Mitbestimmungspraxis 60
Normung, Managementsysteme und Betriebsratshandeln
Privatrechtliche Normung beeinflusst Mitbestimmung, Personalpolitik und Arbeitsschutz erheblich. Erfolgreiche betriebliche Beispiele im Umgang mit Normen und Zertifizierungen verdeutlichen die Notwendigkeit, Mitbestimmungsakteure zu sensibilisieren.
Standardisierung ist eine wichtige Errungenschaft der Moderne. Niemand möchte heute die verbindende Kraft von Normen und einheitlichen Maßeinheiten missen – weder kulturell noch wirtschaftlich. Einheitlichkeit, Kompatibilität, nachvollziehbare Qualität und auch Austauschbarkeit sind in weiten Bereichen technologisch unabdingbar, fördern in aller Regel das nachhaltige Wirtschaften und zugleich den offenen marktlichen Wettbewerb. Ein guter Ansatz, der aber, wie alle prinzipiell guten menschlichen Gedanken und Innovationen, eigene Dynamiken und auch Dysfunktionalitäten beziehungsweise unerwünschte Nebenwirkungen zu entwickeln vermag.
Normung, Managementsysteme und Betriebsratshandeln
von Jonas Grasy und Bettina Seibold
Mitbestimmungspraxis 60, Düsseldorf 2024
Wir wollten deshalb genauer hinschauen und gerade auch neuere Entwicklungen im Normungsgeschehen näher beleuchten: Die zunehmende Standardisierung von Abläufen in Unternehmen und Organisationen mit Auswirkungen auf die Arbeitsgestaltung. Viele Aspekte der Gestaltung von Arbeit sind aus gutem Grund gesetzlich geregelt, tarifpolitisch vereinbart oder betrieblich mitbestimmt. Diese Regelungshierarchie sichert den Unternehmen und ihren Beschäftigten verlässliche Rahmenbedingungen und gleichzeitig hinreichende Flexibilität, um den aktuellen und spezifischen Anforderungen gerecht werden zu können.
Wie wirkt sich in diesem Zusammenspiel die Existenz von Normen und Standards aus und wie gehen die betrieblichen Akteure damit um?
Diese Fragen sind von wachsender gewerkschaftspolitischer Bedeutung, weil Normen und Standards zunehmend auch als Unterlegung von EU -Recht fungieren (etwa CSRD , AI Act etc.). Insofern soll dieser Forschungsbericht unseren Blick auf eine schwer fassbare Regulierungsebene lenken und zusammen mit einigen wenigen Publikationen erste gewerkschaftspolitische Handlungsansätze herausarbeiten. Eine gute Grundlage stellen dabei die praktischen Erfahrungen betrieblicher Akteure dar. Neben Experteninterviews und einer quantitativen Befragung von Mitbestimmungsakteuren stehen deshalb vier markante Fallbeispiele im Mittelpunkt dieser Veröffentlichung. Standardisierung zeigt sich hier sowohl als Risiko für die Wahrnehmung betriebsverfassungsrechtlicher Möglichkeiten als auch als Chance für die Stärkung der Durchsetzungsfähigkeit von Mitbestimmungsakteuren.
Auch wenn es sich heute noch um eine begrenzte Fachdebatte handelt, erfahren wir in diesem Bericht viel über die wachsende Herausforderung, die Standardisierung für die Arbeitnehmerbeteiligung darstellt. Eine breitere und tiefere gewerkschaftspolitische Befassung mit dem Thema erscheint lohnenswert und geboten.