Was sind Szenarien?
Szenarien können die Zukunft nicht voraussagen. Sie können uns aber helfen, besser mit den Unsicherheiten einer offenen Zukunft umzugehen. Wir werden sicherer in der Einschätzung, wie sich unsere Entscheidungen von heute auf Arbeit und Leben von morgen auswirken.
Ged DavisSzenarien sind Geschichten über die Zukunft, aber ihr Zweck liegt darin, bessere Entscheidungen in der Gegenwart zu treffen.
Wir wissen heute noch nicht, wie die Arbeitswelt in Deutschland im Jahr 2035 aussehen wird. Wir können die Zukunft nicht vorhersagen, sie ist offen. Das Gute daran ist, dass wir damit die Möglichkeit haben, Einfluss zu nehmen. Das Schwierige liegt darin, dass wir stets unter Unsicherheit entscheiden und handeln müssen – ohne zu wissen, in welchem längerfristigen Kontext sich unsere heutigen Entscheidungen und Handlungen entfalten werden. Häufig ist das Bild sehr begrenzt, das wir uns von der Zukunft und unseren Einflussmöglichkeiten machen. Allzu oft dominieren Eile und die vielfältigen Anforderungen des Alltags, isolierte Symptombetrachtung und das bloße Fortschreiben von aktuellen Trends. Und erst wenn der „Dampf im Kessel“ ein hohes Maß erreicht hat, wird etwas getan – reaktiv und unter Druck. Mithilfe von Szenarien können wir den Blick für längerfristige Chancen und Risiken weiten und so auch die Integrität unseres Handelns stärken. Gute Szenarien sind plausibel, aber zugleich auch neuartig und herausfordernd. Sie eröffnen neue Perspektiven.
Hier wird bereits deutlich, dass es bei Szenarien nicht darum geht, die Zukunft vorherzusagen. Schon der Umstand, dass sie stets in der Mehrzahl auftreten – es gibt zu einer Fragestellung immer mehrere plausible Szenarien – unterscheidet sie von der Prognose. Szenarien unterscheiden sich aber auch von Utopien, die meist „in einem fernen Land in einer unbestimmten Zeit“ spielen. Denn Szenarien tragen der Gegenwart sowie den mit ihr verbundenen Pfadabhängigkeiten Rechnung und stellen so einen klaren Bezug zur heutigen Ausgangslage her. Sie spielen im Spannungsfeld zwischen dem, was wir von der Zukunft aller Voraussicht nach schon wissen, und dem, was noch völlig ungewiss ist.
Statt eine eindeutige Antwort auf die Frage nach der Zukunft zu geben wie die Prognose, werden zentrale Unsicherheiten mit Blick auf die Zukunft identifiziert: Welche Faktoren werden einen maßgeblichen Einfluss haben, sind aber aus heutiger Sicht in ihrer künftigen Ausprägung hochgradig ungewiss? Welche kausalen Zusammenhänge könnten die eine oder die andere Entwicklung vorantreiben? Was wären dann die jeweiligen Auswirkungen? Ein wichtiger Aspekt hierbei ist, dass man quasi gezwungen wird, sich Gedanken darüber zu machen, was für die zugrunde liegende Fragestellung wirklich wichtig ist. Denn um handeln zu können, müssen wir die Wirklichkeit vereinfachen. Die Frage ist also: Was berücksichtigen wir und was lassen wir außen vor? Es geht nicht um Vollständigkeit, sondern um Bedeutung – und damit um unsere mentalen Modelle, mit denen wir uns (unbewusst) die Welt erklären. Durch die intensive Auseinandersetzung mit diesen Fragen entstehen unterschiedliche Theorien darüber, welche grundlegenden Alternativen die Zukunft in sich birgt.
Die aus dieser Herangehensweise entstehenden Szenarien illustrieren die identifizierten Entwicklungsalternativen mit ihren jeweils spezifischen Herausforderungen – zum Erkunden, Ausloten und Abwägen. Das Durchspielen von Szenarien führt dazu, dass man für unterschiedliche Entwicklungen besser gewappnet ist. Denn schon Louis Pasteur wusste: „Glück kommt denen zugute, die darauf vorbereitet sind.“ Szenarien helfen so, vom passiven Modus – „Hoffentlich wird nichts Schlimmes passieren!“ – hin zu einer Haltung zu kommen, die Handlungsspielräume in den Mittelpunkt stellt: Welche Möglichkeiten haben wir, wenn dieses oder jenes eintritt? Oder: Was können wir tun, um diese oder jene Entwicklung zu unterstützen bzw. zu verhindern?
In der Zusammenschau der Szenarien entsteht so ein Referenzrahmen, eine „Landkarte für die Zeit“, die auch dem konstruktiven Austausch mit anderen dient. Die Kommunikation mit und über Szenarien wird zudem dadurch befördert, dass es sich dabei in der Regel um Geschichten handelt, die nicht nur den analytischen Verstand ansprechen, sondern auch das Emotionale. Sie sind vielschichtig und mehrdeutig, haben Licht- und Schattenseiten – wie das wirkliche Leben. Szenarien lassen sich leicht verbreiten, man erzählt sie weiter.
Szenarien sind in diesem Sinne als Einladung zum Dialog zu verstehen, sich gemeinsam mit anderen darüber zu verständigen, was für die Zukunft von entscheidender Bedeutung sein wird, in welcher Zukunft wir leben wollen und was wir heute tun müssen, um sie zu verwirklichen.
Adam Kahane (2013), Transformative Scenario Planning: Working Together to Change the Future, Berrett-Koehler Publishers, San Francisco.
Sascha Meinert (2014), Leitfaden Szenarienentwicklung, European Trade Union Institute (ETUI), Brüssel
Peter Schwartz (2. Aufl. 1996), The Art of the Long View: Planning for the Future in an Uncertain World, Doubleday, New York.
Kees van der Heijden/Ron Bradfield/George Burt/George Cairns/George Wright (2002), The Sixth Sense: Accelerating Organizational Learning with Scenarios, John Wiley and Sons, New York.