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Szenario 2

Bricolage

Auf einen Blick

Illustration Szenario BRICOLAGE

Immer mehr Anspruchsgruppen nehmen Einfluss – insbesondere da, wo die Logik des Marktes zu kurz greift. Die Menschen wollen zunehmend sinnvolle Produkte mit einer guten „Entstehungsgeschichte“, die Erwartungen an Arbeitsverhältnisse werden vielfältiger, Unternehmen müssen die Belange der lokalen Bevölkerung stärker einbeziehen. Auch der politisch verordnete ökologische Umbau der Wirtschaft sowie immer kürzer aufeinanderfolgende Krisen in den 2020er-Jahren tragen dazu bei, dass der bestehende „Unternehmensfuhrpark“ und die eingespielten Managementkonzepte unter Druck geraten. Manchen Unternehmen gelingt der Wandel, anderen nicht. Vielfältige Formen des „neuen Wirtschaftens“ entstehen neben und in Wechselwirkung mit den konventionellen Unternehmen. Die Wirtschaft wird vielfältiger und kleinteiliger. Stoffkreisläufe werden regionaler, der Austausch von Daten und Know-how globaler. Egal, ob öffentlich und/oder privat, ob generationsübergreifende Infrastruktur oder anlassbezogene „Pop-up-Produktion“ – im Jahr 2040 brauchen Unternehmungen einen klaren Daseinszweck, der weit über das bloße Erzielen von Gewinnen hinausgeht und den Bedürfnissen ganz unterschiedlicher Stakeholder-Gruppen gerecht werden muss. Über Sharing-Modelle hinauswachsend, gewinnen Praktiken wie Prosuming, Open Innovation und eine Ökonomie der Gemeingüter zunehmend an Kontur.

Das Szenario

Wir können nicht ‚anders wirtschaften‘, wenn wir uns ‚anderes Wirtschaften‘ nicht einmal vorstellen können.

Silke Helfrich und Stefan Meretz

In den 2020er Jahren ...

Corona und der Krieg in der Ukraine waren nur der Auftakt zu einem Jahrzehnt, dessen Grundtonalität durch die Auflösung vertrauter Strukturen und tief verwurzelter Gewissheiten gekennzeichnet sein wird.

Inflation, Versorgungsengpässe, die hohe Zahl an Unternehmenspleiten, die Verwerfungen an den Finanzmärkten ... Der Rückhalt für das gegenwärtige System wird mit jedem Krisenschub schwächer.

Eine größer werdende Zahl von Menschen will nicht mehr zu einem Wirtschaftssystem beitragen, das die sozialen Ungleichheiten verschärft, unsere Gesundheit gefährdet, die Umwelt ausbeutet und das Klima des Planeten dramatisch verändert. Aber wie könnte eine Alternative aussehen? Stimmt es, dass wir „uns eher das Ende der Welt als das Ende des Kapitalismus vorstellen können“?

Wir müssen ja nicht bei null anfangen. Über die letzten Jahrzehnte haben sich in vielen Nischen bereits zahlreiche Formen unkonventioneller Unternehmensmodelle entwickelt. Krisen bieten immer auch viel Raum zum Experimentieren und Ausprobieren.

Eine neue Generation von Erwerbstätigen sowie Gründer:innen geht an den Start. Manche treibt der Wunsch nach einer naturverträglichen Lebensweise, andere die Suche nach Sinnhaftigkeit im Arbeitsleben, Engagement für die Gemeinschaft oder auch einfach die Gunst, Teil der Erbengeneration zu sein, die nicht an schnellen Profiten interessiert sein muss.

Illustration zum Szenario BRICOLAGE

Weil prekäre Lebenslagen zunehmen, wachsen aber auch solidarische Unternehmungen: Energiegemeinschaften, Baugenossenschaften, Dorfläden, nachbarschaftliche Pflegeangebote, Foodsaving-Initiativen ...

Die Kommunen sowie regionale Gebietskörperschaften nehmen unterschiedliche Bereiche der Daseinsvorsorge wieder verstärkt selbst in die Hand, um die Versorgung der Menschen mit dem Grundlegendsten zu gewährleisten.

Vielfältige Stakeholder-Gruppen organisieren sich, üben Druck aus und fordern mehr Beteiligung – auch in den herkömmlichen Unternehmensformen. Stakeholder-Dialoge werden für diese zu einem wichtigen Instrument des Risikomanagements.

Der Legitimationsdruck wird größer. Unternehmen müssen den gesellschaftlichen Nutzen ihres Unternehmenszwecks konkret benennen. Einzelne Unternehmensentscheidungen werden daran gemessen, die maßgeblichen Indikatoren und Berichtspflichten entsprechend erweitert.

Zunehmend werden auch aus den Belegschaften heraus Konzepte für eine sozial und ökologisch verantwortungsvolle Produktionsweise entwickelt.

Nutzen statt Besitzen: Das ist die Idee der Sharing-Ökonomie, auch wenn sie oft noch durch profitorientierte Unternehmen organisiert wird und durchaus Licht- und Schattenseiten hat.

Sharing- und Contracting-Modelle verändern aber in jedem Fall die Anreizstrukturen für Unternehmen. Nicht mehr kurze Produktlebenszyklen, sondern langlebige Produkte, einfache Wartung und Reparaturfähigkeit führen zu höheren Gewinnen.

Viele neue Unternehmungen beruhen auf Open-Source-Prinzipien. Der freie Zugang wird so zu einem Kernmerkmal des neuen Wirtschaftens.

Nicht alle sind mit dem Wandel einverstanden. Der Widerstand kommt insbesondere von denjenigen, die von der bisherigen Wirtschaftsweise überwiegend profitiert haben.

Die Gleichzeitigkeit von Altem und Neuen schafft aber auch Entscheidungsfreiheit. Während viele weiter in ihren vertrauten Strukturen arbeiten und leben, nehmen alternative Möglichkeiten und die Zahl derer zu, die neue Wege des Wirtschaftens einschlagen.

In den 2030er Jahren

... nehmen die Menschen in unterschiedlicher Weise mehr Einfluss auf die Art und Weise der Herstellung von Produkten, die sie konsumieren bzw. nutzen.

Die Praktiken der Sharing Economy werden so sukzessive durch gemeinschaftliche Formen von Organisation, Erzeugung, Unterhalt und Pflege der jeweiligen Güter ergänzt. In immer mehr Bereichen werden Bedarfe durch nicht profitorientierte Unternehmen gedeckt.

Im ganzen Land entstehen neue Mikro-Fabriken, Co-Working und Maker Spaces sowie offene Werkstätten als Orte kollaborativer Wertschöpfung.

Auch hier entwickeln sich viele Mischformen. Etablierte Unternehmen lernen, die kollektive Intelligenz ihrer Beschäftigten, Kunden und anderer Stakeholder stärker einzubinden, Prosumer-Netzwerke professionalisieren sich.

2034 wird die negative Einkommensteuer eingeführt. Sie garantiert letztlich ein Grundeinkommen und erlaubt es den Menschen, sich in der Transformation zu orientieren und neue Tätigkeiten bzw. Einkommensquellen zu erschließen.

Das Geldsystem wird grundlegend erneuert, Investitionsentscheidungen werden demokratisiert und die Finanzierung des Gemeinwesens auf neue „fiskalische Füße“ gestellt. Neue Währungen entstehen und ermöglichen Unternehmungen, die vorher so kaum umsetzbar gewesen wären; zinsfreie Kredite tragen zu nachhaltigen Infrastrukturprojekten bei; über lokale und regionale Funding-Plattformen entscheiden viele und nicht nur wenige darüber, welche Investitionen getätigt werden; der Verbrauch von Ressourcen wird höher, Arbeit hingegen niedriger besteuert. Diese und andere strukturelle Veränderungen sind natürlich mit enormen Anstrengungen und Interessenkonflikten verbunden. Und ihre Verwirklichung braucht Zeit.

Durch das zunehmend breitere Angebot an öffentlichen Kultur- und Freizeitangeboten, eine für alle kostenfreie Gesundheitsversorgung, gute Aus- und Weiterbildungssysteme sowie die stärkere soziale Absicherung kann der jahrzehntelange Trend der sich vertiefenden sozialen Ungleichheit umgekehrt werden.

Auch in globaler Perspektive wachsen vielfältige Formen der gegenseitigen Unterstützung. Angesichts der tiefgreifenden Transformationsprozesse sind alle Staaten dieser Erde Entwicklungsländer. Es herrscht ein weitgehender Konsens, dass sich die globalen Probleme nicht in Konkurrenz, sondern nur durch mehr Kooperation bewältigen lassen.

Im Jahr 2040

... ist die Zugangsgerechtigkeit größer und die soziale Ungleichheit geringer als früher. Gleichwohl: Die durchschnittliche Kaufkraft hat abgenommen. Aber mehr Bedürfnisse werden über Gemeingüter abgedeckt.

Früher war die Sorge groß, dass durch Digitalisierung, Algorithmen und KI viele Arbeitsplätze verloren gehen werden. Im Jahr 2040 sehen die meisten Automatisierung nicht mehr als Bedrohung, sondern als Entlastung.

Für immer mehr Menschen ist Arbeit vor allem eine Sache des Engagements – unabhängig davon, ob sie in Form von Erwerbsarbeit oder unentgeltlich erbracht wird. Gute Arbeit bedeutet ganzheitliche Arbeit, in der sich der Mensch nicht nur mit einem kleinen Ausschnitt seiner Fähigkeiten bzw. Persönlichkeit einbringen kann.

Das Konzept des „Ruhestands“ gibt es nicht mehr; die meisten Menschen bleiben auch im Alter aktiv und gehen unterschiedlichen Tätigkeiten nach.

Die nunmehr weitgehend geltende Lizenz- und Patentfreiheit schafft einen deutlich größeren Nutzen. Die Autoren von kreativen Commons werden heute über andere Mechanismen und Anreize für ihre Arbeit vergütet.

Die wohl wesentlichste Veränderung der Wirtschaft liegt im Rückgang marktgängiger Konkurrenz und dem Zuwachs kollaborativer Praktiken.

Mit der stärkeren Stakeholder-Orientierung gewinnt aber auch die Frage an Gewicht, wer eigentlich legitimiert ist, für bestimmte Gruppen und Interessen zu sprechen. Was ist mit denen, die sich kein Gehör verschaffen können?

Unternehmen sind lernende Organisationen, Experimentierfelder einer Gesellschaft im Umbruch. Gutes vermehrt sich, Flops sprechen sich schnell herum. Wie auf einem Basar sind die Produzenten vorzugsweise klein und lokal. Vertrauen ist eine zentrale Währung und neben der Motivation der Beteiligten mit das wichtigste Kapital einer jeden Unternehmung.

Nachhaltige Unternehmensführung umfasst auch die Fähigkeit der Profit-Suffizienz sowie die Wahl einer dem Unternehmenszweck angemessenen Unternehmensgröße. Die prägende Metapher für eine erfolgreiche Wirtschaft bzw. ein erfolgreiches Unternehmen ist nicht mehr die effiziente Maschine, sondern eher das Ökosystem eines Waldes.

Ein amerikanisches Sprichwort lautet „When it’s time, it’s time“ – und auch wenn vieles noch auf wackeligen Füßen steht, leben wir heute in einer wesentlich freudvolleren Wirtschaftsweise.

 

Podcast

Wir haben unsere Szenarien auch dieses Mal wieder von professionellen Sprecher*innen vertonen lassen. Viel Spaß beim Hören! 

Kurzfilm

Unsere animierten Kurzfilme bieten einen schnellen visuellen Einstieg in die vier Zukunftswelten von Unternehmen 2040.

Betriebswirtschaftliche Parameter

Für eine bessere Vergleichbarkeit der vier Szenarien haben wir gemeinsam mit den Teilnehmenden eine Matrix entwickelt, in der verschiedene betriebswirtschaftliche Parameter in ihren jeweils unterschiedlichen Ausprägungen dargestellt werden. Zum Vergleich mit den anderen Szenarien einfach das jeweilige "Akkordeon" öffnen.

Treibende Kräfte und Akteure des Wandels

  • (Sinn-)Krisen und Notwendigkeiten der Daseinsvorsorge, alternative Unternehmensformen, soziale Innovationen;
  • Spannungsfeld: dysfunktionaler „Unternehmenspark“ und unwirtschaftliches Wachstum – Suche nach Alternativen; Nebeneinander und wechselseitige Beeinflussung von konventionellen und neuen Formen des Wirtschaften.

Stakeholder-Verständnis

  • Breite formelle und informelle Einbindung unterschiedlicher Stakeholder-Gruppen; Unternehmenszwecke müssen offengelegt werden und sind dem Gemeinwohlinteresse untergeordnet.

Unternehmensstruktur & Wertschöpfungsketten

  • Vielfalt an Unternehmensformen (öffentlich-privat, profitorientiert/non-profit, langlebig-projektbezogen etc.), Regionalisierung von Wertschöpfungsketten bzw. Zunahme von kleinen lokal agierenden Unternehmen/Betrieben;
  • Bedeutungszuwachs genossenschaftlicher und ähnlicher Rechtsformen;
  • Die Wirtschaft gleicht mehr einem Basar – produziert und verkauft wird „nah“ am Kunden; gleichwohl bestehen aber auch weiterhin viele konventionelle Unternehmen, die nach den „gängigen Mustern“ funktionieren;
  • Alte und neue Wirtschaftsweisen befruchten sich gegenseitig.

Unternehmensführung/Corporate Governance

  • „Management by Purpose“: Unternehmen werden stärker bzgl. ihres Nutzens/Belastungen für das Gemeinwohl hinterfragt;
  • zum einen Demokratisierung von Entscheidungsprozessen unter Einbeziehung vieler interner und externer Anspruchsgruppen, zum anderen Bricolage, informelle Beteiligung, Crowd-Dynamiken, lokale Verantwortung.

Finanzierung

  • Vielfältige Finanzierungsformen und Währungen (öffentliche Mittel/Beteiligungen im weit gefassten Bereich der Daseinsvorsorge, wachsende Bedeutung von Crowdfunding – Nutzer stellen zunehmend Finanzierung für Produkte, die sie auch ideell unterstützen möchten, nicht finanziellem Stakeholder-Engagement etc.), aber auch nach wie vor konventionelle Formen der Unternehmensfinanzierung, z. B. über Anleihen und Kredite;
  • Auch die Vielfalt an Währungen nimmt zu: B2B-Währungen, Regionalwährungen, Kryptowährungen;
  • Die „Profit-Suffzienz“ vieler Unternehmen macht sie für konventionelle Investoren unattraktiver.

Arbeitsmarkt, seine Regulierung und Personalmanagement

  • Verlagerung von äußeren Anreizen hin zu intrinsischer Motivation;
  • Höherer Stellenwert von Sinnhaftigkeit der Arbeit, verschwimmende Rollenmuster in der Caring Economy;
  • Wachsende Bedeutung von Prosumer-Ökosystemen (Herstellung und Nutzung von Produkten), deutlich mehr Vielfalt der Beschäftigungsformen (von konventionell bis experimentell);
  • Oft weniger formelle, aber mehr informelle Mitbestimmung; große Bedeutung von (offenen) Plattformen für die Organisation von Prozessen;
  • Zunahme von mitarbeiter:innengeführten Unternehmen und Freiberuflern;
  • Zunahme und Aufwertung von informeller Arbeit und von Care-Arbeit;
  • Grundsicherung verringert prekäre Arbeitsbedingungen.

Controlling, Accounting & Reporting

  • Viele Unternehmen erstatten freiwillig Bericht über ihren sozialen und ökologischen „Footprint“ – auch über die gesetzlichen Anforderungen hinaus;
  • Stakeholder fordern ein hohes Maß an Transparenz ein bzw. schaffen dieses;
  • Unternehmen werden daran gemessen, inwieweit sie ihrem erklärten Purpose gerecht werden bzw. worin ihr Mehrwert für die Gesellschaft besteht.

Produktentwicklung und Marketing

  • Zunehmende Umkehrung: Bedarfe nehmen Einfluss darauf, was und wie produziert wird;
  • Nutzer organisieren Produktionsprozesse;
  • Kaufkraft für privaten Konsum geht zurück, Gemeingüter gewinnen an Bedeutung;
  • Rückgang von konventionellen, absatzfördernden Marketing-Methoden und Werbestrategien.

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