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Monitor EU-Wirtschaftsrecht

Faire Arbeitsbedingungen bei digitalen Plattformen

Eine neue europäische Richtlinie soll Personen, die über digitale Plattformen arbeiten, besser schützen. Die Mitgliedstaaten haben zwei Jahre Zeit, die neuen Bestimmungen in nationales Recht umzusetzen.

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Update 19.04.2024

Am 8. Februar 2024 haben sich EU-Parlament und Ministerrat auf die Richtlinie über Plattformarbeit einigen können. Das bestätigten die für Beschäftigung und Soziales zuständigen Minister*innen der EU bei einem Treffen am 11. März. Aufgrund mehrfacher Blockaden unter den Mitgliedsstaaten zog sich die Verabschiedung der Richtlinie über drei Jahre, konnte jetzt aber trotz der Enthaltung Deutschlands und Frankreichs beschlossen werden. 

Im Mittelpunkt des Kompromisstextes steht eine gesetzliche Vermutung zur Bestimmung des korrekten Beschäftigungsstatus von Personen. Zukünftig wird bei Plattformbeschäftigten eine abhängige Beschäftigung angenommen. Die digitale Arbeitsplattform muss im Falle einer Widerlegung nachweisen, dass das betreffende Vertragsverhältnis kein Arbeitsverhältnis im Sinne der nationalen Rechtsvorschriften darstellt. 

Die vereinbarte Richtlinie wird im nächsten Schritt in allen Amtssprachen übersetzt und vom Europäischen Parlament und Rat förmlich angenommen. Im Anschluss haben die Mitgliedsstaaten zwei Jahre Zeit, die neuen Bestimmungen in nationales Recht umzusetzen. 

Die Europäische Kommission hat Ende 2021 eine Reihe von Maßnahmen vorgeschlagen, um die Arbeitsbedingungen in der Plattformarbeit zu verbessern. Zugleich soll das Wachstum von digitalen Arbeitsplattformen in der EU unterstützt werden. Neben einem Vorschlag für eine Richtlinie hat die EU-Kommission eine Mitteilung und einen Entwurf für Leitlinien vorgelegt. 

Die Mitteilung der EU-Kommission dient der Erklärung der Vorgehensweise und der Maßnahmen der EU im Bereich Plattform Arbeit. Der Leitlinienentwurf dient in erster Linie dazu, die Verträge von Solo-Selbstständigen zu klären, die ihre Arbeitsbedingungen verbessern wollen, schließt aber auch Personen ein, die über digitale Arbeitsplattformen arbeiten. 

Das Kernstück der von der EU-Kommission vorgeschlagenen Maßnahmen ist der Richtlinienvorschlag, der Maßnahmen zur korrekten Feststellung des Beschäftigungsstatus von Personen umfasst, die über digitale Arbeitsplattformen arbeiten. Dieser Richtlinienvorschlag umfasst auch Arbeitnehmer*innen und Selbstständige in Bezug auf das Algorithmenmanagement. Der Richtlinienentwurf schließt sowohl reine Online-Tätigkeiten ein als auch solche, die vor Ort erbracht werden (Crowdwork als auch Gigwork). 

Die Richtlinie soll zunächst sicherstellen, dass Personen, die über digitale Arbeitsplattformen arbeiten, den rechtmäßigen Beschäftigungsstatus erhalten, der ihren tatsächlichen Arbeitsverhältnissen entspricht. Bei Personen, die über digitale Arbeitsplattformen arbeiten, kann es sich entweder um Arbeitnehmer*innen oder Selbstständige handeln. Der Richtlinienentwurf setzt nicht an dem individuellen Vertrag an, sondern daran, ob es sich bei der Plattform um einen Arbeitgeber handelt. Dazu werden verschiedene Kriterien zur Beurteilung, ob die Plattform ein Arbeitgeber ist, aufgestellt: 

  • Festlegung der Höhe der Vergütung, bzw. der Obergrenzen der Vergütung, 
  • Überwachung der Ausführung der Arbeit auf elektronischem Wege, 
  • Einschränkung der Möglichkeiten, Arbeit oder Abwesenheitszeiten frei zu wählen, Aufgaben anzunehmen oder abzulehnen oder Unterauftragnehmer oder Ersatzkräfte in Anspruch zu nehmen, 
  • Festlegung bestimmter verbindlicher Regeln in Bezug auf Erscheinungsbild und Verhalten gegenüber dem Empfänger der Dienstleistung, 
  • Einschränkung der Möglichkeiten, einen Kundenstamm aufzubauen oder Arbeiten für Dritte auszuführen. 

Erfüllt die Plattform mindestens zwei der Kriterien, wird rechtlich im Sinne einer “widerlegbaren Vermutung“ davon ausgegangen, dass sie ein Arbeitgeber ist. Dies stellen die nationalen Behörden fest und die Plattformen müssen dann alle Verpflichtungen als Arbeitgeber nach nationalem und EU-Recht gegenüber ihren mutmaßlichen Arbeitnehmer*innen nachkommen. Die Mitarbeiter*innen der Plattform haben dann Anspruch auf den Mindestlohn, Tarifverhandlungen, geregelte Arbeitszeiten und Gesundheitsschutz, bezahlten Urlaub und verbesserten Zugang zum Schutz vor Arbeitsunfällen, Leistungen bei Arbeitslosigkeit und Krankheit sowie beitragsabhängige Altersrenten.

Die Richtlinie wird auch das sogenannte “Algorithmische Management“ regeln. Damit erhalten Arbeitnehmer*innen Informationen darüber, wie ihre Arbeit und ihre Aufträge zugewiesen, bewertet oder beendet werden. Bei Arbeitsplattformen geschieht dies überwiegend durch IT-gestützte automatisierte Überwachungs- und Entscheidungssysteme, die die Funktion von Führungskräften in Unternehmen ersetzen, z.B. bei der Aufgabenverteilung, Überwachung und Bewertung der geleisteten Arbeit, Schaffung von Anreizen oder Verhängung von Sanktionen. Damit organisieren und verwalten Algorithmen die auf den Plattformen arbeitenden Personen. Die Richtlinie erhöht damit die Transparenz für diese Personen, aber auch für Arbeitnehmervertreter*innen und Arbeitsbehörden, die wiederum automatisierte Entscheidungen in Bezug auf die Arbeitsbedingungen anfordern und anfechten können. Die Plattform muss dafür eine Ansprechperson benennen und muss bei Aufforderung innerhalb einer Woche Stellung nehmen. 

Handelt es sich um grenzüberschreitende Plattformen, die in mehreren Mitgliedsstaaten tätig sind, so sorgt nunmehr die Richtlinie dafür, dass die Anmeldung von Arbeitsverhältnissen gegenüber nationalen Behörden klargestellt wird und die nationalen Behörden wichtige Informationen über die Plattform und die über sie tätigen Personen erhalten. 

Der Richtlinienvorschlag wird aktuell vom Europäischen Parlament und vom Rat erörtert. In früheren Stellungnahmen hatte sich das Parlament bereits für den Schutz der Rechte von Plattformarbeiter*innen ausgesprochen. Zum Vorschlag der EU-Kommission wird im September 2023 eine Entscheidung im zuständigen Beschäftigungsausschuss erwartet.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) begrüßt ausdrücklich den Richtlinienentwurf der EU-Kommission und auch die von der EU-Kommission vorgeschlagenen, umfangreichen Transparenzpflichten gegenüber nationalen Behörden, den Plattformbeschäftigten und ihren Interessenvertretungen. Aus Sicht des DGB ist der Richtlinienentwurf ein überfälliger Schritt, da sich die Plattformarbeit zu einem Schattenarbeitsmarkt mit hoher Relevanz entwickelt habe, der bislang weitgehend ungeregelt sei. Der DGB fordert weitergehende Regelungen. Bereits 2019 hat der DGB darauf hingewiesen, dass die EU-Arbeitsbedingungen-Richtlinie (2019/1152) ausdrücklich auch auf Plattformbeschäftigte Anwendung findet, wenn diese nach den durch den Europäischen Gerichtshof aufgestellten Kriterien – Erbringung weisungsgebundener Arbeit gegen Vergütung – als Arbeitnehmer*innen gelten. 

Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) bedauert, dass der Richtlinienvorschlag erheblich in das nationale Arbeitsrecht eingreife. Die Beweislastumkehr zulasten der Plattformunternehmen widerspreche der Darlegungs- und Beweislast im deutschen Prozessrecht. Anstatt eines weiteren Harmonisierungsvorstoßes in der europäischen Sozialpolitik habe sich der BDA mehr Vertrauen in nationale Lösungen gewünscht. 

  • In welchem Maß sind bereits jetzt menschenwürdige Arbeitsbedingungen von sog. Freelancern bei digitalen Leistungen in den Nachhaltigkeitspolitiken der Geschäftsziele des Unternehmens verankert? 
  • Wie und in welchem Maß werden diese Ziele innerhalb des Unternehmens, gegenüber den Geschäftsbanken und an die Öffentlichkeit kommuniziert und welches Budget ist dafür vorgesehen? 
  • Erhalten Personen, die auf oder für die digitalen Plattformen des Unternehmens arbeiten, Arbeitsverträge und wie sind sie sozial abgesichert? 
  • Welche Maßnahmen will der Vorstand ergreifen, um die künftigen Anforderungen im Bereich nachhaltiger Beschäftigung und sozialer Absicherung der Personen, die für das Unternehmen auf digitalen Plattformen arbeiten, umzusetzen?  
  • Welche Maßnahmen wird der Vorstand umsetzen, um das Unternehmen in die Lage zu versetzen, auch in Zukunft künftige Plattformbetreiber an das Einhalten sozialer und arbeitsrechtlicher Maßnahmen zu erinnern? 
  • Gibt es bereits Ansätze im Unternehmen, die Arbeitnehmervertreter*innen über das algorithmische Management der für das Unternehmen arbeitenden Plattform zu informieren? 

Der Richtlinienvorschlag der Europäischen Kommission ist eine wichtige Initiative des Aktionsplans zur Europäischen Säule sozialer Rechte. Diesbezüglich fanden bereits Konsultationen statt. Die vorgeschlagene Richtlinie über Plattformarbeit baut auf drei bereits erlassenen EU-Richtlinien über atypische Beschäftigungsverhältnisse zur Teilzeitarbeit, zu befristeten Arbeitsverträgen und zur Leiharbeit auf. 

Das Erfordernis zur Regelung von prekären Beschäftigungen bei digitalen Plattformen ist größer geworden, denn es arbeiten bereits 28 Millionen Menschen in der Europäischen Union über digitale Arbeitsplattformen mit der Vermutung weiter steigender Zahlen (43 Millionen Beschäftigte in 2025). Das Umsatzvolumen der Plattformwirtschaft beträgt zurzeit 14 Milliarden €. Es gibt in der Europäischen Union mehr als 500 digitale Arbeitsplattformen. Da es die neuen Arbeitsweisen immer schwieriger machen, den Beschäftigungsstatus von Personen korrekt zu bestimmen, führt dies auch zu unzureichenden Arbeitnehmer*innenrechten und unzureichendem Sozialschutz. Über die Hälfte der über Plattformen arbeitenden Menschen verdienen weniger als den Netto-Mindeststundenlohn des Landes, in dem sie arbeiten. Sie verbringen ungefähr die gleiche Zeit mit unbezahlten Aufgaben (Suche nach Aufträgen, Warten auf Aufträge) wie mit bezahlten Aufgaben.

Über 90 % der digitalen Arbeitnehmer*innen in der Europäischen Union werden als Selbstständige bezeichnet. Die EU-Kommission geht davon aus, dass die meisten davon wirklich selbstständig sind. 5,5 Millionen von 28 Millionen Menschen, die über Plattformen arbeiten, gelten aber derzeit als falsch eingestuft. 

Die EU-Kommission hat nach Aufforderung des Europäischen Parlaments von 2019 sowie des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (2020) und des Ausschusses der Regionen (2019) die Initiative ergriffen. Das Europäische Parlament hat ein ehrgeiziges EU-Konzept zur Bewältigung der Herausforderungen der Plattformarbeit gefordert. Es hat einen Initiativbericht angenommen, in dem Maßnahmen gefordert werden, um dem Risiko einer falschen Klassifizierung des Beschäftigungsstatus zu begegnen und die Herausforderungen des algorithmischen Managements im Kontext der Plattformarbeit zu bewältigen. 

Eine europäische Regelung ist notwendig, da nur sehr wenige Mitgliedsstaaten Rechtsvorschriften für Arbeitnehmer*innen auf Arbeitsplattformen erlassen haben. Gleichwohl nehmen die Rechtsstreitigkeiten zu. Ein weiterer Grund für die Initiative der EU-Kommission ist es, dass lokale, regionale und nationale Arbeitsplattformen unterschiedliche Gesetze und Entscheidungen in der Europäischen Union vorfinden und ihre Leistungen darum nur schwer grenzüberschreitend anbieten können. Der Richtlinienentwurf ist also auch ein Beitrag zum Binnenmarkt. Der dritte Grund für die Europäische Kommission besteht darin, Selbstständigen, die über Plattformen arbeiten, mehr Klarheit über ihre Geschäftsbedingungen zu geben und sie in die Lage zu versetzen, die Mechanismen besser zu verstehen, die der Zuweisung und dem Angebot von Aufträgen zugrunde liegen.