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Forderungen an die Europäische Kommission

Für eine mitbestimmte und nachhaltige Corporate Governance in Europa!

Die unternehmerische Mitbestimmung von Arbeitnehmer*innen ist ein Kernelement nachhaltiger Unternehmensführung in Deutschland und Europa. Im Rahmen unserer Workers' Voice-Veranstaltung wurden daher Forderungen an die neue Europäische Kommission formuliert.

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Die unternehmerische Mitbestimmung von Arbeitnehmer*innen ist ein Kernelement nachhaltiger Unternehmensführung in Deutschland und Europa. Mitbestimmte Unternehmen sind nicht nur ökonomisch erfolgreicher und resilienter in Krisenzeiten – sie sind auch nachhaltiger. Zur Stärkung einer langfristig orientierten Unternehmensführung, die sich nicht ausschließlich an der Gewinnmaximierung ausrichtet, sondern auch soziale und ökologische Fragen berücksichtigt, muss die Mitbestimmung in Europa gestärkt werden. Gerade im Bereich der sozialen Nachhaltigkeit, die an Bedeutung gewinnt, sind Arbeitnehmervertreter*innen im Aufsichtsrat die wesentlichen Expert*innen und tragen mit ihrer Erfahrung zur nachhaltigen Ausrichtung von Unternehmen bei.

Europäische Betriebsräte, Arbeitnehmervertreter*innen im Aufsichtsrat und Gewerkschaften geben wichtige Impulse für sichere Arbeitsplätze und gute Arbeitsbedingungen. Fortschrittlichkeit bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist in Zeiten des Fachkräftemangels ein wichtiger Wettbewerbsvorteil auf dem Arbeitsmarkt.

Auf dem Weg hin zu einem Rahmen für eine nachhaltige Unternehmensführung sind in der letzten Legislatur der Europäischen Kommission wichtige Pflöcke eingeschlagen worden: Die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) setzt neue Standards in der Transparenz von Unternehmen im Bereich der Nachhaltigkeit. Die Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) verpflichtet Unternehmen zur Einhaltung von Menschenrechten entlang der Lieferkette.

In der nächsten Legislatur muss ein Arbeitsschwerpunkt der Europäischen Kommission auf die Stärkung kollektiver Arbeitnehmer*innenrechte gelegt werden. Die schon lange diskutierte und von den Gewerkschaften geforderte Einführung einer Rahmenrichtlinie für Information, Konsultation und Partizipation wäre eine nachhaltige Stärkung der Demokratie am Arbeitsplatz. Damit könnten endlich Rechtslücken zur Umgehung der Mitbestimmung geschlossen werden, die Millionen Arbeitnehmer*innen um ihre demokratischen Gestaltungsrechte bringen. Europäische Betriebsräte sind in Zeiten der Transformation ein wichtiges Netzwerk für die Beschäftigten und können Impulse etwa für Globale Rahmenvereinbarungen liefern. Weitere Aspekte, die einen Platz im Arbeitsprogramm der Kommission verdienen, sind eine stärkere Verpflichtung von Vorständen zum langfristigen Erfolg des Unternehmens sowie die Verankerung eines pluralistischen Unternehmensinteresses auf europäischer Ebene.

Die Mitbestimmung in Unternehmen leistet einen entscheidenden Beitrag zur Nachhaltigkeit, aber auch zur Stärkung unserer Demokratie. Die Teilhabe der Beschäftigten an Veränderungsprozessen ist die Voraussetzung für die Akzeptanz und das Gelingen ebendieser. Demokratie schützt man am besten, in dem man sie für möglichst viele erlebbar macht. Daher ist die Stärkung der Mitbestimmung der Beschäftigten in Europa unerlässlich.

A. Europäische Betriebsräte (EBR)

Die europäische Politik sollte sich zu folgenden Punkten
verpflichten:

  • Verhängung scharfer Sanktionen, wenn ein EBR nicht angehört wird, bevor ein Unternehmen eine Entscheidung trifft; ein solches Unternehmen sollte beispielsweise bei der Vergabe öffentlicher Aufträge ausgeschlossen werden.
  • EBR sollten Zugang zu Rechtsmitteln haben, sodass sie in der Lage sind, als Rechtsperson gegen Unternehmen gerichtlich vorzugehen. Es sollte darüber hinaus Fortbildungsmaßnahmen für Jurist*innen/Richter*innen auf nationaler Ebene und Aufklärungsmaßnahmen innerhalb des nationalen Rechtssystems geben.
  • Die Verhandlungen zur Einrichtung eines EBRs sollten ebenso automatisch beginnen sowie die Anwendung der gesetzlichen Auffangbestimmungen bei Rückgriff auf Instrumente des europäischen Gesellschaftsrechts.
  • Die Stellungnahme des EBRs muss bei bestimmten grenzübergreifenden Unternehmensentscheidungen berücksichtigt werden.
  • Klärung der Grundsätze für die Einstufung von Informationen als ‚vertraulich‘ – da diese Taktik oft angewendet wird, um die Anhörung des EBRs zu umgehen.
  • Der EBR muss das Recht auf Zugang zu allen Unternehmensstandorten haben, um eine effiziente Abstimmung der Arbeitnehmervertretung sicherzustellen.
  • Es müssen objektive Kriterien für die Wahl des auf den EBR anzuwendenden Rechts gelten, um zu vermeiden, dass Unternehmendas für sie günstigste Rechtssystem wählen („Regime Shopping“) oder Briefkastenfirmen nutzen.
  • Es müssen mindestens zwei verpflichtende Präsenzsitzungen pro Jahr stattfinden.
  • Das Recht von Gewerkschaften auf Teilnahme an EBR -Verhandlungen sowie bei Sitzungen des EBR und seiner Hauptgremien.
  • Das Recht auf Inanspruchnahme externer Beratung/Unterstützung, z. B. Gewerkschaftsvertreter*innen, und deren Finanzierung.
  • Angemessene Vertretung von Männern und Frauen sowie womöglich verschiedener Altersgruppen im EBR mit besonderer Beachtung junger Menschen.
  • Erweiterung der Themenliste, zu der der EBR angehört werden muss, wie zum Beispiel Nachhaltigkeit.
  • Alle EBR-Mitglieder müssen über ein ausreichendes Zeitkontingent verfügen können, um ihre Aufgaben ausüben zu können.

B. Mitbestimmung in Aufsichtsräten

Mindeststandards für Information, Konsultation und
Mitbestimmung

Die europäische Politik sollte sich daher zu folgenden Punkten
verpflichten:

  • Mindeststandards für die Mitbestimmung in Aufsichtsräten in Form einer Rahmenrichtlinie zur Information, Konsultation und Mitbestimmung für Unternehmen, die unter Anwendung europäischer Richtlinien ihre Rechtsform ändern. Ein solcher Mindeststandard sollte sicherstellen, dass immer mindestens ein/e Arbeitnehmervertreter*in im Aufsichtsrat des Unternehmens sitzt.
  • Die Mindeststandards für die Arbeitnehmerbeteiligung sollten außerdem nach einem dynamischen Prinzip (dem „escalator approach“) aufgebaut sein: Sprich der Umfang der Arbeitnehmerbeteiligung sollte im Verhältnis zur Beschäftigtenzahl steigen.
  • Für die Beschäftigten sollte Rechtssicherheit in der Wahrung ihrer erworbenen Beteiligungsrechte gewährleistet sein, wenn das Unternehmen seinen Sitz verlagert, die Rechtsform wechselt oder sich die Zusammensetzung der Führungsstruktur anderweitig rechtlich ändert.
  • Ausschluss von Unternehmen, die die Mitbestimmungsrechte ihrer Beschäftigten nicht wahren, von öffentlichen Aufträgen.

Europäische Gesellschaften / SEs / Richtlinie übergrenzübergreifende Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen

  • Die Arbeitnehmerbeteiligung in den Aufsichtsräten Europäischer Aktiengesellschaften sollte mitsamt einer neuen Auffangbestimmung neu verhandelt werden, wenn das Unternehmen die in der einschlägigen nationalen Gesetzgebung festgelegten Schwellenwerte nachträglich überschreitet (solange es keine verbindlichen Mindeststandards zur Information, Konsultation und Mitbestimmung gibt). Die neue Auffangbestimmung sollte dann am Niveau der Arbeitnehmerbeteiligung ausgerichtet sein, die neu überschritten wurde.
  • Das Gesellschaftsrechtspaket sollte überarbeitet und dabei die Auswirkungen auf die Arbeitnehmerbeteiligung sorgfältig untersucht werden. Schlupflöcher zur Umgehung der Mitbestimmung im geltenden Recht sollten geschlossen werden.

C. Nachhaltige Unternehmensführung

Außerdem sollte sich die europäische Politik zu folgenden
Punkten verpflichten:

  • Eine klare Definition des Unternehmensinteresses, die auf die nachhaltige Unternehmensführung eingeht und ein pluralistisches Verständnis des Unternehmensinteresses beinhaltet. Perspektiven für Arbeitsplätze und Standorte, Regionen mit einer hohen Lebensqualität und Arbeitnehmerbeteiligung haben Vorrang vor der Erwirtschaftung kurzfristiger Gewinne für Investoren.
  • Stärkung der Rechte der Stakeholder gegenüber den Aktionär*innen und keine weitere Verschiebung von Kompetenzen vom mitbestimmten Aufsichtsrat hin zur Hauptversammlung.
  • Einbeziehung von Betriebsräten auf europäischer und nationaler Ebene in den Aufbau eines Prozesses für die menschenrechtliche Lieferkettensorgfaltspflicht.
  • Verpflichtende Unterrichtung und Anhörung des EBR s zum Nachhaltigkeitsbericht, der gemäß der Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD-Richtlinie) erstellt wird.
  • Soziale Mindeststandards mit verbindlichen technischen Kriterien als Teil einer nachhaltigen Finanztaxonomie.
  • Rechtliche Verschärfung der Pflichten der Vorstände mit Verantwortung für den langfristigen und nachhaltigen Erfolg des Unternehmens, die durch verpflichtende Nachhaltigkeitskennziffern untermauert werden.
  • Berücksichtigung des Systems der Arbeitnehmervertreter*innen in Aufsichtsräten bei Debatten über die Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern.
  • Verbot künstlicher Briefkastenfirmen.
Info

Warum ist die Europawahl für die Zusammensetzung der neuen Europäischen Kommission relevant?

Bei der Europawahl haben die Bürger*innen der Europäischen Union die Möglichkeit Mitglieder des Europäischen Parlaments zu wählen - jedoch nicht direkt die Europäische Kommission.

Nach der Wahl schlägt der Europäische Rat einen/eine Kandidat*in für das Amt des/der Kommissionspräsident*in vor, der/die vom Europäischen Parlament mit absoluter Mehrheit bestätigt werden muss. Artikel 17 des EU-Vertrages schreibt vor, dass der Europäische Rat das Ergebnis der Europawahl bei der Wahl des/der Kommissionspräsident*in berücksichtigen muss. Die Kommission besteht aus 27 Mitgliedern - sodass jeder Mitgliedstaat ein Mitglied entsendet. Daher spielen die politischen Mehrheitsverhältnisse in den Mitgliedstaaten ebenfalls eine große Rolle für die zukünftige politische Ausrichtung der EU-Kommission. Der/Die Kommissionspräsident*in legt allerdings die Leitlinien fest, nach denen die Aufgaben der Kommission ausgeübt werden. Auch das gesamte Kabinett muss vom Europäischen Parlament bestätigt werden. Es ist zu erwarten, dass die designierte EU-Kommission im Herbst vom Europäischen Parlament angehört wird. Jede*r Kommissar*in muss ihre Ideen für ihren Politikbereich vorstellen und Fragen der Parlamentarier beantworten. So kann das neu gewählte EU-Parlament, Einfluss auf die thematische Schwerpunktsetzung der neuen EU-Kommission zu nehmen.