auf den ersten Blick Kosten. Überdies versprechen sich die Auftraggeber von solcher Art externalisierten „Experimentierräumen“ ein hohes Maß an kreativer Profession, das ihnen selbst nicht zur Verfügung steht. Hat sich eine Idee mit guten Aussichten auf Erfolg herauskristallisiert, wird diese ebenfalls häufig jenseits der eigenen Organisation des auftraggebenden Unternehmens, etwa in einer Tochterfirma, weiterentwickelt und zur Serienfertigung vorbereitet.
Die Gefahr einer solchen Auslagerung von kreativen und Entwicklungsprozessen aus Mutterunternehmen besteht allerdings darin, dass einerseits bei einer zu großen Nähe des Start-ups zur Mutter kreative Prozesse eingeschränkt werden könnten und andererseits im Fall einer zu großen Ferne zur Mutter das zu entwickelnde Geschäftsmodell nicht passgenau auf die gegebenen Rahmenbedingungen der Mutter abgestellt wird. Überdies könnte sich das Herkunftsunternehmen in seiner Innovationsfähigkeit selbst ausbremsen, wenn es die kreativen Prozesse und Verfahren in dem Start-up beziehungsweise in den externen Experimentierräumen belässt und keine Anstrengungen unternimmt, diese in die eigene Struktur und Unternehmenskultur zu integrieren.
Bei der Enercity AG haben Betriebsrat und Geschäftsführung deshalb einen anderen Weg gewählt. Ihnen ging es vor allem darum, die Entwicklung des neuen Geschäftsmodells Elektromobilität im Unternehmen zu belassen, um daraus Impulse für die zukunftsfähige Weiterentwicklung des gesamten Unternehmens zu beziehen. Auf diese Weise sollte die eigene Marke gestärkt und Beschäftigung dauerhaft gesichert werden.
Aus Sicht der betrieblichen Akteur*innen bedurfte es dazu vor allem zweierlei: auf der einen Seite „dynamikrobuster Strukturen“ – eine Wortschöpfung des Organisationsberaters Dr. Gerhard Wohland –, die im Verständnis des Betriebsrats die gegenseitige Befruchtung mit dem Mutterkonzern zulassen, aber offen genug für neue Zukunftsentwicklungen sind; auf der anderen Seite einer neuen Innovationskultur auf allen Ebenen des Unternehmens, die alle Beschäftigten einbezieht.
Insbesondere dem Betriebsrat war darüber hinaus wichtig, die Zersplitterung der Organisation durch die Auslagerung von Kreation, Entwicklung und Erprobung zu verhindern und das Risiko von damit einhergehenden negativen Folgen für die Beschäftigten und die Mitbestimmung zu minimieren.
Der Betriebsrat der Enercity AG in Hannover war es dann auch, der Anfang 2023 den Antrag bei der Hans-Böckler-Stiftung stellte, ein solches Vorhaben im Rahmen der Förderlinie Transformation wissenschaftlich begleiten zu lassen.
Das Projekt unter dem Titel „Vom StartUp zum `Unternehmen im Unternehmen´ – die Transformation eines Geschäftsmodells bei der Enercity AG in Hannover“ startete bereits kurz darauf im März 2023. Die Leitung des Projekts übernahm Dr. Claudia Niewerth vom Helex-Institut in Bochum, die dieses zusammen mit Julia Massolle, ebenfalls Helex-Institut, und in Kooperation mit dem Arbeitsdirektor der Enercity AG wie auch dem Verdi-Bezirk Hannover-Heide-Weser durchführte.
Die E-Mob als „Unternehmen im Unternehmen“
Zu diesem Zeitpunkt war bereits innerhalb des Unternehmens die „E-Mob“ als sozialpartnerschaftliche Initiative etabliert worden, um die Elektromobilität als neues Geschäftsmodell im Rahmen der eigenen Organisation zu entwickeln und auszugestalten. Die Frage „Ausgründung von Kreation und Entwicklung oder nicht?“ stand daher für das von der HBS geförderte Projekt gar nicht mehr im Raum. Vielmehr konnte sich das Projekt-Team von Anfang an voll und ganz auf die Ausgestaltung des E-Mob als innovatives Unternehmens-„Fraktal“ – das heißt: als selbstständig agierende Unternehmenseinheit mit klarer Ziel- und Leistungsvorgabe – konzentrieren.
Claudia Niewerth, Helex-Institut BochumDiese Organisationsform wurde vor allem deswegen gewählt, weil Enercity bereits mehrfach die Erfahrung gemacht hatte, dass in Start-ups oder in eigenständige Tochterfirmen ausgelagerte Entwicklungen für das Unternehmen selbst, aber auch für die Beschäftigten nicht ohne Risiko sind und häufig ihr Ziel verfehlen.
Die Initiator*innen des Projekts waren sich jedoch auch bewusst, dass die Integration von kreativen, Entwicklungs- und Ausbauprozessen in Unternehmenseinheiten – wie im Falle E-Mob – ebenfalls Probleme mit sich bringen könnte.
Claudia Niewerth, Helex-Institut BochumWegen ihrer Nähe zu Linienorganisationen sind neue Unternehmenseinheiten in der Regel anfällig, die Strukturen und Prozesse der Herkunftsorganisation unhinterfragt zu übernehmen, sodass strukturelle Innovationen oft nur bedingt gelingen.
Genau diese Gefahr sollte mit der wissenschaftlichen Begleitung des Vorhabens gebannt werden. Im Mittelpunkt des Projekts stand daher, die betrieblichen Akteur*innen dabei zu unterstützen, die E-Mob organisatorisch zu festigen und auf der Basis der gewonnenen Erkenntnisse Prinzipien für die Ausgestaltung von Arbeit und Beschäftigung, einer lebendigen Mitbestimmung und einer erfolgreichen Innovationskultur in fraktalen Organisationen zu erarbeiten. Daraus sollten dann Impulse erwachsen, um das gesamte Unternehmen zukunftsfähig weiterzuentwickeln. Deshalb sollte vor allem auf entstehende Konflikte etwa zwischen Management und Beschäftigten, Führungskultur und beteiligungsorientierter Prozessteuerung, Zusammenarbeit und individueller Verantwortung, individueller Leistung und kollektiv geregelter Vergütung fokussiert werden, um diese rechtzeitig zu erkennen und hierfür geeignete Lösungen zu finden.
Methodisch kombinierte das Projektteam Einzel- und Gruppeninterviews mit den beteiligten Stakeholdern – hier vor allem mit Beschäftigten, Mitgliedern des Betriebsrats, Führungskräften aus dem Unternehmen – und Reflexionsworkshops mit den Mitbestimmungsakteur*innen. Ergänzend dazu gab es Expertengespräche mit Gewerkschaftsvertreter*innen, um die in der Praxis beobachteten Probleme auf ratsame Regelungserfordernisse abzuklopfen.
Klare Vorteile der Nichtausgründung
Auf dem ersten Reflexionsworkshop wurden zunächst jeweils die Vor- und Nachteile der Nichtausgründung dieses mit dem E-Mob geschaffenen Experimentierraums erörtert und gegenübergestellt. Das sollte den Teilnehmenden die Möglichkeit geben, aus ihrer Praxis heraus, die Entscheidung für die E-Mob als „Unternehmen im Unternehmen“ zu bewerten.
Der bereits früh in der Diskussion vorgetragene Einwand, dass Entscheidungen in ausgegründeten Experimentierräumen aufgrund ihrer weitgehenden Unabhängigkeit schneller getroffen werden und deshalb effizienter agieren könnten, wurde schon bald durch weit stärker wiegende Argumente, die für ein „Unternehmen im Unternehmen“ sprachen, entkräftet. Einen enormen Vorzug der E-Mob als Integrationsmodell sahen die Workshopteilnehmer*innen unter anderem darin, dass für die dort Beschäftigten nach wie vor der Zugriff auf die gesamte Infrastruktur der Enercity AG gewährleistet ist. Auch die durch Enercity garantierte Liquidität werteten sie als großen Vorteil, weil die Belegschaft der neuen Unternehmenseinheit dadurch neue Ideen ohne großen zeitlichen und finanziellen Druck entwickeln und zur Reife bringen kann. Selbst die Einbindung in abteilungsübergreifende Kooperations- und Kontrollprozesse hat sich aus ihrer Sicht als positiv und effizienzsteigernd erwiesen.
Als weiteren Vorzug des Integrationsmodells bewerteten einige der Teilnehmende den Umstand, dass für alle E-Mob-Beschäftigten unverändert die gleichen (tariflichen) Konditionen gelten wie bei Enercity insgesamt. Bei dem Wechsel in die neue Unternehmenseinheit müssen sie daher weder Einbußen bei der Bezahlung noch Abstriche bei den sonstigen Arbeitsbedingungen befürchten. Diese tarifvertragliche Absicherung habe sich als wichtiger Faktor für eine starke Motivation der Beschäftigten erwiesen.
Für das Integrationsmodell E-Mob sprechen aus Sicht einiger Workshopteilnehmer*innen ferner die zuvor oft negativen Erfahrungen, die die Enercity AG mit einzelnen Ausgründungen gemacht hat. Einige bezogen sich in der Diskussion auf ein konkretes Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit, bei dem ein eigens mit Enercity für das ausgegründete Unternehmen abgeschlossener Tarifvertrag zur langfristigen Sicherstellung vergleichbarer Arbeitsbedingungen kurz, nachdem dieses dann verkauft wurde, seine Gültigkeit verlor.
Überdies äußerten die meisten Interviewten und Teilnehmer*innen der Reflexionsworkshops große Zuversicht im Hinblick darauf, dass sich die neue im E-Mob erprobte Innovationskultur auf das gesamte Unternehmen positiv auswirken und damit auch die Marke Enercity stärken werde. Sie gingen überwiegend davon aus, dass sich das gesamte Unternehmen angesichts der Transformation in der Energiebranche ohnehin perspektivisch neu aufstellen müsse. Da könne es von großem Vorteil sein, wenn es bereits auf die im E-Mob erprobten agilen Methoden und umfassenden Beteiligungsprozessen zurückgreifen könne, um die Motivation und das Empowerment aller Beschäftigten zu pushen und Innovationsprozesse insgesamt voranzutreiben.
Nicht zuletzt kam zur Sprache, dass eine Organisationsform wie die des E-Mob auch für die Mitbestimmung große Vorteile mit sich bringt. So bleibt der erfahrene Enercity-Betriebsrat weiterhin auch für die in der neuen Unternehmenseinheit Beschäftigten zuständig. Der Enercity-Betriebsrat hat bereits vor Jahren (2016) ein proaktives und beteiligungsorientiertes Selbstverständnis entwickelt und ist seither dabei, sich entsprechend zu qualifizieren und seine neue Rolle praktisch werden zu lassen. Im Mittelpunkt seiner Arbeit steht, sich verstärkt um zukunftsorientierte Konzepte zu kümmern, neue Arbeits- und Beteiligungsverfahren zu fördern und sich in der Transformation als Schlüsselakteur zu präsentieren.
E-Mob als Treiber für eine neue Innovationskultur
Die E-Mob als Treiber einer neuen Innovations- und Beteiligungskultur für die gesamte Enercity AG ist alles andere als ein Selbstläufer. Um den Transfer innovativer Ideen und Verfahren zu begünstigen, bedarf es insgesamt einer neuen Offenheit gegenüber neuen Geschäftsprozessen und Organisationsformen einerseits und einer stärker beteiligungsorientierten Kommunikation. Auch dies wurde in den Interviews und Reflexionsworkshops deutlich.
Ein Meilenstein ist, dass die Beschäftigten heute wöchentlich über zwei Stunden Informationsarbeit verfügen, in denen sie sich vorrangig mit Fragen der Unternehmenskultur befassen sollen. Das findet absolut selbstorganisiert statt.
Schnittstellen sorgfältig bearbeiten
Aber an diversen Schnittstellen zwischen der E-Mob und der Enercity AG „ruckelt“ es noch. Diese Schnittstellen stellen sich ohnehin als die Achillesferse des gesamten Vorhabens dar. Dessen langfristiger Erfolg hängt entscheidend davon ab, wie an diesen Punkten Konflikte gelöst werden, damit das innovative Potenzial der neuen Unternehmenseinheit sich entfalten und in dem gesamten Unternehmen Wurzeln schlagen kann.
Das betrifft beispielsweise die Vergütung und die Führungskultur bei der E-Mob. So hat das starke Wachstum bei der neuen Unternehmenseinheit während der Startphase dazu geführt, dass Beschäftigte Tätigkeiten ausführen, die nicht ihrer bisherigen, auf dem geltenden Tarifvertrag bei Enercity basierenden Stellenbeschreibung entsprachen. Dadurch kam es bereits zu Unmut unter den Betroffenen.
Das gleiche passierte, als vermehrt Probleme in der Führungskultur aufgrund eines Mangels an Führungskräften auftraten. Letztere konnten weitgehend gelöst werden, denn inzwischen wird E-Mob, das mittlerweile rund 70 Beschäftigte umfasst, von drei Geschäftsführenden geleitet.
Für Martin Bühre, Betriebsratsvorsitzender bei Enercity, sind „dynamikrobuste Strukturen“ eine wesentliche Voraussetzung für Zukunftsfähigkeit. Der Begriff bedeutet, dass das Unternehmen über die Fähigkeit verfügen muss, mit Unvorhersehbarkeiten und eine hohe Anzahl von Überraschungen umzugehen, um sich am Markt stabil und erfolgreich positionieren zu können. Diese aber müssen sich gleichzeitig rasch und dynamisch an Veränderungen auf dem Markt und sonstige externen Einflüsse anpassen können.
Claudia Niewerth, Helex-Institut BochumEine Konzernstruktur wie bei Enercity weist immer starke Elemente von Trägheit aus. Hier soll künftig eine andere Dynamik entstehen. "Wir müssen zugleich Tanker und Schnellboot sein": Diese Aussage fiel immer wieder während der Interviews und in den Reflexionsworkshops.
Die E-Mob will diesen Spagat zwischen Stabilität und Dynamik durch ein eigenes Budget, das eine gewisse Freiheit ermöglicht, bewältigen. Aber zugleich müssen die Beschäftigten auf einen Bestandschutz hinsichtlich ihrer ihre tarifvertraglichen Ansprüche und bezogen auf die Arbeitsbedingungen vertrauen können.
Überhaupt muss sich die E-Mob an Konzerngepflogenheiten orientieren: Irgendwann – wenngleich bisher ohne zeitliche Vorgabe – muss die neue Unternehmenseinheit Gewinne erwirtschaften und bis dahin eine Skalierungsstufe nach der anderen erfolgreich durchlaufen, um von Entwicklungs- hin zu Standardprozessen zu wechseln.
Das Ganze kann nur funktionieren, wenn der Vertrauensvorschuss, den die Enercity AG der neuen Unternehmenseinheit entgegenbringt, von der E-Mob auch eingelöst werden kann.
Claudia Niewerth, Helex-Institut BochumNoch befindet sich das interne Unternehmen in der Wachstumsphase mit hohen Freiheitsgraden – insbesondere auch für die Beschäftigten. Aber der Druck wird steigen, sobald die Entwicklungsprozesse verstetigt und in Standardprozesse überführt werden müssen; wenn Dynamik und Robustheit zusammenkommen müssen und das Ganze sowohl stärker professionalisiert als auch gewinnorientiert ablaufen muss.
Kein Automatismus bei Regelungsbedarfen
Eine Lösung in der Frage der Stellenbeschreibungen und angemessenen Vergütung steht noch aus. Da die meisten E-Mob-Beschäftigten einen Arbeitsvertrag mit der Enercity AG abgeschlossen haben, gelten für sie der Tarifvertrag und die auf dieser Basis vereinbarten Vergütungsregeln inklusive Stellenbeschreibungen. Doch letztere passen vielfach nicht mehr zu der in der E-Mob gelebten innovativen Praxis. Daher wurden Versuche unternommen, außerhalb des Tarifvertrags Vergütungsregeln zu erarbeiten, die die Differenz zwischen vertraglicher und marktüblicher Bezahlung ausgleichen sollen. Derartige Gratifikationen führen aber schnell dazu, dass zwei unterschiedliche Unternehmenswelten entstehen, die zwischen den Belegschaften für Unruhe sorgen können.
Claudia Niewerth, Helex-Institut BochumEnercity und E-Mob haben sich inzwischen darauf verständigt, nicht sofort eine Lösung zu finden, sondern erst einmal – ganz im Sinne einer lernenden Organisation – den Konflikt als Impuls mit allen seinen Facetten wahrzunehmen. Und zwar nicht allein als Problem der E-Mob, sondern gleichermaßen als Thema für das Unternehmen insgesamt. Es geht ja darum, Dynamik und Robustheit in der gesamten Organisation von Enercity neu auszuloten und eine zukunftsorientierte Unternehmenskultur zu etablieren
Das betrifft auch die Mitbestimmungskultur. Im Konflikt um die nicht mehr passenden herkömmlichen Stellenbeschreibungen stellte sich schon früh die Frage: Muss gleich ein neues Regelwerk her oder sollte man die Startphase der E-Mob zunächst abwarten und das bisherige System und Vorgehen eine zeitlang dulden bis sich das Problem zuspitzt und der Handlungsbedarf steigt. Konkret: Greift man schon früh in den Prozess ein und riskiert so gegebenenfalls eine harte Auseinandersetzung mit dem Arbeitgeber? Oder beobachtet man das Problem und seine Dynamik über einen begrenzten Zeitraum und in seinem gesamten Kontext, um zu einer robusten, gemeinsam getragenen und dauerhaften Lösung zu gelangen? Letzteres Vorgehen setzt natürlich voraus, dass sich alle betrieblichen Akteur*innen gegenseitig vertrauen – so wie dies bei Enercity schon lange der Fall ist.
Ähnliche Fragen stellten sich bei der E-Mob im Zusammenhang mit den Arbeitszeiten. Auch hierbei plädierten die Befragten dafür, bei Arbeitszeitkonflikten nicht sofort einem automatisierten Regulierungsprozess zu folgen, sondern sich Zeit zu nehmen um das dahinter liegende Problem, das nicht nur das E-Mob, sondern das Unternehmen als Ganzes betrifft, vielschichtig wahrzunehmen und anzugehen.
Bedingungen für den Erfolg
Die Auswertung der Aussagen der Interviewpartner*innen und Workshopteilnehmer*innen durch die Wissenschaftlerinnen lässt eine Reihe von Erfolgsbedingungen erkennen. Sie machen den Kern des Abschlussberichts und des Handlungsleitfadens des Projekt-Teams aus, die modellhaft die Ideenfindung und die Ausgestaltung von neuen Geschäftsmodellen in der Form eines „Unternehmens im Unternehmen“ beschreiben.
Für das Gelingen eines Integrationsmodells – wie das E-Mob der Enercity AG – sind vor allem guten marktliche Rahmenbedingungen entscheidend. Das absehbare Aus des Verbrennermotors veranlasste die Enercity AG, sich mit neuen zukunftsfähigen Geschäftsideen zu befassen. Das Geschäft mit der E-Mobilität boomte bereits, als sich das Unternehmen zur Gründung der neuen Unternehmenseinheit entschloss, um für sich das Geschäftsmodell Elektromobilität zu erschließen. Angesichts des in diesem Wachstumsfeld zu erwartenden Geschäftspotenzials, sah es sich überdies in der Lage, ein angemessenes Budget bereitzustellen, das nicht nur den Anschub des E-Mob, sondern auch dessen längerfristigen Ausbau zur Serienproduktion finanzieren sollte.
Eine weitere Erfolgsbedingung eines solchen Integrationsmodells ist die Bereitschaft des Unternehmens, Innovationen wirklich anzugehen. Die Enercity AG hatte sich entschieden, eine neue Innovationskultur zu etablieren, um sich auf allen Ebenen und in allen Bereichen zukunftsfähig weiterzuentwickeln. Diese sollte in der neuen Unternehmenseinheit E-Mob erprobt werden, perspektivisch aber im gesamten Unternehmen zum Zuge kommen. Die Enercity AG versprach sich davon einen regelrechten Entwicklungsschub. Dazu erarbeitete das Unternehmen für sich ein neues Selbstverständnis vor allem auf den Gebieten Kommunikation und Führung. Seither fokussiert sich das Management auf mehr Transparenz bei Entscheidungen, neue Beteiligungsstrukturen und eine positiv gelebte Mitbestimmungskultur.
Claudia Niewerth, Helex-Institut BochumHinzu kommt allerdings auch eine gute Portion Glück: Für das E-Mob gelang es, die richtigen Menschen zur richtigen Zeit zu gewinnen, die sich mit großer Motivation in dieser neuen Organisationsform ihrer Arbeit verschrieben hatten.
Ganz wesentlich zum Erfolg des E-Mob hat allerdings der Betriebsrat beigetragen. Von Anfang an brachte er sich mit neuen Konzepten und Ideen ein und nahm für sich selbst in Anspruch, seine Betriebsratsarbeit innovativ auszugestalten und kreative Prozesse zu befördern. Er sieht sich als Initiator und Moderator in enger Kooperation mit dem Management.
Claudia Niewerth, Helex-Institut BochumAm ehesten könnte man diese Art der Zusammenarbeit als "betriebliche Transformationspartnerschaft" beschreiben. Bei dieser Form einer erweiterten Sozialpartnerschaft geht es nicht in erster Linie um die Regulierung von Arbeitsbedingungen oder – wie bei der Konfliktpartnerschaft – darum, konstruktive Lösungen für Probleme zu finden. Betriebliche Transformationspartnerschaft bedeutet vielmehr: sozialpartnerschaftlich zu kooperieren, gemeinsam Zukunft zu entwickeln, visionär zu sein und zusammen an neuen Geschäftsideen, Zukunftsfeldern, Produkten und Prozessen zu arbeiten und hierbei das Know-how und die Kreativität der Beschäftigten einzubeziehen.
Innovative Betriebsratsarbeit bedeutet vor diesem Hintergrund, als Betriebsrat konzeptionell, strategisch und proaktiv zu agieren, sich für eine innovative Unternehmenskultur zu begeistern, Transparenz bei den Entscheidungen herzustellen und die Beschäftigten stärker in das Innovationsgeschehen einzubeziehen. Hierzu gibt der Handlungsleitfaden viele Hinweise.
Martin Bühre, Betriebsratsvorsitzender Enercity AGWir standen irgendwann vor der Frage: Wollen wir jedes Mal, wenn ein altes Geschäftsmodell wegbricht und wir etwas Neues entwickeln müssen, eine neue Gesellschaft gründen und am Ende zig Töchter haben und Enercity so Zug um Zug seine Identität verliert? Wir haben dann zusammen mit dem Arbeitsdirektor angefangen fraktal zu denken und die E-Mob als Unternehmen im Unternehmen zu konzipieren. Dieser hat dann zusammen mit dem Bereichsleiter auch seine Vorstandskolleg*innen überzeugt.
Die Energiewende und die digitale Transformation hat die Märkte verändert. Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz wird zum absoluten Game-Changer. Unsere Kunden verlangen nicht mehr nur einzelne neue Produkte, sondern integrierte Lösungen und das am liebsten in Echtzeit. Dies führt dazu, dass wir immer mehr Entscheidungskompetenz in die Peripherie legen müssen, also in die direkte Schnittstelle zum Kunden.
Das aber erfordert völlig neue Formen von Führung und Zusammenarbeit. Unsere Kolleg*innen müssen den Kunden auf eine gemeinsame Reise mitnehmen, ihm auf Augenhöhe begegnen und sich gleichzeitig auf immer neue Überraschungen einlassen. Da nichts vorhersehbar ist, müssen wir uns auf diese Marktdynamiken einstellen. Wir sehen darin auch immer Chancen.
Um das leisten zu können, greifen wir unter anderem die Impulse und Erfahrungen auf, die wir mit der E-Mob machen, um eine neue Innovationskultur im gesamten Unternehmen auf den Weg zu bringen. Im Kern geht es dabei um neue Formen der Zusammenarbeit jenseits der etablierten Führungsstrukturen. Wir nennen das `dynamikrobuste Strukturen´ und greifen das systematisch in unseren Development Centern auf. Dies alles ist auch elementarer Bestandteil unseres neuen Programms `2025 plus´, um das Unternehmen nachhaltig erfolgreich weiterzuentwickeln.
Das Wichtigste aber ist: Das Integrationsmodell garantiert den Beschäftigten, dass sie auch beim Wechsel in die neue Unternehmenseinheit in ihren Interessen vom Betriebsrat vertreten werden. Es gibt keine Unterbrechung und auch die Konditionen, unter denen sie bislang gearbeitet haben, bleiben die gleichen.
Ansprechpersonen des Projektes
Projektleiterin:
Dr. Claudia Niewerth, Helex Institut
Projektbearbeitung:
Julia Massolle, Helex Institut
Weitere Kooperationspartner:
Jan Orbach, ver.di - Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft Bezirk Hannover-Heide-Weser

Förderlinie Transformation
Digitale Transformation, Klimawandel, Energiekosten - Es gibt viele Treiber von Transformationsprozessen. Folgen für die Arbeitswelt sind u.a. ein hoher Veränderungsdruck auf allen Seiten, in Betrieben, Branchen und Regionen. Im Zentrum der neuen Förderlinie Transformation steht daher: Wir entwickeln sehr konkrete Projekte gemeinsam mit Praxispartner*innen und etablieren eine schnelle Entscheidungsfindung über die Förderung. Wir bringen konkrete aktuelle Herausforderungen in der Praxis von Betriebs- und Personalräten mitbestimmter Unternehmen und Organisationen mit wissenschaftlicher Expertise zusammen – betrieblich, regional, lösungsorientiert.