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Corporate Governance

Eine nachhaltige, mitbestimmte Unternehmensführung für Europa

Gerade in Zeiten zunehmender Transformation leistet die Mitbestimmung in Unternehmen einen wichtigen Beitrag zur Nachhaltigkeit. Unsere I.M.U.-Experten plädieren daher im "Audit Committee Quarterly" für eine Stärkung der Beteiligung von Beschäftigten.

Kooperation und Sozialpartnerschaft bilden einen Grundpfeiler des Erfolgs der sozialen Marktwirtschaft. Sie sind Gründe dafür, dass Deutschland in der Vergangenheit besser durch Krisen hindurchgekommen ist als viele andere Länder. Angesichts der immensen Herausforderungen der sozial-ökologischen Transformation ist eine gelebte Sozialpartnerschaft gerade heute wichtiger denn je. Als Kernbestandteil gehört dazu die Unternehmensmitbestimmung. Sie stärkt eine langfristig orientierte Unternehmensführung, die sich nicht ausschließlich an kurzfristiger Gewinnmaximierung orientiert, sondern auch soziale und ökologische Fragen berücksichtigt. Mit gewählten Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat wird die Diversität größer, die Informationslage besser und die Manipulationsmasse kleiner. Gerade im Bereich der sozialen Nachhaltigkeit, die an Bedeutung gewinnt, sind Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat die geborenen Experten und tragen mit ihrer Erfahrung im Aufsichtsrat zur nachhaltigen Ausrichtung von Unternehmen bei. Man denke nur an faire Bezahlung, Geschlechtergerechtigkeit oder Arbeitsschutz sowie Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Unternehmen mit starker Mitbestimmung sind hier im Vorteil.

In der nun endenden Amtszeit der Europäischen Kommission und des Europäischen Parlaments sind viele Initiativen im Kontext nachhaltiger Unternehmensführung auf den Weg gebracht worden. Der Green Deal, in dem das Ziel formuliert wird, Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent zu transformieren, ist eine von sechs Prioritäten der EU-Kommission unter Führung von Ursula von der Leyen und hatte zahlreiche rechtliche Initiativen zur Folge.

Positive Impulse für nachhaltige Unternehmensführung

Die Ausweitung der Nachhaltigkeitsberichterstattung durch die Verabschiedung der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) sowie der Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) ist zukunftsweisend. Die CSRD sowie die ESRS (European Sustainability Reporting Standards) schärfen die Berichtspflichten von Unternehmen in den Bereichen Ökologie, Soziales und Governance, auch wenn ein Großteil der Datenpunkte unter dem Vorbehalt der Wesentlichkeitsanalyse steht. Positiv für eine vernetzte Beschäftigtenperspektive ist Artikel 19a (5) der Bilanzrichtlinie, der die Information und Konsultation der Arbeitnehmervertretung auf geeigneter Ebene – der Betriebsräte – sowie die Vorlage von deren Stellungnahme an den Aufsichtsrat vorsieht. Diesen Ansatz gilt es in der nationalen Umsetzung zu stärken. Europäische und nationale Betriebsratsgremien sind rechtzeitig einzubeziehen. Nach langem politischem Ringen wurde die CSDDD ebenfalls verabschiedet und verpflichtet Unternehmen, Menschen- und Arbeitnehmerrechte in der globalen Wertschöpfung zu achten. Nachdem Deutschland bereits durch das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz Unternehmen rechtsformunabhängig ab 1.000 Beschäftigten zur Einführung von menschenrechtlicher Due Diligence verpflichtet hat, stärkt die CSDDD die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen und gleichzeitig die soziale Dimension von Nachhaltigkeit.

Workers’ Voice als Teil von Corporate Governance

Dennoch bleibt viel zu tun für die neue Europäische Kommission und das neue Europäische Parlament in den kommenden fünf Jahren.

1. Arbeitnehmervertretung in Europa schützen und stärken

Die Arbeitnehmervertretung ist ein wesentlicher Teil guter Corporate Governance und gehört zum europäischen Sozialmodell. In Europa ist sie jedoch bedroht, obwohl bspw. Frankreich zuletzt seine Arbeitnehmerbeteiligung in Aufsichts- und Verwaltungsräten gestärkt hat. Der Anspruch auf Teilhabe an strategischen Entscheidungen – ganz besonders im Rahmen von Transformation und Krise – steht infrage.

  • Die Europäische Aktiengesellschaft (SE) wird vielfach genutzt, um die Mitbestimmung in Deutschland zu umgehen (z. B. Vonovia oder Tesla). Durch den sog. Einfriereffekt bei der SE können Unternehmen einen mitbestimmungsfreien Aufsichtsrat oder ein niedriges Mitbestimmungsniveau zementieren, auch wenn die Beschäftigtenzahl des Unternehmens anwächst. In Deutschland führt dies dazu, dass Hunderttausende Beschäftigte um ihre demokratischen Beteiligungsrechte gebracht werden, so bspw. auch im DAX. Insbesondere Familienunternehmen nutzen diese präventive Mitbestimmungsflucht. Es ist alarmierend, wenn fünf von sechs SEs mit mehr als 2.000 Inlandsbeschäftigten nicht paritätisch mitbestimmt sind. Das stellt eine Gefahr für die Zukunft der Mitbestimmung dar. Man darf fragen: Werden diese Unternehmen ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht? Oder ist soziale Nachhaltigkeit nur ein Lippenbekenntnis? Da gerade Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat den langfristigen Bestand des Unternehmens und der Arbeitsplätze als Maßgabe ihrer Entscheidungen heranziehen, bedeutet eine Schwächung der Mitbestimmung zugleich eine Schwächung der Nachhaltigkeit. Hier muss der europäische (und der nationale) Gesetzgeber endlich aktiv werden: Um die europäischen Ziele, insbesondere von mehr Demokratie und sozialer Gerechtigkeit, zu erreichen, bedarf es eines europäischen Mindeststandards. Bei relevantem organischem Wachstum der Beschäftigtenzahl einer SE bedarf es eines Nachverhandlungsanspruchs in Bezug auf das Niveau der Mitbestimmung im Aufsichtsrat und einer neuen gesetzlichen Auffanglösung. Diese sollte sich an der dann aktuellen Größe des Unternehmens orientieren. Da die Problemlage nicht auf den Bereich der SE beschränkt ist, wäre die Einführung einer umfassenden Rahmenrichtlinie für Information, Konsultation und Mitbestimmung der holistische Ansatz. Das dynamische Element käme immer dann zur Anwendung, wenn Unternehmen europäische Richtlinien nutzen, um ihre Unternehmensverfassung zu ändern. Eine Revision der SE- und der Sitzverlegungsrichtlinie müssten diesen Aspekt zumindest umfassen.
  • Stakeholderorientierte Corporate Governance umfasst auch die Beteiligung von Betriebsräten. In international agierenden Konzernen sollte eine grenzüberschreitende Ebene der Arbeitnehmervertretung selbstverständlich sein. Die Wahl Europäischer Betriebsräte bzw. von SE-Betriebsräten sollte ein Automatismus sein, wenn Unternehmen europäische Richtlinien nutzen, um ihre Unternehmensverfassung zu ändern. Eine Revision der Richtlinie zum Europäischen Betriebsrat muss diese Gremien stärken und Sanktionen bei der Missachtung ihrer Rechte verschärfen, damit sie ihrer Rolle gerecht werden können. Gleichermaßen muss auch der Zugang Europäischer Betriebsräte zur Justiz, der in der Praxis regelmäßig nur schwerlich möglich ist, verbessert werden.

2. Stakeholderorientierte Corporate Governance

Weitere Initiativen auf europäischer Ebene zur Stärkung einer nachhaltigen Unternehmensführung sind entscheidend.

  • Die ausdrückliche Verankerung eines pluralistischen Unternehmensinteresses auf europäischer Ebene, wie bereits in dem ursprünglichen Kommissionsentwurf der CSDDD angedacht, würde zur stakeholderorientierten Corporate Governance beitragen.
    Eine stärkere Verankerung der Verantwortung von Vorständen für eine nachhaltige Wertschöpfung würde die Beachtung von ökologischen und sozialen Kriterien und damit die Langfristorientierung in Unternehmensentscheidungen erleichtern. Eine verpflichtende Integration von Nachhaltigkeits-KPIs in der variablen Vorstandsvergütung wäre ebenfalls überlegenswert – der Entwurf der CSDDD enthielt auch hierzu bereits einen Ansatz.
  • Bei allen Debatten um die Unabhängigkeit des Aufsichtsrats ist daran zu erinnern, dass die EU in zukünftigen Rechtsakten bei diesen Fragen dem System der Arbeitnehmervertretung angemessen Rechnung tragen sollte, so wie in ihrer Empfehlung von 2005 geschehen.

Gerade in Zeiten zunehmender Transformation leistet die Mitbestimmung in Unternehmen einen wichtigen Beitrag zur Nachhaltigkeit, aber auch zum Schutz unserer Demokratie. Teilhabe an Veränderungsprozessen ist essenziell für das Gelingen ebendieser. Daher ist die Stärkung der Beteiligung der Beschäftigten in Deutschland und Europa unerlässlich für Unternehmen und Gesellschaft.

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