Mitbestimmungsjahr
Zukunftssymposium Mitbestimmung 2035
Drei Tage lang haben junge Gewerkschafter in Friedrichsthal über die Szenarien der Arbeitswelt von morgen diskutiert und wie sie heute mitgestaltet werden kann. Ein Bericht über die Kooperationsveranstaltung der Hans-Böckler-Stiftung mit der Arbeitskammer des Saarlandes.
Zukunftsdiskussion an einem geschichtsträchtigen Ort
Zwei Ziegelsteine und einen Taler brachte jeder Bergarbeiter mit. Und gemeinsam bauten sie sich und ihrer Bewegung ein Haus. Eine Heimstatt der Versammlung und des Austausches. Eine Keimzelle des Kampfes für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen. Das war im Jahr 1891. Der „Rechtsschutzsaal“ im saarländischen Friedrichsthal ist eine Wiege der deutschen Mitbestimmung. 125 Jahre und zwei industrielle Revolutionen später treffen sich an diesem traditionsreichen Ort auf Einladung der Hans-Böckler-Stiftung und der Arbeitskammer des Saarlandes junge Gewerkschafter, Jugend- und Auszubildendenvertreter und Studierende, um über die Mitbestimmung der Zukunft zu diskutieren.
Szenarien geben Orientierung
Es ist hilfreich, den „Blick zurück nach vorn“ zu richten. So wird die Herausforderung besser erkennbar, der sich die Gewerkschaften auf der Schwelle zur „Industrie 4.0“ heute gegenüber sehen. Digitalisierung, Internationalisierung, Flexibilisierung – das sind Stichworte, die den Wandel von Wirtschaft und Arbeit markieren. Die Arbeitswelt von morgen wird eine grundlegend andere sein. Die Frage ist: Was ist heute zu tun, um sie demokratischer zu gestalten? Welche Handlungsspiel-räume können in der Mitbestimmung genutzt werden, um „gute Arbeit für ein gutes Leben“ zu verwirklichen? Welche Strukturen und Instrumente können Gewerkschaften nutzen? Wie muss Mitbestimmung sich verändern, um als gestaltende Kraft wirksam zu bleiben?
Niemand kann heute mit Gewissheit sagen, wie sich Arbeit angesichts sich schnell verändernder Rahmenbedingungen verändern wird. Wer aber mitgestalten und etwas bewegen will, braucht eine Vorstellung vom Denkbaren und Machbaren, von denkbaren Entwicklungen und leistbaren Gestaltungsmöglichkeiten. In vier Szenarien hat die Hans-Böckler-Stiftung deshalb beschrieben, wie mögliche Entwicklungspfade bis zum Jahr 2035 aussehen könnten. Drei Tage lang erkunden und diskutieren die Teilnehmer gemeinsam diese Szenarien und gleichen sie mit der eigenen betrieblichen Erfahrungswelt ab.
In vier Themen-Workshops werden konkrete Chancen und Herausforderungen, Konflikte und Handlungsmöglichkeiten im Rahmen der vier Szenarien ausgelotet. Beispiel Digitalisierung: Wer wird wen steuern in der Arbeitswelt von morgen? Werden wir mehr Selbstbestimmung oder mehr Kontrolle am Arbeitsplatz erleben? Wie verändern sich die Qualifizierungsanforderungen? Was kann, was muss Mitbestimmung leisten?
Es geht darum, die richtigen Fragen zu stellen
Angesichts der absehbar dramatischen Umwälzungen, das wird schnell klar, gibt es heute mehr offene Fragen als Antworten. Gerade die Unsicherheit der zukünftigen Entwicklung zwingt aber dazu, Treiber und Einflussfaktoren zu identifizieren und über gewerkschaftliche Handlungsoptionen nachzudenken. Buchstäblich im Raum steht auch in Friedrichsthal die Frage: In welcher Zukunft wollen wir leben, und was können wir heute tun, um sie zu verwirklichen?
Solidarität organisieren wird nicht einfacher
Dramatisch stellt sich aktuell die Situation der deutschen Stahlindustrie dar. Der Preisverfall im globalen Wettbewerb spitzt sich weiter zu und treibt die Krise voran. Nicht nur die Vertreterinnen und Vertreter der Saarstahl AG sehen tausende Arbeitsplätze in Gefahr. Und stellen doch fest, wie schwierig mitunter die Mobilisierung vor allem junger Stahlwerker ist, gemeinsam und solidarisch für den Erhalt von Arbeit und Standorten zu kämpfen. „Wenn das schon schwierig ist, wie können wir die dann davon überzeugen, dass wir uns heute um die Probleme der Arbeit von morgen kümmern müssen? Um Veränderungen also, die absehbar, aber eben noch nicht richtig greifbar und erfahrbar sind?“ Und was ist mit der wachsenden Zahl von Crowd- und Clickworkern, die der „Zukunft der Arbeitswelt“ schon heute ein reales Gesicht geben und ein sichtbarer Ausdruck fortschreitender Individualisierung sind? – Wie lässt sich Solidarität organisieren, wie muss sich Mitbestimmung entwickeln, um gestaltenden Einfluss zu erhalten und zu erweitern? Das ist eine Frage, die im Kontext der unterschiedlichen Szenarien von den Teilnehmern immer wieder aufgebracht und diskutiert wird.
Mehr und bessere Orientierung für die Arbeit im Betrieb
Am Ende steht ein ebenso anschauliches wie anschaubares Ergebnis der dreitägigen Workshop-Arbeit. Eine Szenarien-Landkarte zeigt die Komplexität und Wirkungen möglicher Entwicklungen und markiert gewerkschaftliche Interventionsmöglichkeiten zur Gestaltung der Arbeitswelt im Jahr 2035: Wir sehen hohe Gipfel und tiefe Schluchten, breite Autobahnen und enge Einbahnstraßen, tiefe Tunnel und grüne Inseln – und Menschen, die sich darin zurechtfinden müssen. „Bei aller Unterschiedlichkeit im Ergebnis“, sagt ein junger Auszubildendenvertreter, „es gibt kein Szenario ohne Kampf“. Damit spricht er aus, was die meisten hier denken: Gute Arbeit für ein gutes Leben braucht nicht nur einen guten Kompass, sondern auch den gewerkschaftlichen Einsatz auf allen Ebenen.
Nach drei Tagen des Austausches und der gemeinsamen Arbeit sind auch die Fragen der Teilnehmer konkreter und vielschichtiger geworden. Und schließlich werden die „Sitzmöbel“ der Veranstaltung zu inhaltlichen Botschaftern: Auf zahlreichen Würfeln festgehalten, werden die Fragen im Mittelpunkt einer Kampagne der Hans-Böckler-Stiftung stehen. Im 40. Jubiläumsjahr des Mitbestimmungsgesetzes will die HBS dem Thema Mitbestimmung neue Schubkraft verleihen und die „Offensive Mitbestimmung“ des DGB verstärken.
Weiterführende Informationen
Mitbestimmung 2035 - Vier Szenarien
Einladung zur Diskussion über die Mitbestimmung
Wie wird die Arbeitswelt von morgen aussehen? Vier Szenarien – WETTBEWERB, VERANTWORTUNG, FAIRNESS & KAMPF – erkunden unterschiedliche aber gleichermaßen mögliche Zukunftsverläufe bis zum Jahr 2035.
„Mitbestimmung 2035“ ist ein Szenario-Projekt der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Abteilung Mitbestimmungsförderung der Hans-Böckler- Stiftung. Konzipiert und begleitet wurde der Prozess vom Institut für prospektive Analysen (IPA).
Hans-Böckler-Stiftung 2015, 98 Seiten
Ansprechpartner: Michael Stollt