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Mitbestimmungsreport 76 (mit Video)

Diversification Discount für Mischkonzerne: Es lohnt sich, genauer hinzuschauen!

Werden Konzerne, die sich wirtschaftlich breit aufstellen, am Kapitalmarkt schlechter bewertet? Eine Untersuchung des I.M.U. zeigt, dass sich ein solcher „Konglomerats-Abschlag“ keinesfalls für jedes Unternehmen nachweisen lässt.

Diversification Discount

Mischkonzerne stehen bereits seit einigen Jahren unter einer zunehmend skeptischen Beobachtung seitens des Kapitalmarkts. Gängig ist das Klischee des behäbigen, „schweren Tankers“ oder des „Gemischtwarenladens“, in dem die Ressourcen nicht effizient in die erfolgversprechendsten Geschäfte gelenkt werden und der nicht hinreichend flexibel und innovativ ist, um im digitalen Zeitalter zu bestehen. Die Börse bestrafe diese Defizite dadurch, dass die Aktien von Konglomeraten – im Unterschied zu fokussierten Unternehmen – pauschal mit einem Abschlag auf den Aktienkurs gehandelt würden. Diese Sichtweise wird seit geraumer Zeit durch diverse empirische Studien, insbesondere aus dem angelsächsischen Raum, gestützt.

Das Ergebnis dieses Markttrends zum schlanken, fokussierten Unternehmen kann man auch in Deutschland an einer Häufung von Unternehmensabspaltungen ablesen. Als besonders prominente Beispiele sind hier zu nennen: Siemens mit seinen Abspaltungen Siemens Energy und Siemens Healthineers, Daimler mit Daimler Trucks, Continental mit seiner früheren Antriebssparte Vitesco, Metro mit Ceconomy sowie Volkswagen mit seinem abgespaltenen Nutzfahrzeugsegment Traton. Aktuell berichtet die Wirtschaftspresse wiederkehrend über das aktivistische Vorgehen mancher Investoren bei Bayer, die eine Aufspaltung des Konzerns in Agrar- und Pharmageschäft fordern.

Aus Sicht der Beschäftigten sind die Folgen solcher Abspaltungsprozesse oftmals gravierend. Bestehende Konzernstrukturen der betrieblichen und Unternehmens-Mitbestimmung werden erheblich behindert, wenn nicht vollständig zerrissen. Vorteile für die interne Personalstrategie, z. B. die Rekrutierung über konzerninterne Arbeitsmärkte gehen verloren. Und von der Volatilität, der ein stärker fokussiertes Unternehmen durch seine Abhängigkeit von einem oder wenigen Geschäftsfeldern ausgesetzt ist, sind nicht selten zuerst die Arbeitnehmer*innen betroffen.

Drei Fragen an Universitätsprofessor Dr. Marc Eulerich

Die Sichtweise der strategischen Managementlehre

Beschäftigt man sich mit der Sichtweise der strategischen Managementlehre auf das Thema Fokussierung bzw. Diversifikation, so zeigt sich ein weniger eindeutiges Bild. Zwar betonen auch Strategielehrbücher die Vorteile einer Fokussierungsstrategie, da z. B. Ressourcen stärker auf bestimmte Aktivitäten konzentriert werden können, in denen im Wettbewerb beispielsweise eine Kostenführerschaft oder ein besonderer Qualitätsstandard mit entsprechenden Marktanteilen und Renditechancen erreicht wird. Doch zeigen sie gleichzeitig die Kehrseite dieser Medaille auf: eine deutlich erhöhte Abhängigkeit von einzelnen Produkten und Märkten und somit eine stärkere Ergebnisvolatilität auf mittlere bis lange Sicht. Umgekehrt können diversifizierte Unternehmen, die also auf mehrere Standbeine in unterschiedlichen Geschäftsfeldern setzen, genau auf diesem Wege Abhängigkeiten reduzieren. So sind sie oftmals in Krisenzeiten widerstandsfähiger, wenn z. B. konjunkturunempfindlichere Segmente jene Segmente querfinanzieren, die sich im Abschwung befinden. Zugleich kann diese Querfinanzierung auch das „Heranziehen“ neuer, weniger erprobter Geschäftsfelder innerhalb des Konzerns erst ermöglichen. Nicht anders gehen die US-amerikanischen IT-Riesen Alphabet bzw. Google oder Amazon vor, die längst zu Mischkonzernen eines neuen Typus herangewachsen sind.

Fest steht: Der Trend zu fokussierten oder zu diversifizierten Unternehmen war in der länger zurückreichenden Vergangenheit immer wieder Schwankungen ausgesetzt. Mal wurde das eine und mal das andere Modell als besonders vorteilhaft gepriesen.

Die spezifischen Sichtweisen der Kapitalmarkt-Akteure

Die Akteure am Kapitalmarkt wiederum haben ihre eigenen Sichtweisen auf das Für und Wider von Mischkonzernen: Maßgeblich für die Entwicklung der Aktienkurse börsennotierter Gesellschaften sind längst die institutionellen Anleger, allen voran Fondsgesellschaften und Vermögensverwalter. Diese nehmen für sich in Anspruch, die Konfiguration und Diversifikation von Geschäftsfeldern effizienter innerhalb ihres eigenen Besitzportfolios, also durch Kauf verschiedener, fokussierter Unternehmen durchführen zu können als durch den Einstieg bei „fertigen“ Mischkonzernen. Unterstützt werden sie in dieser Sichtweise auch durch Finanzanalysten. Diese sind besonders zugänglich für das eingängige Argument, ein schlankes und agiles Unternehmen sei für die digitale Transformation besser gerüstet als ein diversifiziertes.

Von diesem „Trend“ profitieren nicht nur Hedgefonds, die aus kurzfristigen Kursbewegungen infolge von Abspaltung Kapital schlagen können, indem sie sich anschließend direkt wieder von ihren Anteilen trennen. Auch Beratungsunternehmen winken lukrative Aufträge. Für eine hinreichende Zahl an Fürsprechern im Sinne von Fokussierungsstrategien ist also gesorgt.

Die Situation in Deutschland

Ist ein pauschaler Abschlag auf den Aktienkurs von Mischkonzernen in Deutschland tatsächlich empirisch nachweisbar? Das I.M.U. hat hierfür eine Studie an der Universität Duisburg-Essen unterstützt, die sich dieser, bis dato unterbelichteten Fragestellung annahm.

Untersucht wurde zu diesem Zweck die Marktbewertung der CDAX-Unternehmen im Zeitraum von 2000 bis 2018. Und tatsächlich zeigt sich hier ein differenzierteres Bild als in der öffentlichen Diskussion: Zwar ist für eine Reihe von Konglomeraten, die aus dem CDAX-Datensatz identifiziert wurden, ein Bewertungsabschlag festzustellen, doch gilt dies keineswegs ausnahmslos für alle Unternehmen. Im Gegenteil: Es sind sogar Unternehmen identifizierbar, die einen Konglomerats-Aufschlag aufweisen, deren Aktienkurs also von der Diversifikation des Mischkonzerns profitiert. Auffällig ist zudem die Bedeutung der Branche, in der ein Unternehmen tätig ist. Während sich z. B. im Bereich der Mess-, Prüf- und Kontrollsysteme ein sehr hoher Konglomerats-Abschlag nachweisen lässt, gilt z. B. für Unternehmen der chemischen Industrie das Gegenteil: hier ist ein deutlicher Konglomerats-Aufschlag zu verzeichnen.

Mitbestimmungsreport Nr. 76

Der Diversification Discount in Deutschland

Sebastian Campagna, Marc Eulerich und Alexander Sekanina

Reihe Mitbestimmungsreport, Nr. 76 (2023), 18 Seiten

Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass die pauschale kritische Würdigung von Mischkonzernen gerade in Deutschland zu hinterfragen ist: Einerseits fällt schon die strategische Managementlehre keinesfalls ein derart eindeutiges Urteil zur Diversifikationsstrategie, wie dies Teile der Beratungsindustrie suggerieren. Andererseits hält auch das Argument, der Kapitalmarkt strafe Mischkonzerne pauschal ab, den empirischen Daten für Deutschland keinesfalls stand.

Erheblich mehr Aufmerksamkeit sollte daher auf die Frage gelenkt werden: Welche Strategie passt zu einem bestimmten Unternehmen mit seinem spezifischen Branchenumfeld und seinen spezifischen Potenzialen und Ressourcen? Das jedoch setzt eine tiefergehende strategische Analyse voraus, die sich nicht durch das Beharren auf aktuellen Managementtrends und medialen Schlagworten ersetzen lässt. Nur so kann tatsächlich auch ein nachhaltiges Geschäftsmodell entwickelt werden, das langfristig erfolgreich ist und Arbeitsplätze sichert.