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Reallabor: Transformation in der Kunststoffindustrie

Innovationen gemeinsam vorantreiben

Die Kunststoffindustrie in der Region Lippe ist einem tiefgreifenden Anpassungsdruck ausgesetzt. Mithilfe eines Reallabors als wichtigen Impulsgeber für branchenbezogene Innovationen wollen die Sozialpartner die Transformationsanforderungen gemeinsam angehen.

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Förderlinie Transformation: Wir bringen wissenschaftliche Expertise und gute Praxis zusammen – betrieblich, regional, lösungsorientiert.

Die Kunststoffindustrie in Zeiten des ökologischen Umbaus hat ein Imageproblem – zumindest in Teilen. Sie gilt vielen Bürger*innen als hochgradige Umweltverschmutzerin und steht aktuell vor einem riesigen Problembündel, das es zu bewältigen gilt. Viele Unternehmen in der Branche sorgen sich daher um ihre Zukunft. Aber oft vergegenwärtigen sie sich noch zu wenig, welche Chancen ihnen die sozial-ökologische Transformation eröffnet. Denn im Bemühen um eine sauberere Umwelt und im Rahmen einer nachhaltig ökologisch orientierten Klima- und Wirtschaftspolitik kann die Kunststoffindustrie gute Lösungen beisteuern.

Dies gilt auch und gerade für die Region Lippe und den hier angesiedelten zumeist mittelständischen Kunststoffunternehmen, die dabei sind, sich zu einem regionalen Kunststoffcluster zu verbinden. Ihnen möchte das von der IG Metall Detmold initiierte Reallabor eine örtliche Plattform bieten, sich über Zukunftsentwicklungen in der Branche auszutauschen und insbesondere strukturelle Probleme gemeinsam – auch mit anderen regionalen Akteur*innen – anzugehen. 

Das von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Projekt „Transformation mit Regio-Unterstützung – Hilfe für die Kunststoffindustrie in der Region Lippe als Modell für vergleichbare Branchen?“ untersucht den Transformationsdruck, dem die Branche in der Region ausgesetzt ist. Es geht darüber hinaus der Frage nach, inwieweit ein institutionalisierter Dialog zwischen den Unternehmen der Lippischen Kunststoffindustrie, den Sozialpartnern und der Wissenschaft die (Weiter-)Entwicklung eines regionalen Kunststoffclusters begünstigen kann. Dabei wird angenommen, dass die anstehenden Transformationsprozesse durch eine enge Kooperation der regionalen Akteur*innen besser bewältigt werden können. Außerdem fragt das Projekt nach zusätzlichen Unterstützungsbedarfen für einzelne Themenfelder. 

Das Projekt will relevantes Wissen zu den unterschiedlichen Transformationserfordernissen und zur Lage der Branche auf der Basis von Literaturrecherchen, Expert*innengesprächen und Unternehmens- beziehungsweise Branchenanalysen zur Verfügung stellen. Dabei richtet sich der Blick insbesondere auf bestehende und zu erwartende umweltpolitische Anforderungen. Darüber hinaus möchte es die regionalen Akteur*innen dabei unterstützen, nachhaltige Netzwerkstrukturen aufzubauen. 

Die gewonnenen Erkenntnisse sollen zusammengefasst werden, um den Transfer von Erfahrungen und guten Transformationsmodellen zu ermöglichen. 

Das Projekt wird von der Sustain Consult, Beratungsgesellschaft für nachhaltige Wirtschaftsentwicklung mbH in Dortmund in Zusammenarbeit mit der IG Metall Detmold durchgeführt. Projektleiter ist Dr. Torsten Sundmacher. Bearbeitet wird das Projekt außerdem von Thomas Gebauer.
 

Die Kunststoffindustrie im Wandel

Schon vor 30 Jahren gerieten einzelne Kunststoffe, unter anderem umwelt- und gesundheitsschädigendes PVC, in die Kritik. Doch die öffentliche Debatte beließ es nicht dabei, die von diesen Stoffen ausgehenden Risiken für Gesundheit und Umwelt zu problematisieren, sondern die Kritik schwappte auf Kunststoffe insgesamt über. Heute ist man ein gutes Stück weiter. Etliche Gefahrstoffe wurden inzwischen aus Kunststoffen verbannt. Fortschritte beim Recyclen von Kunststoffprodukten schaffen weitere Entlastungen für Umwelt und Mensch. 

Und doch steht die Kunststoffindustrie weiterhin in der öffentlichen Kritik. Aktuell konzentriert sich die Diskussion auf den hohen Ausstoß von Treibhausgasen bei der Herstellung und Verarbeitung von Kunststoffprodukten, erst recht am Ende ihres Lebenszyklusses. Denn viele Kunststofferzeugnisse werden noch immer nicht recycelt und müssen daher mit hohem CO2-Ausstoß verbrannt werden. Auch steht die Branche am weltöffentlichen Pranger, weil immer mehr Kunststoffabfälle die Weltmeere verschmutzen, Mikroplastik verstärkt in die Nahrungsketten von Tier und Mensch eindringt und durch Abbauprozesse mit hohem Anteil an Methan den Treibhauseffekt verstärkt. 

Die Kunststoffbranche leidet seit Jahren unter steigenden Rohstoffpreisen und einer verringerten Rohstoffverfügbarkeit. Besonders die Kostensteigerungen beim Energiebezug trifft die Branche hart. Denn der Anteil der Energiekosten am Bruttoproduktionswert liegt in der Kunststoffverarbeitung um über 50 Prozent höher als im Durchschnitt des Verarbeitenden Gewerbes (Stand 2020). Bereits im Januar 2022, noch vor den starken Energiepreissteigerungen im Frühjahr und Sommer 2022, machte die Industrievereinigung Kunststoffverpackungen darauf aufmerksam, dass 27 Prozent ihrer Mitgliedsunternehmen Aufträge aufgrund fehlender Kostendeckung ablehnen mussten (K-Zeitung, 11. Januar 2022: Preissprünge bei Energie und Rohstoff existenzbedrohend). Die höheren Energiekosten insgesamt, steigende Rohstoffpreise und gravierende Engpässe bei der Rohstoffverfügbarkeit haben allerdings dazu geführt, dass in der Branche das Recycling eine immer größere Rolle spielt. Sie ist dazu übergegangen, Kunststoffprodukte selbst stärker zu recyclen und gleichzeitig verstärkt Recyclat als Grundstoff einzusetzen.

Entwicklung der Verwertung der Kunststoffabfälle (inkl. Nebenprodukte)

Kunststoff hat aber noch andere Seiten. So dient ihr Einsatz unter anderem dazu, schwere Metallwerkstoffe zu ersetzten. Insbesondere beim Fahrzeugbau helfen Kunststoffprodukte, Gewicht und damit den Energiebedarf von Fahrzeugen zu senken. Sie finden sich ebenfalls zunehmend bei der Dämmung von Häusern, in modernen Heizsystemen oder auch in Anlagen zur Sammlung und Aufbereitung von Regenwasser. Das erklärt den rasanten wirtschaftlichen Aufstieg der Branche in den letzten Jahrzehnten. Damit erweist sich die Kunststoffindustrie als ein wichtiger Baustein für die sozial-ökologische Transformation insgesamt.

Dennoch stehen viele kunststoffproduzierende oder -verarbeitende Unternehmen derzeit vor großen Herausforderungen. Nicht nur stark steigende Kosten für Rohstoffe und Energie, auch zunehmend volatile Lieferketten besonders zur Aufbereitung von Rohstoffen und zur Herstellung von Vormaterialien für die Kunststoffproduktion machen ihnen zu schaffen. Hinzu kommen gesetzliche Auflagen und – insbesondere durch die EU initiierte – politische Vorgaben zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes, zur Steigerung der Ressourceneffizienz und zur Erhöhung Recyclingquote, die die heimische Kunststoffindustrie bereits heute stark verändern. Und nicht zuletzt haben es Kunststoffunternehmen mit einer fortschreitenden Digitalisierung und einem erheblichen Fachkräftemangel zu tun.

Unternehmen am Limit

Gerade in der Region Lippe sehen sich daher die Kunststoff erzeugenden und verarbeitenden Unternehmen häufig am Limit, wenn sie alle diese Herausforderungen bewältigen wollen. Dabei ist die Kunststoffindustrie hier im Grunde ziemlich gut aufgestellt.

Mit rund 4.000 Beschäftigten spielt die Kunststoffindustrie in der Region Lippe eine herausragende Rolle. Nach der Elektrotechnik ist sie im Bereich der Verarbeitenden Industrie im Kreis Lippe die zweitgrößte Branche im Hinblick auf Beschäftigung und Umsatz. Diesbezüglich erreicht die Region sogar doppelt so hohe Werte im Vergleich zum allgemeinen Durchschnitt. So lag der Beschäftigtenanteil in der Lippischen Kunststoffindustrie 2021 mit 13,3 Prozent deutlich über den Vergleichswerten von Nordrhein-Westfalen (NRW) mit 6,6 Prozent und ganz Deutschland mit 6,3 Prozent. Auch beim Umsatz unterscheidet sich die Kunststoffindustrie im Kreis Lippe mit 9,8 Prozent deutlich von der im Land NRW mit 4,8 Prozent und im Bund mit 4,3 Prozent. Mit einem Beschäftigtenzuwachs von 25,7 Prozent zwischen 2011 und 2021 gilt die Kunststoffindustrie in dieser Region sogar als ein besonders beschäftigungspolitisches „Erfolgsmodell“.

Quellen:

  • IHK Lippe zu Detmold, 2022: Kennzahlen Lippe 2021 / 2022
  • IT NRW, 2022: Information und Technik Nordrhein-Westfalen, Statistisches Landesamt, Tabelle 42111B-1i
  • Destatis, Stand 9/2022

Ihr Vorteil ist eine – wenngleich nicht stark ausgeprägte – Clusterstruktur. Das heißt: In der Region Lippe gibt es bereits ein institutionalisiertes Netzwerk der kunststoffverarbeitenden Unternehmen. Überwiegend handelt es sich dabei um kleine und mittelständische Firmen. Den größten Teil machen Zulieferer insbesondere für die Automobilindustrie sowie für Hersteller von Weißer Ware aus. Das aber bedeutet: Viele von ihnen sind auf der Kundenseite überwiegend von Großunternehmen abhängig. Dementsprechend ist ihre Marktmacht nicht sehr groß, und auch die Ressourcen für grundlegende Innovationen sind stark begrenzt. 

Außerdem haben sich dort auf die Kunststoffindustrie spezialisierte Forschungseinrichtungen angesiedelt. Dazu zählen die Technische Hochschule OWL mit Sitz in Lemgo/Kreis Lippe mit ausgewiesenen Kompetenzen in der Kunststofftechnik und zu verschiedenen Anwendungsfeldern für Kunststoffprodukte, die Fachhochschule Bielefeld wie auch die Universität Paderborn mit dem Institut für Kunststofftechnik. Ferner gibt es gut eingespielte Kontakte zwischen den Sozialpartnern und sogar einen eigenen Tarifvertrag der IG Metall, der für die gesamte Kunststoffregion Lippe gilt. Überdies existiert das Branchennetzwerk „Kunststoffe in OWL“ mit seiner Geschäftsstelle ebenfalls in Lemgo, das wichtige Zukunftsthemen bearbeitet.

Die Frage stellt sich allerdings, ob die Branche ihren Erfolgskurs in diesem abgegrenzten regionalen Feld angesichts des bestehenden Transformationsdrucks weiterführen kann und inwieweit die bisherigen Strukturen für die Bewältigung der anstehenden Transformationsprozesse ausreichend tragfähig sind. Dies gilt vor allem mit Blick auf die neuen Anforderungen im Bereich des Umwelt- und Klimaschutzes wie auch in Bezug auf notwendige Digitalisierungserfordernisse und die Folgen der fortschreitenden Globalisierung. Bei all dem schwingt der bereits in der Region deutlich spürbare Fachkräftemangel mit, der die Transformationskapazitäten begrenzt.

Reallabor als Chance

Eine tiefgreifende Vernetzung der kunststoffverarbeitenden Unternehmen mit anderen regionalen Akteur*innen, um die neuen Transformationserfordernisse gemeinsam – das heißt: überbetrieblich und lokal – anzugehen, existiert bisher nicht. Zwar gibt es eine etablierte Zusammenarbeit zwischen den Sozialpartnern, insbesondere zwischen der IG Metall und dem Arbeitgeberverband Kunststoff. Vertreter*innen beider Seiten und auch der Wissenschaft treffen sich gelegentlich auf Veranstaltungen etwa der regionalen Wirtschaftsförderung. Aber an einem institutionalisierten Dialog, der alle Akteur*innen der Region, die von Veränderungen im Handlungsfeld Kunststoffe (potenziell) betroffen sind, zusammenführt, Transformationsthemen, die sie alle angehen, aufgreift und diskutiert, mangelt es bislang. 

Das Projekt hat sich vorgenommen, einen solchen Dialog in Form eines Reallabors in Gang zu bringen. Letztlich geht es auch darum, den Kunststoffcluster in der Region Lippe gegenüber der Politik zu stärken. „Die Handlungsanforderungen an die Kunststoffindustrie sind ja keineswegs neu“, erklärt der Wissenschaftler. „Aber was gebraucht wird, ist Bewegung, um in einen gemeinsamen Diskurs und Selbsthilfeprozess einzutreten. Das ist das Ziel des Reallabors.“

Reallabore sind neben Transformationsbeiräten Diskursplattformen, in denen unterschiedliche regionale Akteur*innen zusammenarbeiten, um anstehende Transformationsanforderungen gemeinsam zu bewältigen. Anders als regionale Transformationsbeiräte fokussieren Reallabore eher auf ein umgrenztes wirtschaftliches Handlungsfeld in einer Region, sind weniger fest organisiert und ihre Angebote an ihre Mitglieder sind oft niederschwellig. Ziel ist es vor allem, die regionalen Akteur*innen in einen regelmäßigen Austausch einzubinden, um sich gegenseitig zu informieren und zu vernetzen. Themen, die alle Beteiligten betreffen, stehen dabei im Vordergrund. Dazu zählt beispielsweise die Analyse von Stärken und Schwächen der Wirtschaft oder einer Branche in der Region. Ferner zielt die Zusammenarbeit in den Reallaboren darauf, innovative Zukunftsideen für die Region zu entwickeln und vorhandene Innovationspotenziale zu erschließen und dafür die notwendige Unterstützung zu organisieren. Das Akquirieren von Fördermitteln für Forschung und Entwicklung zählt hier genauso dazu, wie die Entwicklung von Konzepten zum Technologietransfer oder zur Qualifizierung. 

Die Hürden waren zunächst groß, um einen solchen institutionalisierten Dialog zu etablieren. Gerade die klein- und mittelständischen Unternehmen in der Kunststoffindustrie äußerten Bedenken – einerseits wegen des vermuteten hohen Zeitaufwands, andererseits wegen der bestehenden Konkurrenzverhältnisse untereinander. Auch fielen die Einschätzungen der potenziell Mitwirkenden zur Transformationslage in ersten Expert*innengesprächen sehr unterschiedlich aus. „Wir stellten fest, dass der Informationsstand in den Unternehmen, was die Zukunft der Kunststoffentwicklung angeht, sehr verschieden und nicht immer passend ist“, berichtet Sundmacher. Dadurch liefen viele von ihnen Gefahr, sich auf absehbare Transformationserfordernisse nicht rechtzeitig einstellen und damit adäquate Handlungsoptionen gar nicht erst in Betracht ziehen zu können. 

In einem ersten Schritt kam es deshalb darauf an, die in Expert*innebefragungen, Gesprächen mit Unternehmensleitungen und Beschäftigten geäußerten unterschiedlichen Sichtweisen zu erfassen, abzugleichen. und im Rahmen des Reallabors vorzustellen und zu diskutieren. Beispielsweise war deutlich geworden, dass etwa die Einstellung der Befragten gegenüber der Politik „derer da in Brüssel“ erheblich differierte. Dementsprechend unterschiedlich deuteten sie die von der EU ausgehenden Signale für die Transformation der Kunststoffindustrie sowohl in politischer als auch in fachlicher Hinsicht. Zudem war das Wissen darüber, was die Kunststoffpolitik für die sozial-ökologische Transformation der Branche in der Region Lippe bewirken kann, in den Unternehmen kaum präsent. 

Klimaneutral produzierter und eingesetzter Kunststoff könnte für die gesamte Region Lippe ein Innovationstreiber sein. Die CO2-reduzierte Kunststoffproduktion sowie die stärkere Verwendung von nachwachsenden Rohstoffen und von Recyclat stellt die regionale Kunststoffindustrie aktuell noch vor zahlreiche ökonomische, logistische und technische Herausforderungen. Werden diese bewältigt – und die Chancen dafür stehen hier gut –, entsteht eine gestärkte Branche in einer starken Region. Die hierfür notwendigen Innovationen tangieren aber in Teilen auch andere Branchen und Bereiche wie Infrastruktur, Logistik und Bauwirtschaft. Die Transformation der Kunststoffindustrie in Richtung Klimaneutralität kann daher auch anderen Unternehmen und Institutionen in der Region wichtige Impulse geben, sich zu transformieren. Es geht aber nicht nur darum, den Kunststoffunternehmen und der Region insgesamt Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Denkbar ist auch, dass durch branchenübergreifende Kooperationen in der Region zunächst kaum vorhersehbare innovative Lösungen auf den Weg gebracht werden können.

Perspektivisch soll das Reallabor dazu beitragen, alle Mitwirkenden auf einen gemeinsamen Wissensstand zu bringen und durch den offenen Meinungsaustausch zu möglichst konsensfähigen Ansichten insbesondere bezüglich der EU-Klima- und Umweltpolitik zu gelangen. Dies ist die Voraussetzung, um sich strategisch gegenüber der Politik positionieren und Rahmen- und Förderbedingungen einfordern zu können, die verhindern, dass regionale Kunststoffunternehmen insbesondere angesichts in Aussicht gestellter politischer Vorgaben (vor allem seitens der EU) Gefahr laufen, in eine bedrohliche Lage abzurutschen.

Drei Aufgaben stehen dabei nach Ansicht von Projektleiter Torsten Sundmacher im Zentrum des Reallabors der Kunststoffindustrie in der Region Lippe:

  • Die Analyse der auf die regionale Kunststoffindustrie einwirkenden transformationsbedingten Veränderungsimpulse und die Entwicklung von Handlungsanforderungen – insbesondere mit Blick auf die Transformationstreiber Umwelt- und Klimaschutz, Markt- und Lieferkettenentwicklung, Digitalisierung.
  • Die Analyse der regionalspezifischen Branchenlage einschließlich der regionalen Wertschöpfungszusammenhänge und (Kurz-)Analysen für einzelne Unternehmen mit Blick auf transformationsbezogene Herausforderungen wie auch die Entwicklung und Begleitung von betriebsbezogenen Lösungsstrategien beziehungsweise Handlungsoptionen.
  • Die Analyse von Unterstützungsbedarfen und das Akquirieren von unterstützenden Hilfen bis hin zu Fördermitteln zum Ausbau des regionalen Kunststoffclusters.

Daneben geht es den Initiatoren darum, Veränderungen in den Unternehmen anzustoßen und voranzutreiben. Dabei ist nicht nur an konkreten Schritten zur Bewältigung der neuen Transformationsanforderungen gedacht, sondern auch daran, schon lange in vielen Betrieben existierende Schwachpunkte zu thematisieren, die bereits heute in zahlreichen Kunststoffunternehmen in der Region Lippe zu einem starken Problemdruck führen. Zumeist kommen mehrere Faktoren zusammen: So handelt es sich hier vorwiegend um klein- und mittelständische Betriebe, die oft als verlängerte Werkbänke von Großunternehmen fungieren und daher typischerweise nur über eingeschränkte Innovations- und Vertriebszugänge verfügen. Auch ihre Personalpolitik richten sie dementsprechend eher kurzfristig aus. Bis heute mussten sie unter diesen Umständen Kundenwünsche und sonstige Herausforderungen jenseits des „Standardgeschäfts“ und noch dazu mit beschränkten Kapazitäten bewältigen. Diese herkömmlichen Defizite treten nunmehr bei der Bewältigung der neu hinzukommenden Transformationserfordernisse besonders deutlich zutage. 

Die Herausforderungen für die Kunststoffindustrie in der Region Lippe werden nicht nur mehr und größer. Sie müssen auch in immer kürzerer Zeit und vielfach sogar zeitgleich angepackt werden. Die regionalen und betrieblichen Akteur*innen sind zunehmend gefordert, vielfältige Aspekte in den Blick zu nehmen, wollen sie für bessere Rahmenbedingungen sorgen, um wirtschaftliche Stabilität und nachhaltiges Wirtschaften in der Region sicherzustellen. Sie müssen deshalb vieles gleichzeitig angehen und lernen. 

Das Reallabor greift damit auch Themen auf, die auf den ersten Blick nichts mit der Transformation der Kunststoffindustrie zu tun haben, die aber die Voraussetzungen betreffen, unter denen der sozial-ökologische Umbau erfolgreich bewältigt werden kann (und die in anderen Unternehmen und Branchen bereits vielfach gang und gäbe sind). Dazu gehören für Torsten Sundmacher beispielsweise Themen wie Personalentwicklung, pro-aktiver Vertrieb oder auch Zugang zu (technischen) Innovationen.

„Wir brauchen mehr Bewegungsfähigkeit – nicht nur in der Region, sondern auch in den Köpfen. Sie ist eine elementare Vorbedingung für die in Teilen nur gemeinsam leistbare Transformationsbewältigung“, betont der Wissenschaftler. Aus diesem Grund kommen in dem Reallabor auch unterschiedliche – niederschwellige – Informations-, Diskussions- und Arbeitszusammenhänge in eher „loser“ Form zum Zuge. Denn es soll vor allem darum gehen, die relevanten regionalen Akteur*innen zu erreichen und in untereinander abgestimmte Aktivitäten einzubinden. 

Auch Daniel Salewski, Erster Bevollmächtigter der IG Metall-Geschäftsstelle Detmold, sieht in dem Reallabor eine große Chance, die Kunststoffregion durch einen verstetigten Dialog der Betroffenen und durch koordiniertes überbetriebliches Handeln zukunftsfähig zu machen. „Am Stammtisch – der gut bekannten Welt von gestern – kennen die Akteur*innen die Regeln und wissen ganz gut wie es geht, sich gemeinsam Vorteile zu verschaffen. In der neuen Welt aber, mit den vielen gleichzeitigen Baustellen, der Vielzahl ineinandergreifender Themen und den geteilten Verantwortlichkeiten, wird das zunehmend schwierig. Da muss man vieles erklären – in den Betrieben und auf vielen anderen Handlungsebenen. Und dann muss man es auch machen! Klar ist: Vieles wird nur dann gehen, wenn man es über den Betrieb hinaus gemeinsam anpackt.“ 

Weitere Perspektiven

Bis heute fehlt in vielen Kunststoffunternehmen noch der akute Handlungsdruck: Die meisten von ihnen machen sich zwar Sorgen über ihre Zukunft, handeln aber zögerlich. Einige begründen das damit, dass ja bislang ein (weitreichendes, generelles) (EU-)Verbot von Kunststoff (noch) nicht im Raum steht. Deshalb war es aus Sicht der IG Metall und Sustain Consult dringend geboten, die Idee des Reallabors – trotz schwieriger Rahmenbedingungen – schon jetzt auf den Weg zu bringen, um gemeinsam in die Zukunft zu schauen und Lösungen vorzubereiten, die verhindern können, dass Kunststoffunternehmen aus der Region in eine bedrohliche Lage geraten könnten. 

Eine lange Themenliste, die es nach und nach abzuarbeiten gilt, liegt bereits vor. Ansätze für Lösungen für besonders drängende Transformationsthemen und insbesondere für die Herausforderungen im Bereich Umwelt- und Klimaschutz gibt es ebenfalls inzwischen zuhauf: Kreislaufwirtschaft, Produktion von Biokunststoffen, Kooperationen mit anderen Branchen – etwa im Bereich der Lichttechnik – oder mit wissenschaftlichen Einrichtungen zur Entwicklung neuer Geschäftsfelder, angepasster Prozesse oder auch von passgenauen Qualifizierungs- und Beschäftigungssicherungskonzepten. „Unter Betriebsräten und Gewerkschafter*innen in den Betrieben und Tarifkommissionen wird über all dies bereits heftig diskutiert“, betont Daniel Salewski und verweist auf eine Postkartenaktion der IG Metall in den Betrieben der Kunststoffindustrie. Nicht warten, bis ein Verbot für Kunststoffe aus Rohöl droht, das Arbeitsplätze gefährdet, lautet ihre Botschaft, sondern „gemeinsam unsere Zukunft gestalten und unsere Industrie erhalten“. 

Richtig angegangen kann so aus einer durch neue politische Vorgaben (insbesondere seitens der EU) unter Umständen bedrohlichen Situation für die Kunststoffindustrie ein industriepolitisches Förderprojekt für den Standort Deutschland werden. Dabei könnten die Unternehmen in der Region Lippe sogar die Nase vorn haben, denn nicht zuletzt durch ihre Vernetzung befinden sie sich bereits in einer deutlich besseren Ausgangslange als viele Unternehmen in anderen Ländern und Regionen. Wenn sie die gegebenen Chancen allerdings nicht rechtzeitig wahrnehmen und gemeinsam strategisch nutzen, wird der Weg in eine sozial-ökologisch nachhaltige und erfolgreiche Zukunft der Kunststoffindustrie sehr schwierig werden. Das Reallabor in der Kunststoffregion Lippe kommt daher gerade zur richtigen Zeit, um hierfür eine breite Plattform zu schaffen. 

Ansprechpersonen des Projekts

Projektleiter: Dr. Torsten Sundmacher
Projektbearbeitung: Thomas Gebauer
IG Metall Detmold: Daniel Salewski

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Förderlinie Transformation

Digitale Transformation, Klimawandel, Energiekosten - Es gibt viele Treiber von Transformationsprozessen. Folgen für die Arbeitswelt sind u.a. ein hoher Veränderungsdruck auf allen Seiten, in Betrieben, Branchen und Regionen. Im Zentrum der neuen Förderlinie Transformation steht daher: Wir entwickeln sehr konkrete Projekte gemeinsam mit Praxispartner*innen und etablieren eine schnelle Entscheidungsfindung über die Förderung. Wir bringen konkrete aktuelle Herausforderungen in der Praxis von Betriebs- und Personalräten mitbestimmter Unternehmen und Organisationen mit wissenschaftlicher Expertise zusammen – betrieblich, regional, lösungsorientiert.