Wissenschaftskonferenz im WZB
Neue Impulse für die Forschung zur Mitbestimmung
Was leistet die Mitbestimmung? Was sagt die Wissenschaft? Das waren die zentralen Fragen, mit denen sich die zahlreichen Teilnehmer aus Deutschland und dem europäischen Ausland auf der Konferenz der Hans-Böckler-Stiftung und des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, das auch Gastgeber der Veranstaltung war, auseinandergesetzt haben.
Mitbestimmung im Wandel der Zeit
„Mitbestimmung ist ein Konzept, das einen Lebensverlauf hat, mit Ecken und Kanten. Es ist ein Konzept, das erst rund gemacht werden muss.“ Mit dieser Botschaft begrüßte Prof. Dr. Jutta Allmendinger, die Präsidentin des WZB, in einer Videobotschaft die geladenen Gäste. Sie verdeutlichte vor allem, dass Mitbestimmung in Unternehmen trotz 40 Jahren Mitbestimmungsgesetz noch lange keine Selbstverständlichkeit ist. Vielmehr sei es ein Konzept, das sich anpassen müsse an aktuelle Entwicklungen in Wirtschaft und Gesellschaft.
Mitbestimmung. Auslauf- oder Zukunftsmodell in Europa?
Deshalb sei es umso wichtiger, die wissenschaftliche Forschung zur Mitbestimmung zu betreiben. Denn aktuell schlage der Mitbestimmung viel kalter Wind entgegen, so Michael Guggemos. Der Sprecher der Geschäftsführung der Hans-Böckler-Stiftung nannte vor allem aktuelle Trends, denen die Wissenschaft nachgehen müsse. Das sei zum einen die Flucht aus der Mitbestimmung, die durch Europäisches Gesellschaftsrecht auf internationaler Ebene erleichtert würde und zum anderen die Entstehung neuer Arbeitsformen durch Digitalisierung, sowohl in den klassischen Betrieben als auch außerhalb.
Außerdem werde die Mitbestimmung von ausländischen Unternehmen häufig als „german way“, also deutscher Sonderweg gesehen – ein Versuch, die Mitbestimmung, wie wir sie in Deutschland entwickelt haben, infrage zu stellen und auslaufen zu lassen. „Aber 40 Jahre mit Mitbestimmung zeigen, dass es kein Auslaufmodell, sondern ein Zukunftsmodell ist. Und es bedarf der Diskussion mit Wissenschaft und Gesellschaft, um Mitbestimmung unter den aktuellen Prämissen voranzubringen“, so Guggemos.
Hierzu bot sich bei der Wissenschaftskonferenz der Hans-Böckler-Stiftung im WZB die Gelegenheit. Über den Tag verteilt hatte das Auditorium die Möglichkeit an sechs verschiedenen Panels teilzunehmen, die sich unter anderem mit Fragen beschäftigt haben wie:
• Haben CSR-Strategien einen positiven Effekt auf die Mitbestimmung?
• Wie wirken sich SE-Umwandlungen deutscher Aktiengesellschaften auf die
Mitbestimmung und auf den Aktienwert von Unternehmen aus?
• Was denken Menschen über Mitbestimmung?
MB-ix: Neue Kenngröße misst Mitbestimmungsgrad
Dr. Sigurt Vitols, langjähriger Mitarbeiter des WZB, stellte auf der Konferenz den Mitbestimmungsindex, kurz MB-ix, vor. Diese neue Messgröße, entwickelt von Vitols und seinem Kollegen Dr. Robert Scholz, misst die Verankerung von Mitbestimmung in Unternehmen auf einer Skala von 1 bis 100 anhand von sechs Komponenten:
- der Zusammensetzung
- der internen Struktur und
- der Einflussmöglichkeit des Aufsichtsrates
- der Existenz und Struktur seiner Ausschüsse
- dem Aspekt der Internationalisierung
- und schlussendlich der Existenz eines eigenständigen Ressorts Personal im Vorstand.
Die Daten setzen sich zusammen aus den im DAX, MDAX, SDAX und TECDAX gelisteten Unternehmen sowie weiteren börsennotierten und paritätisch mitbestimmten Unternehmen im Zeitraum 2006-2013 (263 Firmen).
In der Studie wird deutlich: die Verankerung von Mitbestimmung ist vor allem in kleinen und/oder auf Hochtechnologie ausgerichteten Unternehmen weitaus geringer als in großen und mittelgroßen sowie technologisch breiter aufgestellten Unternehmen.
Ausführliche Informationen zum Mitbestimmungsindex finden sich hier.
Mitbestimmung stärker bei jungen Menschen bekannt machen
„Mitbestimmung ist eine gute Sache, sagt ein Großteil der Menschen. Aber sie wissen zu wenig im Sinne eines Gestaltungsprinzips in Unternehmen darüber“, meint Prof. Dr. Werner Nienhüser von der Universität Duisburg-Essen. Mittels einer Telefonumfrage wurden 3.203 Personen zwischen 15 und 65 Jahren zu ihrer Einstellung zur Mitbestimmung befragt. Nur 25% der jungen Menschen bringen Mitbestimmung in Zusammenhang mit der Arbeitswelt. Praxiserfahrung macht hier den Unterschied im Hinblick auf das Wissen über Mitbestimmung. Die wichtigsten Studienergebnisse sind hier zusammengefasst.
Auf der Suche nach den richtigen Hebeln
„Auch auf juristischer Seite gibt es Vollzugsdefizite in Bezug auf Mitbestimmung. Dort besteht Nachholbedarf“, meint Prof. Dr. Monika Schlachter, Direktorin des Instituts für Arbeitsrecht und Arbeitsbeziehungen in der EG, kurz IAAEG, auf der abschließenden Podiumsdiskussion. Sie sieht vor allem die Nationalisierung als Problem, aber gleichzeitig auch als Chance und Herausforderung. Nationales Recht der Mitbestimmung dürfe europäische Lösungen einerseits nicht behindern, europäische Regeln dürften jedoch nationale Standards nicht unterminieren.
Aber auch andere Lösungsansätze wurden diskutiert. Tanja Jacquemin, Leiterin der Abteilung Mitbestimmung bei der IG Metall, sieht vor allem die folgenden beiden Handlungsfelder: die Mitbestimmung muss in Ausbildung und Lehre und damit in der Gesellschaft stärker verankert werden. An die Wissenschaft appellierte sie, Mitbestimmung besser messbar zu machen und interdisziplinär zu arbeiten.
Was soll die Wissenschaft am Ende leisten? Dr. Norbert Kluge, Leiter der Abteilung Mitbestimmung der Hans-Böckler-Stiftung, fasste die Diskussion so zusammen: „Wenn Wissenschaft den Blick dafür öffnen kann, dass zum Erfolg von Unternehmen nicht allein kurzfristige betriebswirtschaftliche Parameter gehören. Wenn künftig stärker gefragt wird, ob Unternehmen nachhaltig arbeiten, ob sie humane Arbeit schaffen und Menschen ihre Entwicklung in den Unternehmen mitbestimmen können, dann hat die Wissenschaft eine wichtige Aufgabe für die Praxis erfüllt“.