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Befragung zur Zusammenarbeit der Betriebsparteien

„Lessons Learned“: Mitbestimmung nach Corona

Wie hat sich die Pandemie auf Mitbestimmungsprozesse ausgewirkt? Ein Blick in die Praxis zeigt: betriebliche Mitbestimmung ist überaus anpassungsfähig, aber demokratische Aushandlungsprozesse brauchen die direkte Begegnung.

Studie über Arbeit der Sozialpartner während der Coronapandemie 

Mitbestimmung ist die Basis für demokratische Prozesse in Unternehmen und garantiert demokratische Gestaltungsprinzipien der sozialen Marktwirtschaft. Sie stellt die Vertretung berechtigter Interessen von Beschäftigten sicher und sorgt für sozialen Frieden in Unternehmen. Nicht zuletzt deshalb sind Unternehmen mit einer ausgeprägten Mitbestimmungskultur nachweislich erfolgreicher, investieren mehr, und sind krisenfester

Mit der Coronapandemie wurde die Krisenfestigkeit vieler Unternehmen erneut auf die Probe gestellt, während zeitgleich die tradierten Abläufe der Mitbestimmung im buchstäblichen Sinne „von heute auf morgen“ auf Online-Medien umgestellt wurden. In einer Studie des I.M.U.-Instituts der Hans-Böckler-Stiftung wurden im Frühjahr 2021 PersonalmanagerInnen und MitbestimmungsvertreterInnen größerer und stark mitbestimmter Unternehmen zur Zusammenarbeit der Betriebsparteien während der Corona-Krise befragt. Ziel der Befragung war unter anderem zu erfahren, wie der sozialpartnerschaftliche Austausch unter den Krisenbedingungen organisiert wurde und welche dieser Veränderungen als nachhaltig tragfähig erscheinen. Wir stellen in diesem Beitrag Auszüge der Ergebnisse vor und beleuchten die langfristigen Effekte für die Mitbestimmung.

Sozialpartnerschaft als zuverlässiger Partner in der Krise 

Die Ergebnisse der Online-Befragung (N: 95, Rücklaufquote: 27 Prozent) zeigen: Die Sozialpartner sind zu Beginn der Pandemie gut und schnell in einen Krisenmodus gewechselt. Neue und veränderte Kommunikationsformate sind dabei zum zentralen Entwicklungsmoment sozialpartnerschaftlicher Interaktion geworden: VertreterInnen der Betriebsparteien kamen in deutlich kürzeren Abständen zusammen (69 Prozent Zustimmung), Abstimmungen und Entscheidungen fanden mit Unterstützung neuer Tools statt (83 Prozent) und wurden zudem schneller getroffen (80 Prozent). Nicht überraschend, hier aber deutlich bestätigt, wurden digitale Meetings zu einer zentralen Kommunikationsform (94 Prozent). 

In der Befragung wurden MitbestimmungsvertreterInnen zu internen Abläufen der Gremienarbeit während der Pandemie befragt. Grundsätzlich wurde bescheinigt, dass durch die Umstellung auf Online-Kommunikation die Interessen der Beschäftigten effektiv vertreten werden konnten; auch die Bewältigung der alltäglichen Arbeit konnte gut mithilfe von Online-Tools geleistet werden. Die Ergebnisse zeigen aber auch Belastungssituationen durch die Coronapandemie: der fehlende persönlich Kontakt der Gremienmitglieder (91 Prozent), eine deutliche Verdichtung ihrer Arbeit (74 Prozent) und zugenommene gesundheitliche Belastungen (77 Prozent).

Abbildung: Belastungssituationen in der Gremienarbeit

Insgesamt wurden Informationen zwischen den Sozialpartnern und auch innerhalb der Mitbestimmungsgremien digitaler, kurzzyklischer und häufiger ausgetauscht – und das ohne weitreichenden Qualitätsverlust: Rund 84 Prozent bewerteten den Austausch entweder als besser oder als unverändert. Die überaus positive Bewertung spiegelte sich ebenso in der Einschätzung wider, ob die neuen Formate auch nach der Corona-Krise weiter bestehen werden. 94 Prozent stimmten dem zu und bezweifelten so einen vollständigen „Roll-Back“ in die Informationsabläufe vor der Krise. Sowohl PersonalmanagerInnen als auch MitbestimmungsvertreterInnen verbuchten offenbar positive Erfahrungen; verbunden mit dem Wunsch, diese neue Form der digitalen Kommunikation und Information langfristig beizubehalten. Gleichzeitig zeigen die Befragungsergebnisse jedoch auch deutliche Grenzen der Digitalisierbarkeit von Mitbestimmungsprozessen auf. 

Digitale Verhandlungen langfristig unerwünscht 

Diese Grenzen zeichnen sich vor allem in Bezug auf Verhandlungssituationen ab. Auf die Frage, ob die Art, wie in der Coronapandemie verhandelt wurde, nachhaltig Verhandlungen verändern werden, antworteten 32 Prozent mit ‚nein‘, weitere 55 Prozent gaben ‚teils, teils‘ an. Die Hauptgründe für dieses Antwortverhalten waren: 

  • im Mangel nonverbaler Kommunikation zwischen den Betriebsparteien. Insbesondere die eingeschränkte Vermittlung von Emotionen erschwerte das Entstehen einer Verhandlungsatmosphäre. 
  • in der unzureichenden Qualität verhandlungsrelevanter Information, da sie nicht mit gleicher Wirksamkeit weitergegeben und vorgetragen werden konnte. 
  • in den unzureichenden Abstimmungsmöglichkeiten. Nach Einschätzung der Befragten war es schwerer, sich als Partei zwischendurch strategisch zu besprechen und es fehlten spontane Begegnungen zum Austausch. 

Das Erzielen guter Verhandlungslösungen wurde so aus Sicht beider Parteien gehemmt. Im Gesamtbild der Ergebnisse stellen digitale Verhandlungsformate insbesondere für die befragten MitbestimmungsvertreterInnen eine klare „rote Linie“ für die Digitalisierung von Mitbestimmungsprozessen dar. 

Diese rote Linie bezieht sich auch auf einen generell erschwerten Meinungsbildungsprozess – also den Kernbereich betrieblicher Mitbestimmung. Insbesondere für Betriebsratsgremien, ist dies ein elementares Problem: in Verhandlungssituationen (und deren Vor- und Nachbereitung), aber auch generell in der Betriebsratsarbeit „am Puls der Belegschaft“. 

Anlässlich der Diskussion der Befragungsergebnisse mit Mitbestimmungsvertretern wurde diese Problemlage bestätigt: Die Aufrechterhaltung demokratischer Prozesse, als Grundlage jeder Betriebsratsarbeit, war unter den Bedingungen der Coronapandemie eine der größten Herausforderungen. 

Grenzen für die digitale Mitbestimmung: Demokratie braucht Begegnungen!

Weiterhin stellte eine überwiegende Mehrheit der MitbestimmungsvertreterInnen fest, dass

  • digitale Lösungen keine bessere Entscheidungsfindung und nicht mehr Transparenz über die Entscheidung ermöglichen (67 Prozent); 
  • Debatten und Kontroversen nicht mit gleicher Qualität online geführt werden (83 Prozent) und 
  • sich die Diskussionskultur im Gremium durch die Online-Kommunikation nicht verbessert hat (77 Prozent).

Die Ergebnisse zeigen: Digitale Kommunikation stellt ein belastendes Element für die Gremienarbeit als solche und für die Mitbestimmung als demokratisches Organ dar. Besonders der letzte Aspekt darf dabei nicht unterschätzt werden. Mitbestimmung garantiert Demokratie in Unternehmen, dafür braucht es Begegnungen und persönlichen Austausch unter den Betriebsratsmitgliedern und mit den Beschäftigten. 

Abbildung: Einfluss digitaler Formate auf Mitbestimmungsarbeit

Mit der Änderung des § 30 BetrVG im Juni 2021 wurde die Möglichkeit geschaffen, langfristig Betriebsratssitzungen über Telefon- und Videokonferenzen zu führen. Mit Blick auf unsere Befragungsergebnisse wird deutlich, dass die Übertragung von Arbeitsmechanismen, die während der Corona-Pandemie angewandt wurden, keineswegs automatisch und unhinterfragt fortgeführt werden sollte. Die Sozialpartner und insbesondere die Mitbestimmungsgremien tun gut daran, die Vor- und Nachteile sowie die Erfahrungen digitaler Arbeitsweise unternehmensbezogen zu reflektieren und eigene Grenzen festzulegen: Für welche Arbeitsprozesse eignen sich digitale Medien und für welche nicht? Was sind die gremienspezifischen „Lessons Learned“ aus der Coronapandemie? Dass nun mehr Optionen für die Gremienorganisation möglich sind, sollte – wohl überlegt – zur Weiterentwicklung des gesamten Gremiums genutzt werden.

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