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Branchenmonitor

Gesundheitswirtschaft

Die deutsche Gesundheitswirtschaft wächst stärker als die Gesamtwirtschaft und gilt als Beschäftigungsmotor mit großen Ausstrahleffekten auf andere Wirtschaftsbereiche. Gleichzeitig steht sie aber vor großen und zukunftsweisenden Herausforderungen.

Icon Branchenmonitor Gesundheitswirtschaft

Gesundheitswirtschaft (Branchenmonitor, pdf)

Gesundheitswirtschaft bestehend aus den Branchensegmenten:

  • Gesundheitswesen ohne Arzt- und Zahnarztpraxen (WZ08-86.1/-86.9)
  • Heime ohne Erholungs- und Ferienheime (WZ08-87.1/-87.3/-87.9)
  • Sonstiges Sozialwesen ohne Heime (WZ08-88.9)

September 2021, 18 Seiten

Grafik Mitbestimmung in der Gesundheitswirtschaft
Grafik: Böckler Impuls

Die deutsche Gesundheitswirtschaft besitzt eine hohe ökonomische Relevanz

Zweifelsohne besitzt die deutsche Gesundheitswirtschaft angesichts des hohen und stetig wachsenden Wertschöpfungs- und Beschäftigungsniveaus eine besondere gesamtwirtschaftliche Relevanz. Laut der Gesundheitswirtschaftlichen Gesamtrechnung des BMWi beträgt die Bruttowertschöpfung 364,5 Mrd. Euro (2020). Dies entspricht einem Anteil von 12,1 % an der deutschen Gesamtwirtschaft und rund 7,5 % an der globalen Gesundheitswirtschaft. Angesichts exzellenter Standortbedingungen, Krisenresistenz und Innovationskraft entdecken immer mehr große internationale Investoren die Branche als Investmentziel für sich. In diesem Kontext sind insbesondere Krankenhäuser und Heime in zunehmenden Maß von Transaktionen, Privatisierung und Konsolidierung betroffen.

Digitalisierung, Fachkräftemangel und Arbeitsbedingungen

Eine Bertelsmann-Studie bescheinigte dem deutschen Gesundheitswesen im Jahr 2018 bei der Digitalisierung noch den vorletzten Platz. Die politischen Bemühungen und Reformen versuchen daher, den Nachholbedarf in der Digitalisierung der Gesundheitswirtschaft zu schließen und die Digitalisierung der deutschen Gesundheitswirtschaft voranzutreiben.

Von der zunehmenden Implementierung digitaler Tools und Lösungen wie beispielsweise der „App auf Rezept“ im Dezember 2019 verspricht man sich nicht nur auf Konsumentenseite positive Auswirkungen (i.e. Versorgung strukturschwacher Regionen, Nutzerfreundlichkeit, etc.), sondern auch ökonomisch vorteilhafte Effekte für die gesundheitswirtschaftlichen Leistungserbringer. Bislang fehlen jedoch wissenschaftliche Belege dieser Effekte.

ver.di betont in aktuellen Stellungnahmen zum Digitale Versorgung und Pflege-Modernisierungsgesetz-DVPMG und zur Digitale-Gesundheitsanwendungen-Verordnung – DiGAV, dass einerseits arbeitsplatz- und beschäftigungsrelevante Folgen digitaler Anwendungen und andererseits auch die Mehrwerte in Bezug auf Versorgungsqualität und -sicherheit bisher unbelegt sind. Dementsprechend entstehen in der Gesetzlichen Krankenversicherung Kosten für digitale Gesundheitsanwendungen ohne einen entsprechenden Wirksamkeitsnachweis. Darüber hinaus stellen digitalisierungsinduzierte Risiken wie eine zunehmende Intensivierung der Arbeit, zunehmende Anonymität sowie Datenschutzbedenken vor der umfänglichen Implementierung bisher ungeklärte Themen dar.

In allen Bereichen der Gesundheitswirtschaft stellt der existierende und zukünftig weiter steigende Fachkräftemangel die Leistungserbringer der Gesundheitswirtschaft schon heute vor massive Herausforderungen. Getrieben vom demografischen Wandel steht dem wachsenden Bedarf an Fachkräften eine perspektivisch sinkende Anzahl an Arbeitskräften gegenüber. Die personalintensive Branche wird durch sich abzeichnende Veränderungen der Krankheitsspektren hin zu chronischen und psychischen Erkrankungen weiter belastet, da deren Behandlung in der Regel langwierig und kostenintensiv sind.

Trotz der hohen Leistungsfähigkeit, der ökonomischen Bedeutung und der prognostizierten Entwicklung der Branche sind die Arbeitsbedingungen insbesondere im Bereich der Langzeitpflege deutlich verbesserungswürdig. Die Löhne sind gering und spiegeln häufig aus Sicht der Beschäftigten nicht deren Leistung wider. Atypische Arbeitsverhältnisse (z.B. Teilzeit und geringfügige Beschäftigung), gepaart mit sowohl psychisch als auch physisch belastenden Arbeitsbedingungen charakterisieren die deutsche Gesundheitswirtschaft.

Gesundheitswirtschaft im Fokus der Corona-Pandemie

Die Bewältigung der Covid-19-Pandemie rückte die hohe gesellschaftliche Bedeutung der deutschen Gesundheitswirtschaft – zumindest kurzfristig – in die öffentliche Wahrnehmung.

Bis zum Ausbruch der Pandemie galt die Branche zwar als krisensicher und stabil. Laut der Gesundheitswirtschaftlichen Gesamtrechnung des BMWi sank die Bruttowertschöpfung in der Gesundheitswirtschaft im Krisenjahr 2020 jedoch mit -3,7 % im Vergleich zum Vorjahr stärker als die Bruttowertschöpfung der deutschen Volkswirtschaft insgesamt (-3,0 %).

Aufgrund der Pandemie mussten beispielsweise stationäre Leistungserbringer wie Krankenhäuser und Rehabilitationseinrichtungen planbare Operationen, Eingriffe und Aufenthalte verschieben und verzeichneten daher hohe Einnahmeausfälle. Zwar konnten diese Einnahmeausfälle durch politische Maßnahmen weitestgehend aufgefangen werden, Experten befürchten jedoch pandemiebedingte Nachwirkungen in den Folgejahren.

Vor allen Dingen hat die Pandemie in den Hochzeiten des Infektionsgeschehens den Personalnotstand, die drohende Überlastung der Gesundheitsdienstleister sowie die hohen Belastungen und Risiken der Beschäftigten in der Versorgung sichtbar gemacht.

Sonderthema: Mitbestimmungsvermeidung in der Gesundheitswirtschaft

Die Gesundheitswirtschaft zeichnet sich durch eine schwache Mitbestimmungssituation aus. Die Mitbestimmungsdefizite zeigen sich sowohl in rechtskonformen als auch rechtswidrigen Einschränkungen der Unternehmensmitbestimmung. Aktuelle Beiträge und Studien der HBS (2020, 2021a, 2021b) zum Thema Unternehmensmitbestimmung in Gesundheitskonzernen identifizieren Trägerschaft, Konzernstruktur und Rechtsform als Hauptursachen der Defizite. Demnach existieren beispielsweise im gemeinnützigen und konfessionellen Bereich, aber auch für die häufig von privatwirtschaftlichen Anbietern genutzten europäischen Rechtsformen keine ausreichenden Grundlagen für ein Mitbestimmungsrecht.

Zur Verbesserung der Mitbestimmungssituation in der Branche ist die enge Zusammenarbeit von Politik, Gewerkschaften und Unternehmen der Gesundheitswirtschaft gefordert. Dies gilt vor dem Hintergrund der derzeit herrschenden Arbeitsbedingungen der Beschäftigten sowie der sich abzeichnenden Trends und Themen der Branche umso mehr und unterstreicht die Wichtigkeit und Dringlichkeit des gemeinsamen Handelns im Sinne aller beteiligten Parteien.

Weiterführende Informationen:

Icon Study 457 Gesundheitswirtschaft

Clara Behrend, Katharina Oerder (2021): Unternehmensmitbestimmung in Gesundheitskonzernen

Study der Hans-Böckler-Stiftung, Bd. 457

Düsseldorf, April 2021, 107 Seiten