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Begleitforschung zu Weiterbildungsmentor*innen

Vertrauenspersonen für Geringqualifizierte

Weiterbildungsmentor*innen brauchen das Vertrauen der Beschäftigten, wenn sie diese zur Weiterbildung ermutigen wollen. Aber auch die Rahmenbedingungen müssen stimmen, verdeutlicht ein Projekt der IG BCE, das Andreas Diettrich wissenschaftlich begleitet.

Betriebliche Weiterbildung

Das Konzept kommt ursprünglich aus England. Aber auch hierzulande stößt die Idee, Beschäftigte zu qualifizieren, damit sie insbesondere bildungsferne Kolleg*innen zur Teilnahme an Weiterbildung motivieren, auf große Resonanz. Inzwischen gibt es mehrere Ansätze, um Weiterbildungsmentor*innen (WBM) zu gewinnen und auszubilden. Einige davon werden bereits in einzelnen Branchen erprobt. Denn angesichts von akutem Fachkräftemangel bei steigenden Transformationsanforderungen in vielen Wirtschaftsbereichen stellt sich immer dringlicher die Frage, wie mehr Beschäftigte dazu ermutigt werden können, sich beruflich weiterzuqualifizieren. 

Die Hans-Böckler-Stiftung fördert die Begleitforschung für die Umsetzung einiger dieser Konzepte in die Praxis, darunter auch das von der IG BCE gemeinsam mit dem Qualifizierungsförderwerk Chemie (QFC) entwickelte, sozialpartnerschaftlich ausgerichtete Konzept zur Ausbildung und Rolle von WBM im Betrieb, das Andreas Diettrich von der Uni Rostock untersucht. 

Dieses Konzept war von vornherein so angelegt, dass die Unternehmen selbst, unterstützt durch die Personalabteilung, WBM akquirieren. Der Fokus liegt dabei auf der Qualifizierung von betrieblichen Vertrauensleuten. Deren Ausbildung soll entlang des von der IG BCE und des QFC entwickelten Ansatzes erfolgen und durch wissenschaftliche Begleitung prozessorientiert weiterentwickelt werden. 

Schwierige Startbedingungen

Anfänglich verhielten sich die Unternehmen überwiegend zögerlich, benannten nur in wenigen Fällen WBM. Daraufhin ergriff die IG BCE die Initiative, um für ihre Ausbildungsidee zu werben. Inzwischen (Mitte 2023) wird das Konzept in einem Konzern umfassend erprobt, weitere sollen folgen. 

Gerade Betriebe mit klassischer Organisationsstruktur tun sich schwer damit, Unternehmenserfolg auch „von unten her“ zu definieren.

Prof. Dr. Andreas Diettrich

Die Begleitforschung entwickelte zunächst ein Aquise-Konzept, um Führungskräften und betrieblichen Akteur*innen den sozialpartnerschaftlichen Ansatz des WBM-Konzepts ausführlich zu begründen und sie von dessen Vorteilen zu überzeugen. Dazu zählt die starke praxis- und anwendungsbezogene Ausrichtung der Qualifizierung auf die individuelle Begleitung von Beschäftigten in betrieblichen Veränderungs- und darauf bezogenen Weiterbildungsprozessen. Inzwischen konzentriert sich die wissenschaftliche Begleitung auf die betriebliche Umsetzung und Weiterentwicklung des IG BCE/QFC-Konzepts. 

Starke pädagogische Ausrichtung

Bei diesem Konzept wird besonders Wert wird darauf gelegt, dass WBM eine enge Beziehung zu ihren „Mentees“ – peer to peer – entwickeln und ihnen „auf Augenhöhe“ begegnen. Es geht darum, vor allem bildungsferne Beschäftigte zu ermutigen, die Chancen der Transformation für sich zu nutzen, ihnen Ängste vor Veränderungen zu nehmen, sie zu motivieren, lernend Neues auszuprobieren und ihnen so dabei zu helfen, negative Bildungserfahrungen zu überwinden. 

Für den Wirtschaftspädagogen Andreas Diettrich steht fest, dass WBM mit einem solchen Selbstverständnis äußerst flexibel und stets unmittelbar bezogen auf die jeweilige berufliche und soziale Situation jedes einzelnen „Mentees“ agieren müssen. Daher konnte es für ihre Ausbildung kein starres Ausbildungscurriculum geben. Vielmehr sah sich das Projekt vor die Aufgabe gestellt, einen Ausbildungsplan zu entwickeln, der den Schwerpunkt auf praktisches Lernen entlang konkreter Aufgaben legt und weniger auf den Erwerb von fachlichem Wissen. Entsprechend wurde die Ausbildung vor allem kompetenz-, prozess- und anwendungsorientiert ausgestaltet. 

Im Rahmen der Begleitforschung wurde ferner ein Kompetenzerfassungsbogen entwickelt. Dieser dient dazu, die Kenntnisse und Fähigkeiten jedes/jeder einzelnen WBM zu Beginn seiner/ihrer Ausbildung festzuhalten und Lernfortschritte während der Ausbildung zu dokumentieren. Als eine Kernkompetenz, die WBM während der Ausbildung erwerben sollten, betrachtet Diettrich die „biografische Gestaltungskompetenz“. Darunter versteht er die Fähigkeit, mit den Beschäftigten einen kollegialen Umgang – auf Augenhöhe – zu pflegen. 

Weiterbildung braucht Strukturen

Auch die Rahmenbedingungen müssen stimmen, damit WBM entsprechend den an sie gestellten Anforderungen nachhaltig und erfolgreich handeln können. „Wie in der betrieblichen Ausbildung, bedarf es auch im Bereich der Weiterbildung klarer und verbindlicher Strukturen“, fordert Diettrich. Um Weiterbildung gerade für bildungsferne Beschäftigte in den Betrieben stärker verankern und WBM dauerhaft etablieren zu können, müsse die Weiterbildung aus dem bisher ungeregelten Bereich herausgeholt und so ausgestaltet werden, dass sie gegenüber der Ausbildung gleichwertig ist. Sein Vorschlag:  Zumindest in größeren Betrieben sollte es gesetzliche Weiterbildungsbeauftragte geben. 

Das Projekt unterstützt die politische Forderung nach „weiterbildenden Fachkräften“ analog zu „ausbildenden Fachkräften“ im Betrieb, die bereits gesetzlich vorgeschrieben sind. In nicht allzu ferner Zukunft kann sich der Wissenschaftler sogar verbindliche betriebliche Weiterbildungsquoten vorstellen und Strafzahlungen für Unternehmen, die einer bis dahin – so hofft er – erreichten gesetzlichen Weiterbildungspflicht nicht nachkommen. 

Ferner sollten WBM, empfiehlt das Projekt, in die betrieblichen Mitbestimmungsstrukturen, eingebunden sein, da es zu ihren Aufgaben im Betrieb zählt, nicht nur Kümmerer für ihre Mentees zu sein, sondern auch innovative Prozesse im Bereich der Qualifizierung anzustoßen. Ergänzend dazu wünscht er sich auf regionaler Ebene Bildungsexpert*innen in bestehenden Branchennetzwerken, an die sich Beschäftigte vor allem aus kleinen und mittelständischen Unternehmen wenden können. 

Überdies sieht der Wirtschaftspädagoge im Aufbau von regionalen Weiterbildungsverbünden oder -allianzen eine große Chance, um WBM institutionell zu unterstützen. An die Gewerkschaften appelliert er, entsprechende Initiativen für derart „vernetzte Bildungsräume“ zusammen mit einzelnen Betrieben, Bildungsträgern und der regionalen Arbeitsagentur auf den Weg zu bringen. Diese könnten – analog zur „aufsuchenden Beratung“ durch die örtlichen Arbeitsagenturen in Fragen der Arbeitsvermittlung – mit Hilfe von WBM eine Art „aufsuchende Beratung“ für Betriebe in Fragen der Weiterbildung organisieren. 

Das Projekt „Innovative Konzepte der betrieblichen Weiterbildung – Weiterbildungsmentor*innen in der Chemischen Industrie“

wird vom Qualifizierungsförderwerk Chemie GmbH (QfC) im Rahmen des Gesamtprojekts „Qualifizierung hoch zwei“ (Qh2) durchgeführt. Geleitet wird es von Mathias Voigt (M.A.), bearbeitet von Prof. Dr. Andreas Diettrich am Lehrstuhl Wirtschafts- und Gründungspädagogik an der Universität Rostock. 

Die Hans-Böckler-Stiftung fördert das Forschungsvorhaben über die Dauer des Projekts vom 1. Januar 2022 bis 31. Dezember 2024.

Mathias.Voigt@qfc.de
Andreas.Diettrich@uni-rostock.de