Gute Praxis
Zukunftssicherung und Gute Arbeit
Darum geht's
Acht beim Betriebsrätepreis eingereichte Praxisbeispiele aus den letzten Jahren zeigen, wie Betriebsräte erfolgreich die Zukunft von ihren Unternehmen gesichert und sie mit innovativen Ideen neu aufgestellt haben.
Einführung
Die Gesellschaft und die Wirtschaft kämpfen aktuell mit den Auswirkungen verschiedener Krisen, die politischer, umweltbezogener, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Natur sind. Gleichzeitig müssen Unternehmen die Herausforderungen der Digitalisierung, des Technologiewandels und der Nachhaltigkeit meistern, um langfristig Krisen vorzubeugen.
Oftmals treten Unternehmen erst reaktiv kritischen Situationen entgegen und initiieren Restrukturierungs- oder Sanierungsmaßnahmen, um den negativen Effekten entgegenzuwirken. Diese Maßnahmen bringen häufig Kosteneinsparungen und damit verbundene Personalreduzierungen mit sich. Diese späte Reaktion bewirkt in den meisten Fällen jedoch keine nachhaltige Krisenbewältigung und somit keine Neuorientierung hinsichtlich der Umwelt- und Wettbewerbsveränderungen. Aus diesem Grund ist es für Unternehmen wichtig, potenzielle Ursachen von Krisen zu identifizieren und innovative Lösungen zu finden.
Vor dem Hintergrund dieser Vielzahl an Krisen ist die große Mehrheit der Unternehmen mit Veränderungen ihrer Anlagen, Einrichtungen und Infrastrukturen konfrontiert. Eine funktionierende Mitbestimmung kann den betrieblichen Erfolg der Transformation hin zu einer sozial gerechten und klimaneutralen Wirtschaft gewährleisten. Eine gute Sozialpartnerschaft bietet hierfür die Grundlage.
Wie haben es Betriebsräte geschafft, aktiv und strategisch ihre Unternehmen für die Zukunft aufzustellen? In Interviews mit Betriebsräten wurden die Ausgangslagen und die Projekte ausführlich dargestellt. Sie präsentieren inspirierende Ideen rund um das Thema Zukunftssicherung und Gute Arbeit. Je nach betrieblicher Situation wurden Lösungen erarbeitet und ausgehandelt, die im Falle der angedrohten Werksschließungen das weitere Bestehen des Unternehmens gewährleisteten und somit Arbeitsplätze sicherten. Bei der Erarbeitung der Betriebsvereinbarungen bewirkte die erfolgreiche Betriebsratsarbeit eine Verbesserung der wirtschaftlichen Situation des Unternehmens.
Mitbestimmungspraxis 62
Zukunftssicherung und Gute Arbeit
Die Publikation zum Deutschen Betriebsrätepreis zeigt acht Praxisbeispiele zu Zukunftssicherung und Gute Arbeit. Ziel ist die Vermittlung von Handlungs- und Orientierungswissen, etwa zu KI, Umweltschutz, Umstrukturierungen und der Verhinderung von Werksschließungen.
Das tun Betriebsräte – Ergebnisse im Überblick
Wie können Betriebsräte bei Trends wie Nachhaltigkeit und künstlicher Intelligenz proaktiv werden? Wie können die Beschäftigten bei der Planung von Restrukturierungsmaßnahmen eingebunden werden? Welche Partner sind als Unterstützung wichtig, um eigene Ideen und Konzepte zu erstellen?
Die acht Praxisbeispiele bilden ein breites Spektrum ab: die Einbindung von nachhaltigen Themen für einen verbesserten betrieblichen Umweltschutz, die transparente Gestaltung des Umgangs mit Systemen der künstlichen Intelligenz oder Gegenentwürfe zu betrieblichen Umstrukturierungen inklusive sozialverträglicher Personalreduzierung und Qualifizierungsmaßnahmen. Die Betriebsräte sind in neue Gebiete vorgedrungen und haben Kompetenzen der Strategieentwicklung, des Managements und der Personal- sowie Qualifizierungsplanung erlangt und aktiv angewendet. Auf kreative Art und Weise entwickelten sie neue Wege, um die Beschäftigten zu informieren, ihre Ideen einzuholen und sie am Transformationsprozess teilnehmen zu lassen. Insbesondere die Projekte gegen Standortschließungen zeigen eindringlich, dass ein starkes Unterstützernetzwerk mit den Beschäftigten, den Gesamt- und Konzernbetriebsräten, der Gewerkschaft, den Kunden, Beratungsfirmen und der Politik Großes bewirken kann.
Ein Überblick zu den einzelnen Projekten:
Commerzbank AG: Abbau von 10.000 Stellen ohne Kündigung
2021 verzeichnete die Commerzbank AG hohe Verluste und plante den Abbau von 10.000 Stellen. Der Betriebsrat entwickelte einen stufenweisen Plan, um das Personal konfliktarm zu reduzieren. In diesem Zuge wurden 20.000 Beschäftigte neu versetzt.
GE Grid GmbH: Verhinderung der Werksschließung
Aufgrund von Restrukturierungen von General Electric sollte die GE Grid GmbH in Mönchengladbach 2017 geschlossen werden, der Standort in Kassel zwei Jahre später. Die Betriebsräte erzielten das Weiterbestehen und eine Umstrukturierung.
Hauni Maschinenbau GmbH: Wir bauen die Fabrik der Zukunft – der Hauni-Weg
2019 stand die Hauni Maschinenbau GmbH im Zuge einer Reorganisation vor dem Abbau von 1.000 Stellen. Der Betriebsrat entwickelte ein Alternativkonzept. Die Beschäftigten waren von Beginn an durch beteiligungsorientierte Projekte am Prozess beteiligt.
Die Hüttenwerke Königsbronn: 653 Jahre Tradition dürfen nicht sterben
Die Hüttenwerke Königsbronn (heute HWK 1365 SE) waren nach drei Insolvenzen mit dem Ruin konfrontiert. Der Betriebsrat entwickelte einen Businessplan und sanierte mit der Hilfe der Kunden und der Belegschaft das Unternehmen erfolgreich.
IBM Central Holding GmbH: Konzernbetriebsvereinbarung zum Umgang mit Systemen der künstlichen Intelligenz
Der Konzernbetriebsrat der IBM Central Holding GmbH entwickelte eine Konzernbetriebsvereinbarung zum Umgang mit Systemen der künstlichen Intelligenz, da der Arbeitgeber Gehaltserhöhungen mithilfe einer KI ermitteln wollte.
KBF gGmbH: Betriebsvereinbarung „Betrieblicher Umweltschutz“
Um Nachhaltigkeit strukturell im Unternehmen zu verankern und die Beschäftigten für das Thema zu sensibilisieren, schloss der Betriebsrat der KBF gGmbH eine Betriebsvereinbarung zum betrieblichen Umweltschutz ab.
K+S Minerals and Agriculture GmbH: Zukunftssicherung Werk Werra
Das Werk Werra der K+S Minerals and Agriculture GmbH stand in den letzten Jahren vor wirtschaftlichen und ökologischen Herausforderungen. Mitte 2021 wollte der Konzern das Werk schließen, doch der Betriebsrat ermöglichte eine Transformation.
Siemens Energy Compressors GmbH: Der Plagwitzer Weg
Im Zuge einer deutschlandweiten Abbauwelle der Siemens AG im Jahr 2018 wurde die Schließung der Siemens Energy Compressors GmbH in Leipzig angekündigt. Mit einem alternativen Businessplan wendete der Betriebsrat die Schließung ab.
Commerzbank AG: Abbau von 10.000 Stellen ohne Kündigung
2021 verzeichnete die Commerzbank AG hohe Verluste und plante den Abbau von 10.000 Stellen. Der Betriebsrat entwickelte einen stufenweisen Plan, um das Personal konfliktarm zu reduzieren. In diesem Zuge wurden 20.000 Beschäftigte neu versetzt.
Das Unternehmen
Die Commerzbank mit Sitz in Frankfurt am Main ist die führende Bank im deutschen Mittelstand und betreut 11 Millionen Privat- und Unternehmerkunden. Sie ist ein wichtiger Partner im Wealth-Management und bei der Abwicklung des deutschen Außenhandels mit einem Marktanteil von etwa 30 Prozent. Ende 2023 beschäftigte die Bank weltweit 42.000 Mitarbeitende, davon 28.000 in Deutschland. Sie hat neben dem Gesamtbetriebsrat mit 52 Mitgliedern 23 Betriebsräte an den verschiedenen Standorten.
Stufenweiser Lösungsansatz als Kündigungsschutz
2021 war die Commerzbank mit einem Milliardenverlust konfrontiert. 10.000 Stellen sollten gestrichen und 600 Filialen geschlossen werden. Der Gesamtbetriebsrat (GBR) erreichte strategische Änderungen, wie die Installation von zwölf statt zwei Beratungscenter. Somit sicherte er hochwertige Beratungsjobs und Know-how.
Ein Problem war der fehlende Kündigungsschutz. Zur Vermeidung von Kündigungen entwickelte der GBR eine achtstufige Kaskade: (1) natürliche Fluktuation, Sozialplaninstrumente; (2) kollektive Arbeitszeitverkürzung; (3) Beschäftigungssicherung und Vermittlung; (4) Betroffene werden bei interner Besetzung bevorzugt; (5) Mitarbeitende werden am externen Markt vermittelt; (6) übergreifendes Standortkonzept; (7) Bildung von Versetzungsketten; (8) betriebsbedingte Kündigung. Eine Verlängerung des Vorruhestands auf sieben Jahre sorgte für einen Abbau älterer Beschäftigter. Abfindungen mit Sprinterprämien wurden jungen Mitarbeitenden angeboten.
Uwe Tschäge, Gesamtbetriebsratsvorsitzender, Konzernbetriebsratsvorsitzender und stellvertretender AufsichtsratsvorsitzenderDie Kaskade wirkt so gut wie ein Kündigungsschutz. Der Arbeitgeber kommt kaum zum letzten Punkt, zur Kündigung, weil es davor viele Zwischenschritte gibt.
Präferenzabfrage erleichtert Kreuzversetzen
Die gleichzeitige Neuorganisation der Bank mit der Schaffung von neuen Positionen resultierte in einem Kreuzversetzen von weiteren 20.000 Beschäftigten. Ein zentraler Aspekt dafür war die Beteiligung aller Mitarbeitenden über eine Präferenzabfrage, die ihnen die Mitbestimmung über ihre berufliche Zukunft ermöglichte. In diesem Zusammenhang akzeptierte der GBR nur komplette Versetzungsbilanzen mit passenden Lösungen für alle Mitarbeitenden. Dies verlangte intensive Verhandlungen.
Der gesamte Prozess dauerte nur eineinhalb Jahre, dank des Konzepts „Schnelligkeit gegen Preis“. Der Betriebsrat versprach dem Arbeitgeber zügige Verhandlungen im Austausch für faire Sozialpläne.
Uwe Tschäge, Gesamtbetriebsratsvorsitzender, Konzernbetriebsratsvorsitzender und stellvertretender AufsichtsratsvorsitzenderWir haben dieses strenge Verfahren mit dem Druck durchgekriegt, dass wir auf der einen Seite gesagt haben, dass wir höchst konfliktbereit sind. Auf der anderen Seite sind wir auch bereit, mit Sondersitzungen und schnellen Abschlüssen rasch Klarheit für den Arbeitgeber und die Mitarbeiter zu schaffen.
Innovationskraft der Betriebsräte
Trotz seiner Erfahrungen aus früheren Umstrukturierungen entwickelte der Betriebsrat neue Maßnahmen für den Personalabbau (z. B. Wiederbelebung des Vorruhestands). Auch virtuelle Informationsveranstaltungen und Betriebsversammlungen in Form einer „Radiosendung“ erwiesen sich während der Covid-19-Pandemie als innovative Lösung.
Finaler Ratschlag an andere Betriebsräte
Uwe Tschäge rät Betriebsräten in ähnlichen Situationen wichtige Akteure wie den GBR oder den Konzernbetriebsrat zusammenbringen, um sich ein klares Bild der Lage zu verschaffen. Danach sollten Aufgaben verteilt, Ziele festgelegt und die Gewerkschaft kontaktiert werden. Wichtig ist auch, die Belegschaft zu informieren und Einigkeit zu erzielen, indem der Betriebsrat seine Einschätzungen und Pläne darlegt.
Kontakt: uwe.tschaege@commerzbank.com
GE Grid GmbH: Verhinderung der Werkschließung
Aufgrund von Restrukturierungen von General Electric sollte die GE Grid GmbH in Mönchengladbach 2017 geschlossen werden, der Standort in Kassel zwei Jahre später. Die Betriebsräte erzielten respektive das Weiterbestehen und eine Umstrukturierung.
Das Unternehmen
General Electric (GE), ein US-amerikanischer Mischkonzern, arbeitet an regenerativer Energiegewinnung, innovativen Medizinlösungen und effizienten Transportmöglichkeiten. Die GE Grid GmbH in Mönchengladbach baut Transformatoren für die Stromübertragung in Deutschland und Frankreich, beschäftigt 306 Mitarbeitende und hat 9 Betriebsratsmitglieder. Die GE Grid Solutions in Kassel mit 196 Beschäftigten und 7 Betriebsratsmitgliedern produziert Komponenten für Umspannwerke und dient als Servicezentrum für Zentraleuropa.
Der erste Kampf fand in Mönchengladbach statt
Im Jahr 2017 stand General Electric wirtschaftlich unter Druck. Trotz guter Auftragslage verkündete der Konzern am 07. Dezember 2017 die Schließungsabsicht für die GE Grid GmbH in Mönchengladbach.
Der Betriebsrat des Werks zeigte mit Unterstützung seitens der Belegschaft, der IG Metall, der Politik auf Landes- und Bundesebene und der Medien sofortigen Widerstand. Er zog Großkunden auf seine Seite, die mit Vertragskündigungen drohten.
Falk Hoinkis, ehemaliger Betriebsratsvorsitzender am Standort Mönchengladbach, Vorsitzender des Europäischen Betriebsrats, stellvertretender AufsichtsratsvorsitzenderDas ist wirklich eine gesamtdeutsche Leistung, denn der Gesamtbetriebsrat war gleichfalls sehr aktiv. Alle Standorte standen hinter uns. Zu Demos in Mönchengladbach sind alle angereist.
Die entscheidende Wende kam bei einem Vier-Augen-Gespräch von Falk Hoinkis mit dem Europa-Chef. Das Konzernmanagement änderte daraufhin seine Haltung und es wurde ein Konzept zur Werkssicherung entwickelt. Lediglich 71 Stellen wurden sozialverträglich abgebaut.
Der Kampf in Kassel folgte zwei Jahre später
Ende 2019 stand der Standort von GE Grid Solutions in Kassel aufgrund des Plans einer Standortverlagerung in die Schweiz vor der Schließung. Trotz zuvor teilweise negativer Betriebsergebnisse hatten die profitablen Produkte weiterhin Potenzial. Der Betriebsrat entschied sich für eine ähnliche Strategie wie in Mönchengladbach. Auch hier konnte er die Kunden und die Politik auf seine Seite ziehen.
Zudem stellte sich das Schweizer Management solidarisch hinter die Kasseler Belegschaft, da ihnen das technische Know-how für die Produktion des Produkts fehlte. Auch dank der Unterstützung im Europäischen Betriebsrat konnte der Betriebsrat seine Position stärken.
Falk Hoinkis, Verhandlungsführer für den Standort KasselDa haben wir gezeigt, dass wir eine Einheit sind. Die Franzosen, die Finnen und Engländer – alle haben uns unterstützt. Also dieser Zusammenhalt war ein unheimlicher Brocken fürs Management, an dem sie sich die Zähne ausgebissen haben.
Der Betriebsrat entwickelte zusammen mit dem INFO-Institut ein Alternativkonzept. Die entscheidende Wendung kam auch hier durch ein Vier-Augen-Gespräch von Falk Hoinkis mit einem hochrangigen US-Manager. Man entschied sich für das entwickelte Alternativkonzept und einen sozialverträglichen Personalabbau. Das Abfindungs- und Freiwilligenprogramm wird von der IG Metall als Best-Practice-Beispiel bezeichnet. Letztendlich konnte der Betriebsrat die Schließung des Werks in Kassel verhindern.
Erfolgreiches Aufbäumen gegen einen Weltkonzern
Die Betriebsratsvorsitzenden der Standorte Mönchengladbach und Kassel betonen, dass der Erfolg im Kampf gegen das Konzernmanagement das Ergebnis eines starken, geeinten Teams war. Der Zusammenhalt innerhalb der Belegschaft und der Betriebsräte, die enge Zusammenarbeit zwischen den Standorten, dem Gesamtbetriebsrat, dem Europäischen Betriebsrat, der IG Metall, der Politik und der Presse waren ausschlaggebend.
Kontakt: benjamin.heinicke@ge.com | guido.hiepen@ge.com
Hauni Maschinenbau GmbH: Wir bauen die Fabrik der Zukunft – der Hauni-Weg
2019 stand die Hauni Maschinenbau GmbH im Zuge einer Reorganisation vor dem Abbau von 1.000 Stellen. Der Betriebsrat entwickelte ein Alternativkonzept. Die Beschäftigten waren von Beginn an durch beteiligungsorientierte Projekte am Prozess beteiligt.
Das Unternehmen
Die Geschichte des Unternehmens begann 1946, als Kurt A. Körber in Hamburg eine Werkstatt für Zigarettenmaschinen reparierte und später die Firma Hanseatic Universelle (Hauni) gründete. Über die Jahre wuchs Hauni zur führenden Anbieterin von Technologien und Services für die Tabakindustrie heran. Die Hauni Group umfasste die Hauni Maschinenbau GmbH und drei Tochterunternehmen, die 2022 im Zuge einer Transformation zur Körber Technologies GmbH verschmolzen.
Der Ursprung des Hauni-Wegs
Anfang 2019 kündigte das Management aufgrund zu hoher Kosten die Verkleinerung der Fertigung und Montage sowie den Abbau von 1.000 Stellen an. Der Betriebsrat entwickelte daraufhin ein eigenes Konzept ohne Entlassungen als Gegenentwurf zum Reorganisationsvorhaben der Geschäftsführung.
Die Eckpfeiler des Hauni-Wegs
Zuerst ermittelte der Betriebsrat mit einer Online-Umfrage unter den Beschäftigten die Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken des Unternehmens. Auf der Basis dieser Ergebnisse entwickelte ein Lenkungskreis (Betriebsrat, IG Metall, Beratungsfirma) das Alternativkonzept, bei dem durch eine Zusammenführung aller Betriebe Geld eingespart werden sollte. Trotz anfänglichem Widerstand stimmte die Geschäftsführung dem Alternativkonzept zu.
Anschließend einigten sich Konzern, Betriebsräte und IG Metall auf die Eckpunkte einer nachhaltigen Unternehmensentwicklung. Prozesse sollten optimiert, Kundenorientierung erhöht und das Unternehmen zum Servicedienstleister umgebaut werden. Zudem wurde die Mitbestimmung durch Change-Projekte gefördert, in denen Beschäftigte und Führungskräfte gemeinsam neue Prozesse entwickelten.
Von den zu streichenden 1.000 Stellen wurden 300 gerettet, 690 Mitarbeitende verließen das Unternehmen freiwillig, oft über Altersteilzeitregelungen oder Aufhebungsverträge.
Aktive Personalplanung trotz fehlender Mitbestimmungsrechte
Ein Zukunftstarifvertrag wurde abgeschlossen, um die langfristige Beschäftigung der Mitarbeitenden zu sichern. Der Betriebsrat setzte auf Freiwilligkeit bei der Altersteilzeit und dem Freiwilligenprogramm. Anstelle von Transferlösungen setzte man auf Transformation: Überschüssige Beschäftigte wurden für neue Positionen umgeschult. Ein Stellenbesetzungsprozess und vereinbartes Qualifikationsgeld sicherten die Umschulungen ab.
Der Betriebsrat verhandelte insgesamt 26 Betriebsvereinbarungen, auch zu Themen ohne direkte Mitbestimmungsrechte, wie der Personalplanung. Sie dient nun auch als Frühwarnsystem für zukünftige Personalveränderungen.
Bernd Arend, stellvertretender BetriebsratsvorsitzenderWir haben das Betriebsverfassungsgesetz zwar angelegt, aber an der ein oder anderen Stelle haben wir es gebogen. Das Betriebsverfassungsgesetz ist kein besonders scharfes Schwert, sondern nur auch mal mit einer Drohung, das und das zu tun, ist der Arbeitgeber bereit, dann auch mal etwas anders zu machen.
Fazit
„Gemeinsam stark“: Die Betriebsräte bewiesen durch die Beteiligung der Beschäftigten, dass es Alternativen zu Verlagerungen und Teilschließungen gibt. Der Hauni-Weg gilt als Best Practice im Körber-Konzern und steht für einen erfolgreichen, sozial und demokratisch gestalteten Transformationsprozess.
Im Zuge dieses Transformationsprozesses vollzogen sich auch ein Kulturwandel und eine Stärkung des Selbstvertrauens der Betriebsräte und der Beschäftigten.
Bernd Arend, stellvertretender BetriebsratsvorsitzenderIch würde anderen Betriebsräten raten, in Zukunft mutiger zu sein. Seid kreativ, und traut euch etwas zu, denn man kann nur dann eine ganze Menge mehr bewegen, wenn man sich nicht nur mit anwaltlichem Rat im Rahmen des Betriebsverfassungsgesetzes bewegt.
Kontakt: uwe.zebrowski@koerber.com
Die Hüttenwerke Königsbronn: 653 Jahre Tradition dürfen nicht sterben
Die Hüttenwerke Königsbronn (HWK 1365 SE) waren nach drei Insolvenzen mit dem Ruin konfrontiert. Der Betriebsrat entwickelte einen Businessplan und sanierte mit der Hilfe der Kunden und der Belegschaft das Unternehmen erfolgreich.
Das Unternehmen
Die Hüttenwerke Königsbronn, die HWK 1365 SE, ist ein Unternehmen der Schwerindustrie in Königsbronn in Baden-Württemberg. Es ist der älteste Industriebetrieb in Deutschland. Kalanderwalzen aus Schalenhartguss zur Papierherstellung sind das Hauptprodukt des Portfolios. Die Hüttenwerke sind Weltmarktführer. Im Jahr 2024 beschäftigt das Unternehmen 114 Mitarbeitende; der Betriebsrat besteht aus 5 Mitgliedern.
Investoren treiben das Unternehmen an den Rand des Ruins
Nachdem sich die Landesregierung aus der Staatsbeteiligung Anfang der 2000er-Jahre herauszog, verkauften drei verschiedene Investoren Gebäude, Grundstücke und den Maschinenpark und zogen Geld aus dem Unternehmen. Trotz voller Auftragsbücher konnten aufgrund fehlenden Geldes weder Rohstoffe noch Material gekauft werden. Es wurde die dritte Insolvenz angemeldet und im Februar 2019 allen Beschäftigten gekündigt.
Mit Businessplan und Bürgschaft das Unternehmen sanieren
Ein glücklicher Zufall brachte den damaligen Betriebsratsvorsitzenden mit einem Betriebswirtschaftler zusammen, die zusammen einen Businessplan aufstellten. Eine Wirtschaftlichkeitsprüfung stellte 1 Million Euro als benötigte Finanzspritze zur Firmenrettung fest. Seitens der Politik erhielt das Unternehmen keine Unterstützung. Auf Raten der IG Metall kontaktierte der Betriebsrat das Beratungshaus One Square, dessen Geschäftsführer zur Rettung als Bürgen fungierten.
Zu jener Zeit gab es keinen Geschäftsführer bei den Hüttenwerken, wodurch der Betriebsrat in Abstimmung mit den beiden Geschäftsführern von One Square die Zügel des Werks selbst in die Hand nahm.
Die Belegschaft wurde auf das Nötigste reduziert, die auf Teile ihres Gehalts und auf tarifliche Zusatzzahlungen verzichteten. Als Gegenleistung erhielten sie ein Drittel der Firmenanteile. Ein weiterer Eckpunkt des Businessplans war die Anlauffinanzierung durch loyale Kunden, die eine Preiserhöhung und Vorkasse von 35-65 Prozent des Verkaufspreises akzeptierten.
Mariano Faraci, BetriebsratsvorsitzenderDiese Absprache mit den Kunden existiert teilweise immer noch. Die Kunden sind uns sehr entgegengekommen, auch in dem Wissen, dass wenn wir als Walzenhersteller ausfallen sollten, es nur noch eine Firma im Siegerland geben würde, und sie hätte dann das Monopol.
Die Hüttenwerke Königsbronn waren somit vor der Insolvenz gerettet.
Die Zeit nach der Insolvenz
Obwohl das Unternehmen anschließend Gewinne erzielte, stand das Risiko einer erneuten Insolvenz immer wieder im Raum. Mittlerweile ist das Unternehmen wieder gut aufgestellt und die Zukunft sieht rosig aus. Einige gekündigte Beschäftigte konnten zurückgeholt werden.
Das Weiterbestehen des Unternehmens ist vor allem der Aufopferung seitens des Betriebsrats und der Belegschaft zu verdanken. Durch den gemeinsamen Kampf und das gemeinsame Leid wurde das Wirgefühl in der Belegschaft gestärkt. Sie haben für den Erhalt des Unternehmens gekämpft, da sie sich alle sicher waren, dass 653 Jahre Tradition (1365–2018) nicht sterben dürfen.
Mariano Faraci, BetriebsratsvorsitzenderUnsere Erfahrung: ‚Gib niemals auf!‘ Wir stecken den Kopf niemals in den Sand. Auch durch die Mithilfe von externen Kräften haben wir eine Lösung gefunden, um die Firma weiterzuführen. Natürlich mit Opfern hinsichtlich der Lohnkürzungen. Aber wir machen trotzdem weiter, weil wir unseren Job und unsere Firma lieben.
Kontakt: mariano.faraci@gmx.de
IBM Central Holding GmbH: Konzernbetriebsvereinbarung zum Umgang mit Systemen der künstlichen Intelligenz
Der Konzernbetriebsrat der IBM Central Holding GmbH entwickelte eine Konzernbetriebsvereinbarung zum Umgang mit Systemen der künstlichen Intelligenz, da der Arbeitgeber Gehaltserhöhungen mithilfe einer KI ermitteln wollte.
Das Unternehmen
Die IBM Central Holding GmbH ist eine Tochter des US-amerikanischen IBM-Konzerns, der eines der weltweit führenden Unternehmen für branchenspezifische Produkte und Dienstleistungen im IT-Bereich ist. Die IBM Central Holding GmbH koordiniert das operative Geschäft für den deutschen Markt. Sie bietet Hardware, Software, IT-Dienstleistungen und IT-Beratung an. Der Konzernbetriebsrat (KBR) hat 14 Mitglieder, die 7 GmbHs vertreten.
Kritische Fragen zum Einsatz von KI-Systemen
IBM als IT-Unternehmen entwickelt selbst KI-basierte Software, die vor der Markteinführung betriebsintern geprüft werden – vor allem in den deutschen Tochterunternehmen mit ihren Mitbestimmungsrechten.
2019 wurde von IBM ein KI-System angekündigt, das Führungskräften Empfehlungen für die Gehaltserhöhung ihrer Mitarbeitenden geben sollte. Trotz vieler Chancen mussten aufgrund der Nutzung personenbezogener Daten die Risiken genau bewertet werden. Kritische Fragen veranlassten den KBR, eine Konzernbetriebsvereinbarung (KBV) aufzusetzen, um die Anwendung der KI-Systeme zu regeln und Führungskräften den Umgang mit deren Entscheidungen zu erleichtern.
Agile Projektarbeit zur Einstellung der KBV
Im Oktober 2019 begannen der KBR und die Personalabteilung mit der Entwicklung der KBV. Zur Vorbereitung erarbeitete sich der Betriebsrat mit Literatur ein Überblickswissen und erhielt in Workshops fachliche Expertise durch interne KI-Expertinnen und Experten. Im November starteten die Verhandlungen. Die Hauptthesen bereits existierender Entscheidungen von IBM, von der Enquete-Kommission „Künstliche Intelligenz“ des Deutschen Bundestags und der Europäischen Union bildeten die Grundlage für die KBV.
Frank Remers, Konzernbetriebsratsvorsitzender und Verhandlungsführer für diese KBVWir hatten sieben Punkte, die wir auf jeden Fall in die BV schreiben wollten. Der Arbeitgeber und der Betriebsrat haben jeweils keinen Text mitgebracht, sondern wir haben im Top-down-Verfahren die Punkte besprochen.
Da es keine Vorstellung eines konkreten Endergebnisses gab, konnten beide Seiten ergebnisoffen in die Ausarbeitung der KBV einsteigen. Diese agile Herangehensweise war ein Erfolgsfaktor für eine konfliktarme, schnelle und zielstrebige Zusammenarbeit. Es war zudem wichtig zu akzeptieren, dass die KBV auf einer gewissen Abstraktionsebene bleiben und nicht jede Eventualität klären können sollte. Der erste Entwurf sollte eine 80-Prozent-Lösung sein, bei Bedarf könnten die restlichen 20 Prozent nachgearbeitet werden – eine sich auszahlende Methode.
Der Inhalt der KBV
Die KBV hat das Ziel, einen Geltungsbereich für die Regelung des Einsatzes von KI-Systemen festzulegen, der die Mitwirkungsrechte der Mitbestimmungsgremien berücksichtigt. Dabei werden sieben Grundsätze angewendet: (1) Transparenz des KI-Systems; (2) Erklärbarkeit des Ergebnisses; (3) Sicherstellung menschlicher Entscheidungen; (4) Einhaltung von Nicht-Diskriminierung; (5) Qualitätssicherung/Robustheit von Eingangsdaten und Algorithmen; (6) Einrichtung eines KI-Ethikrats und Sicherstellung eines Regelkreises; (7) Bewertung in einem Gefährdungsspektrum. IBM ist vor allem die Sicherstellung menschlicher Entscheidungen wichtig, da die finale Entscheidung über Vorschläge der KI-Systeme durch einen Menschen getroffen werden soll.
Fazit
Eine solche KBV für die Nutzung von KI-Systemen war in dieser Form die erste in Deutschland. Sie wird aktuell bei der IBM Central Holding GmbH nicht nur intern zur Bewertung von KI-Systemen, sondern auch bei Kunden als Teil des Beratungsservices des Unternehmens genutzt.
Kontakt: frank.remers@de.ibm.com
KBF gGmbH: Betriebsvereinbarung „Betrieblicher Umweltschutz“
Um Nachhaltigkeit strukturell im Unternehmen zu verankern und die Beschäftigten für das Thema zu sensibilisieren, schloss der Betriebsrat der KBF gGmbH eine Betriebsvereinbarung zum betrieblichen Umweltschutz ab.
Das Unternehmen
Die KBF gGmbH betreut seit über 50 Jahren Menschen mit und ohne Behinderung in den Landkreisen Tübingen, Reutlingen und im Zollern-Alb-Kreis in Baden-Württemberg. In 78 Einrichtungen an 25 Standorten werden 1.700 Menschen von 17 Betriebsrätinnen und Betriebsräten repräsentiert. Jeder Mensch erfährt bei der KBF nach individuellen Fähigkeiten und Möglichkeiten die bestmögliche Unterstützung.
Die Entwicklung der Betriebsvereinbarung
Der Betriebsratsvorsitzende Timo Heimberger setze einen ersten Impuls zum Thema Nachhaltigkeit im Betriebsratsgremium, welches einen Nachhaltigkeitsausschuss etablierte. Die Geschäftsführung lehnte das Thema zuerst mit dem Verweis ab, dass Nachhaltigkeit nicht mitbestimmungsrelevant sei. Das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) beinhaltet zwar keine Mitbestimmungsrechte, um Nachhaltigkeit in Unternehmen voranzutreiben, allerdings besagt § 80, dass der Betriebsrat für den „betrieblichen Umweltschutz“ zuständig ist. Der Betriebsrat erarbeite folglich eine freiwillige Betriebsvereinbarung (BV).
Felix Müller, Betriebsratsmitglied im NachhaltigkeitsausschussWir haben dann einfach nicht locker gelassen und immer wieder Vorschläge gemacht. Wir haben geschaut, wie wir irgendwie durch die Hintertür einen Fuß reinbekommen und wie wir die Paragrafen im BetrVG auslegen können.
Der erste Entwurf der BV wurde aufgrund der eingebauten am Pariser Klimaabkommen von 2015 orientierenden Werte und Zielmarken abgelehnt, da diese vor allem aufgrund der Unternehmensform als gemeinnütziges Sozialunternehmen und den daraus folgenden Abhängigkeiten bei der Finanzierung nicht eingehalten werden können. Die Geschäftsführung schlug vor, stattdessen eine Geisteshaltung zu beschreiben, um Nachhaltigkeit in die Unternehmenskultur aufzunehmen.
Nach fast zwei Jahren trat die Betriebsvereinbarung „Betrieblicher Umweltschutz“ mit Nachhaltigkeit als Unternehmensziel am 1. Juni 2022 in Kraft.
Der Inhalt der BV: Nachhaltigkeit strukturell verankern
Folgende fünf Absprachen wurden in die Betriebsvereinbarung verankert: (1) Verringerung des Energieverbrauchs durch die Nutzung regenerativer Energiequellen; (2) Neubeschaffung von Gegenständen unter Berücksichtigung nachhaltiger Kriterien; (3) Austausch des Fuhrparks durch Fahrzeuge mit alternativem Antrieb; (4) Qualifizierung der Beschäftigten zum Thema Nachhaltigkeit; (5) Wiederverwendung von ausrangierten Gegenständen.
Das Thema Nachhaltigkeit wurde in die betrieblichen Strukturen aufgenommen und erhielt Einzug in ausgewählte Gesprächstermine, Foren, Betriebsversammlungen und einer eigenen Rubrik in der Betriebsratszeitschrift, um die Beschäftigten aktiv in den betrieblichen Umweltschutz einzubeziehen. Für deren Sensibilisierung wurde auch das betriebliche Vorschlagswesen genutzt. Mitarbeitende werden motiviert, eigene Ideen für mehr Nachhaltigkeit zu äußern. Zudem entwickelte der Betriebsrat eine Fortbildung zum Thema Nachhaltigkeit.
Beispiele innovativer Projekte für mehr Nachhaltigkeit
Durch den neuen Fokus auf Nachhaltigkeit entstanden verschiedene innovative Projekte wie zum Beispiel die vermehrte Nutzung regenerativer Energien in Form von Photovoltaikanlagen und die Einführung eines „Veggie Day“. Außerdem wurde die Außenanlage umgestaltet, um die Artenvielfalt zu fördern und den Pflegeaufwand der Pflanzen zu reduzieren.
Die Betriebsvereinbarung ist Pionierarbeit
Mit der BV zum betrieblichen Umweltschutz ist die KBF ein Pionier auf dem Gebiet. Neben sozialen, ökologischen und ökonomischen Vorteilen sieht der Betriebsrat die große Chance, damit ein Branding für das Unternehmen aufzubauen. Das Prinzip Nachhaltigkeit ist somit sowohl Werkzeug auch als Ziel. Der Betriebsrat plant auch zukünftig, trotz mangelnder Mitbestimmungsmöglichkeiten die BV zu erweitern.
Kontakt: t.heimberger@kbf-na.de
K+S Minerals and Agriculture GmbH: Zukunftssicherung Werk Werra – „Werra 2060“
Das Werk Werra der K+S Minerals and Agriculture GmbH stand in den letzten Jahren vor wirtschaftlichen und ökologischen Herausforderungen. Mitte 2021 wollte der Konzern das Werk schließen, doch der Betriebsrat ermöglichte eine Transformation.
Das Unternehmen
Die K+S-Aktiengesellschaft mit Sitz in Kassel in Hessen ist weltweit einer der größten Salzproduzenten. Das Werk Werra ist ein Standort der K+S Minerals and Agriculture GmbH. Neben Düngemitteln werden Vorprodukte für technische und industrielle Anwendungen sowie für die Pharma-, Lebensmittel- und Futtermittelindustrie hergestellt. Im Werk arbeiten 4.500 Mitarbeitende und der Betriebsrat hat 29 Mitglieder.
Herausforderungen für den Kaliabbau erzwingen Werksschließung
Eine der größten Herausforderungen für das Bergwerk waren die entstehenden Rückstände. Deren Aufhaldung bringt ein unsicheres Genehmigungsverfahren mit sich und die Bearbeitung der Salze ist energieintensiv. Aufgrund fehlender Genehmigungen stand K+S immer unter Druck. Mitte 2021 verkündete der Vorstand schließlich die Schließung des Standorts.
Die Entstehung des Projekts Werra 2060
Daraufhin initiierte der Betriebsrat eine proaktive und beteiligungsorientierte Maßnahmenentwicklung für die Erhaltung des Werks.
Stefan Böck, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender am Werk WerraZu dem Zeitpunkt standen wir mit dem Rücken zur Wand und haben gesagt: ‚Bevor wir Sozialpläne erarbeiten, schreiben wir unter Einbindung aller Mitarbeitenden unsere Ideen auf, wie wir den Standort retten können.‘ Das war dann auch das Umswitchen von reaktiv auf proaktiv.
Der Betriebsrat band die Beschäftigten in den Prozess ein. In einer Betriebsratssitzung notierten alle Mitglieder ihre Ideen zur Minimierung der Umweltschäden, die der Vorstand begrüßte.
Die Leitidee hinter dem Projekt war die ganzheitliche Betrachtung von unter Tage bis über Tage. Folglich war der Ansatz des Projekts, ergänzend zu technischen, organisatorischen und strukturellen Anpassungen eine werksübergreifende Begutachtung mit offenem Produktportfolio zu verfolgen, für die konsequent alle umweltrelevanten Themen berücksichtigt werden.
Technologierevolution für das Transformationsprojekt
Durch die Beteiligung im eingerichteten Lenkungskreis war der Betriebsrat auf strategischer Ebene in die Entscheidungen eingebunden. Bei zwei Workshops wurde der zukünftige Umgang mit den Rückständen besprochen.
Es wurde ein neues Abbauverfahren entwickelt. Anstatt der Aufhaldung der festen Reststoffe werden die Reststoffe wieder in die Hohlräume der Grube zurückgeführt. Außerdem können durch die Weiterentwicklung des trockenen Aufbereitungsverfahrens Salzminerale ohne Wassereinsatz sortiert werden, wodurch kein Wasser und weniger Energie verbraucht werden.
Umschulungen für neue Abbauverfahren benötigt
Es wurde eine qualifizierte Personalplanung für die Identifikation von Qualifizierungsbedarfe erarbeitet. Durch die Umbaumaßnahmen werden in der Fabrik weniger Beschäftigte benötigt, dafür aber mehr Bergleute in der Grube. Daher sollen Fabrikbeschäftigte Umschulungen zu Bergmännern und Bergfrauen erhalten.
Fazit
Die Transformation des Werks sichert den Standort und die Arbeitsplätze im Bergbau und stellt Weichen für die nachbergbauliche Nutzung. Langfristig bedeutet das Projekt auch den Erhalt der deutschen Kali-Industrie. Mit der Reduzierung der Umweltaufwendungen für feste und flüssige Rückstände reduziert das Unternehmen politische Abhängigkeiten und spart Geld.
André Bahn, Betriebsratsvorsitzender am Werk Werra, Gesamtbetriebsratsvorsitzender, Mitglied des Aufsichtsrats der K+S AGWir sind der festen Überzeugung, dass wenn das Werk Werra geschlossen worden wäre, dann wäre auch die deutsche Kali-Produktion Geschichte gewesen und nach einem gewissen Zeitraum würde es die K+S in ihrer Art auch nicht mehr geben.
Kontakt: stefan.boeck@k-plus-s.com
Siemens Energy Compressors GmbH: Der Plagwitzer Weg
Im Zuge einer deutschlandweiten Abbauwelle der Siemens AG im Jahr 2018 wurde die Schließung der Siemens Energy Compressors GmbH in Leipzig angekündigt. Mit einem alternativen Businessplan wendete der Betriebsrat die Schließung ab.
Das Unternehmen
Die Siemens Energy Compressors GmbH mit Sitz im Leipziger Stadtteil Plagwitz ist Teil der Siemens Energy AG. Das Unternehmen entwickelt individuelle Prozessturbomaschinen für die chemische Industrie, Prozessgas- und Grundstoffindustrie, für Raffinerien und Petrochemie sowie die Eisen- und Stahlherstellung. 2024 arbeiten 250 Beschäftigte in Leipzig und der Betriebsrat hat 9 Mitglieder.
Mit eigenem Businessplan die Standortschließung verhindern
Aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Lage der „Gas und Power“-Sparte entschloss sich der Siemens Konzern in Amerika 2018 für eine große Abbauwelle in Deutschland. Der Standort in Leipzig sollte aufgrund seiner geringen Größe geschlossen werden.
Da die Entscheidung zur Standortschließung rein politisch war, konnte ihr der Betriebsrat nicht mit fachlichen Argumenten entgegentreten. Er entschied sich für eine Versachlichung anstatt einer Emotionalisierung der schwierigen Lage.
Thomas Clauß, BetriebsratsvorsitzenderIn anderen Städten wurden Särge durch die Stadt getragen, das wurde alles emotionalisiert. Wir haben es versachlicht und haben immer gesagt: ‚Wir sind FÜR etwas. Veränderung ist kein Thema für uns, aber sie muss vernünftig sein. Wir sind FÜR die Alternative, wir sind nicht GEGEN die Schließungspläne‘.
Der Betriebsrat entwickelte einen Businessplan als Gegenentwurf zur Schließung, der Pläne für die Produkte und Strukturänderungen enthielt. Außerdem baute er mit der Beratung Gruppe 7, dem Gesamtbetriebsrat, dem Konzernbetriebsrat, der IG Metall und der Politik ein Unterstützernetzwerk auf.
Bei der Verhandlung mit dem Konzernmanagement über den konzernweiten Personalabbau entschied man sich gegen eine Standortschließung und für einen Verkauf des Leipziger Standorts.
Co-Management des Betriebsrats wendet Verkauf des Standorts ab
In den Monaten nach der Abwendung der Schließung befand sich das Unternehmen in einer lethargischen Phase. Der Betriebsrat sah aber die Notwendigkeit, für einen erfolgreichen Verkauf weiterhin aktiv zu bleiben. Mit dieser Absicht kooperierte er stark mit den für den Verkauf verantwortlichen Managern. Der Betriebsrat war zusammen mit dem Unterstützernetzwerk zu jenem Zeitpunkt die Einzigen, die im Unternehmen die Fäden zusammenhielten.
Im Zuge der Verkaufsgespräche übernahm der Betriebsrat weitere Managementaufgaben. Bei Gesprächen mit den Verkaufsmanagern wurde die fehlende Dokumentation der Arbeitsprozesse deutlich. Daraufhin erstellte der Betriebsrat für den gesamten Standort eine Wertstromanalyse, für die die Beschäftigten aller Abteilungen befragt wurden. Das Projekt stand völlig unter der Federführung des Betriebsrats.
Schlussendlich wurde anstatt eines Verkaufs eine Restrukturierung im Konzern angekündigt. Auch hier brachte der Betriebsrat seinen Businessplan ins Spiel, der vom Management teilweise umgesetzt wurde. Die Tatsache, dass der Betriebsrat als Co-Manager die Zukunft des Standorts mitbestimmen und auch sichern konnte, ist der ungewöhnliche Plagwitzer Weg.
Zurück zur klassischen Betriebsratsrolle
Seit 2022 ist die Situation anders bei der Siemens Energy Compressors GmbH in Leipzig: Es gibt eine neue Geschäftsführung, die sich sehr für den Standort engagiert und die weitere Entwicklung des Werks vorantreibt. Dadurch konnte sich der Betriebsrat aus dem operativen Geschäft zurückziehen und in die übliche Betriebsratsrolle zurückkehren.
Kontakt: clauss.thomas@siemens-energy.com
Noch mehr "Gute Praxis"
Es gibt viele gute betriebliche Lösungen zu aktuellen Problemen – entwickelt von und mit Betriebsräten. Wir zeigen einige und liefern Erfahrungen mit, wie neue Ideen verhandelt und kreativ umgesetzt wurden. Unsere Praxisbeispiele können Euch und Eurer Betriebsratsarbeit als Inspiration dienen. Bisher erschienen sind die folgenden Module: