Vorstandsvergütung
Aktionärsrechterichtlinie gefährdet Balance
Die Balance der Unternehmensverfassung in Deutschland ist in Gefahr: Die EU-Aktionärsrechterichtlinie verlagert Entscheidungskompetenzen hin zu Investoren und weg vom mitbestimmten Aufsichtsrat. Die Rechte der Hauptversammlung werden gestärkt, indem den Aktionären ein unabdingbares Recht auf ein Say on Pay gegeben wird. Der Aufsichtsrat trägt zwar nach wie vor die Verantwortung für die Vergütungs- und Personalentscheidung, seine Entscheidungsautonomie wird jedoch geschwächt. Das führt zu einer Machtverschiebung im deutschen Corporate Governance-System.
Die Aktionäre bekommen so einen Hebel, der über den Umweg der Anreizsysteme in Vergütungssystemen weit in die operative Geschäfts- und Personalpolitik durchgreift. Da Anlegerinteressen heterogen sind, wie z. B. auch Voting Guidelines von Investoren und Stimmrechtsberatern zeigen, stiftet das vor allem Unruhe für die Unternehmen. Die Annahme, dass eine stärkere Beteiligung der Aktionäre die Vorstandsvergütung dämpft, ist aber nach den bisherigen Erfahrungen unrealistisch. Das Interesse von Anlegern ist renditeorientiert. Ob das dem Wohlergehen und dem Erhalt des Unternehmens dient, steht nicht oben auf ihrer Agenda. Mitbestimmung im Aufsichtsrat bewirkt hingegen, dass die Interessen der Arbeitnehmer am langfristigen Bestand des Unternehmens in Entscheidungen eingehen. Schwächt man den Aufsichtsrat zugunsten von Investoren, unterminiert man auch diesen existenziellen Korrekturfaktor. Ist das die richtige Entwicklung zu mehr Nachhaltigkeit in der Unternehmensführung und Vergütung, wie es die Richtlinie beabsichtigt, oder wird der Bock zum Gärtner gemacht?
Festzuhalten ist: Say on Pay-Regelungen passen nicht zur dualistischen Verfassung der Aktiengesellschaft. Die Personalkompetenz sollte aufgrund größerer Professionalität und Sachnähe unbedingt beim Aufsichtsrat bleiben. Eine Verlagerung der Vergütungsentscheidungen auf die Aktionäre widerspricht der heute angestrebten stärkeren Verankerung der übrigen Stakeholder-Belange in den Systemen und schwächt die ausgleichende Rolle der Mitbestimmung.
Der Einfluss von Finanzinvestoren wird aber noch vergrößert durch direkte Gespräche mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden, wie sie der Deutsche Corporate Governance Kodex – höchst umstritten – neuerdings anregt. Das Vergütungsvotum dient hierbei zuallererst als nützlicher Hebel, um solche Gespräche zu erzwingen und den eigenen Einfluss zu untermauern.
Angesichts dieses Befunds ist es notwendig, dass der deutsche Gesetzgeber – und das gilt auch für die Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex – bei der Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie die bestehenden Wahlrechte in dem Sinne ausübt, dass die drohende Machtverschiebung nicht verstärkt wird. Das betrifft bspw. die folgenden Punkte:
- Nach der Richtlinie muss die gesamte Vergütungspolitik mindestens alle vier Jahre in der Hauptversammlung zur Abstimmung gestellt werden. In Ausübung seiner Wahlrechte sollte der Gesetzgeber diesem Votum nicht bindende, sondern lediglich beratende Wirkung geben. Gegenüber dem heute freiwilligen unverbindlichen Vergütungsvotum führt freilich schon dies zu einer Steigerung des Aktionärseinflusses mit »faktisch bindender« Wirkung: Denn bei einem ablehnenden Votum muss der Aufsichtsrat eine überarbeitete Version vorlegen. Auch angesichts drohender Nichtentlastung wird der Aufsichtsrat kaum eine Vergütungspolitik gegen das Aktionärsvotum umsetzen. Um so wichtiger ist es daher, dass der Gesetzgeber die Möglichkeit schafft, bei außergewöhnlichen Umständen von der beschlossenen Vergütungspolitik abzuweichen.
- Zusätzlich müssen Unternehmen jährlich den Vergütungsbericht zum vergangenen Geschäftsjahr konsultativ zur Abstimmung stellen und dabei auch beschreiben, wie sie dem Vorjahresvotum Rechnung getragen haben. Hier sollte der Mitgliedstaat von der Möglichkeit Gebrauch machen, die Vorgabe für kleine und mittelständische Unternehmen auf eine bloße Diskussionspflicht zu beschränken. Hinsichtlich der Publikation des Vergütungsberichts wäre – wie heute verbreitet – eine Einbettung in den Lagebericht zu bevorzugen, weil dem Bericht dort intern wie extern die gebührende Aufmerksamkeit zukommt.
- Das Verhältnis der Vorstandsbezüge zum Durchschnittsgehalt der Belegschaft im DAX ist in den letzten zehn Jahren im Schnitt vom 42-Fachen auf das 57-Fache gestiegen. Nach der EU-Richtlinie sind Angaben zu einer solchen Relation – ähnlich wie auch in den USA ab diesem Jahr – endlich Pflicht. Um Vergleichbarkeit zu gewährleisten, sollten Unternehmen verpflichtet werden, zukünftig das jeweilige Verhältnis für die Beschäftigten im Inland, in der EU und im Gesamtkonzern klar ausweisen zu müssen. Zusätzlich sollte der Aufsichtsrat verpflichtet werden, zur Wahrung der vertikalen Angemessenheit eine unternehmensspezifische Relationsobergrenze festzulegen.
- Nach der EU-Richtlinie beinhalten die variablen Bestandteile der Vergütungspolitik finanzielle und nichtfinanzielle Leistungskriterien. Inhaltliche Nachhaltigkeit soll so gefördert werden. Dieses Konzept entspricht auch der neuen Pflichtpublizität nach der CSR-Richtlinie der EU. Neben ökonomischen sind auch ökologische und soziale Ziele sowie Arbeitnehmerbelange umfasst. Im Alltag der Aufsichtsräte setzen sich schon jetzt besonders die Arbeitnehmervertreter für solche Nachhaltigkeitskriterien in Vergütungsmodellen ein. Die Stimmenmehrheit hat jedoch die Anteilseignerseite. Wollte man in puncto Nachhaltigkeit vorankommen, wäre das Erfordernis einer qualifizierten Mehrheit bei Vergütungsentscheidungen im Aufsichtsrat naheliegend. Auch eine gesetzliche Pflicht zur Einbeziehung nichtfinanzieller Nachhaltigkeitskriterien wäre förderlich. Zugleich sollten natürlich die variablen Vergütungsbestandteile im Verhältnis zur Grundvergütung nicht ausufern und in ihrer Langfristkomponente gestärkt werden.
Die EU-Richtlinie verfolgt richtige Ziele und steigert die Transparenz. Ob sie aber zu einer Dämpfung der Vergütungsspitzen und zu mehr Nachhaltigkeit führt, darf bezweifelt werden. Die Steigerung des Investoreneinflusses entspricht vielleicht einem angelsächsischen Corporate Governance-Konzept, schwächt aber die Kräfte der inhaltlichen Nachhaltigkeit – Stakeholder und Arbeitnehmer. Die europäische Gesetzgebung, aber auch jüngste Forderungen aus der deutschen Politik vernachlässigen dies leider.