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Mitbestimmungspraxis 47

Beschäftigungssicherung durch strategische Qualifizierung

Wie kann ein strategisches Qualifizierungsprogramm dazu beitragen, die Transformation der Wirtschaft zu bewältigen? Die Publikation entwickelt hierzu Bausteine für eine innerbetriebliche Agentur für Qualifizierung und Fachkräftesicherung.

Seit einigen Jahrzehnten taucht immer wieder der Begriff des Fachkräftemangels in der Debatte auf. Sei es, um das Bildungssystem in Deutschland infrage zu stellen und Reformbedarf zu reklamieren, um eine gezielte Einwanderungspolitik zu fordern oder um das Verfehlen unternehmerischer Ziele zu begründen u.v.m. Und doch ist Fachkräftemangel keineswegs nur ein Lobbyisten-Buzzword, sondern ein manifestes Problem, das mit der Coronakrise noch einmal an Brisanz gewonnen hat. Die Verfügbarkeit von Fachkräften ist angesichts auch zahlreicher transformativer Herausforderungen zum wesentlichen strategischen Faktor für Unternehmen geworden. Politik ist gefordert, den arbeitspolitischen Rahmen zu modernisieren, um die Wirtschaft wettbewerbsfähig zu halten und zugleich Beschäftigung zu sichern. Denn in arbeitspolitischer Perspektive sind Fachkräftesicherung und Beschäftigungssicherung zwei Seiten einer Medaille. Sie müssen zusammen gedacht werden und bedingen sich in vielfältiger Weise gegenseitig. Das verbindende Element heißt Qualifizierung.

Auf der Seite der Unternehmen ist dieser Zusammenhang (noch) nicht selbstverständlich bzw. praxisrelevant. Hier scheinen häufig eher Marktgesetze zu gelten: Sind Fachkräfte nicht verfügbar (Fachkräftebedarf), werden sie am externen Arbeitsmarkt gesucht. Werden Fachkräfte nicht mehr benötigt (Fachkräfteüberhang), werden sie dem externen Arbeitsmarkt zur Verfügung gestellt. Beides erfolgt eher kurzfristig, weil die Identifizierung langfristiger Personalbedarfe nicht gerade zu den Stärken einer an Quartalszielen ausgerichteten Unternehmensführung gehört.

MB-Praxis 47

Beschäftigungssicherung durch strategische Qualifizierung

Eine explorative Untersuchung mit Empfehlungen für die betriebliche Praxis

von Tim Harbecke und Gernot Mühge

Mitbestimmungspraxis 47. Düsseldorf 2022

Der (externe) Arbeitsmarkt jenseits der Werkstore gleicht Bedarfe und Überhänge aus; die Deckung des Personalbedarfs ist dann nur eine Frage des Geldes, des Marketings und des Employer Brandings. Recruiting-Abteilungen gehören zu den tendenziell besser ausgebauten HR-Bereichen; die Frage der Gestaltung des internen Arbeitsmarkts und des strategischen Einsatzes von Qualifizierung stellt sich in vielen Unternehmen nicht. 

Zu pointiert? An dieser Stelle sei eine solche Zuspitzung erlaubt. Zudem liefern die Autoren dieser Mitbestimmungspraxis einige Belege für die Plausibilität dieser Sicht. Aber sie beschreiben auch Beispiele für Unternehmen, die nicht nur ihre internen Arbeitsmärkte aktiv und professionell bewirtschaften, also systematisch versuchen, eigene Bedarfe durch absehbare Überhänge zu decken, sondern auch gezielt in Qualifizierung investieren. Diese Unternehmen haben einen Weg gefunden, Teile ihres Fachkräftebedarfs aus eigenen (Personal-)Ressourcen zu decken und zugleich Beschäftigung zu sichern.

Strategische Personalplanung ist ein Schlüssel zu dieser Win-Win-Situation und angesichts flacher Hierarchien, veränderter Arbeitsorganisation, vielfältiger Vertragsformen, dezentraler und marktlicher Steuerung von Unternehmenseinheiten, aber auch wachsender transformativer Dynamiken und Unsicherheiten, eine überaus anspruchsvolle Gestaltungsaufgabe für Management und Mitbestimmung. Die von den Autoren vorgestellte Agentur für Qualifizierung und Fachkräftesicherung (AQFa) soll in diesem Umfeld wichtige Aufgaben der professionellen Vermittlung von Beschäftigten sowie des Risiko- und Vertrauensmanagements übernehmen. Insbesondere die Mitbestimmung kann auf dieser Basis mit einem proaktiven Vorgehen alternative Konzepte entwickeln, die gemeinsam mit Management, HR und natürlich mit den Beschäftigten umgesetzt werden.

Die vorliegende Studie ist durch eine exzellente historische Herleitung, eine praxisnahe Betrachtung betrieblicher Umsetzungsbeispiele und eine kluge analytische Bündelung verfügbaren Wissens eine lesenswerte und praktisch hilfreiche Lektüre für all jene Personalmanager*innen und Mitbestimmungsvertreter*innen, die Fachkräftesicherung und Beschäftigungssicherung in Zukunft nicht mehr unabhängig voneinander diskutieren wollen.

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