Neue Ideen zur Mitbestimmung: Was darf in keinem Regierungsprogramm fehlen?
Wie kann der mitbestimmungspolitische Stillstand in Deutschland angesichts des starken Wandels in der Arbeitswelt überwunden werden? Um diese Frage zu beantworten, hat die Hans-Böckler-Stiftung alle vier Fraktionen des Deutschen Bundestages zu ihrem Neujahresempfang am 24. Januar in Berlin geladen. Sie wollte im Wahljahr 2017 von den politischen Parteien wissen: Was darf in keinem Regierungsprogramm zur Mitbestimmung fehlen?
Fünf Vorschläge zur Mitbestimmung im digitalen Kapitalismus
Reiner Hoffmann, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes, steckte zu Beginn mit seinen fünf Vorschlägen zur Mitbestimmung im digitalen Kapitalismus den Rahmen der Diskussion ab:
- In der Plattformökonomie sind Arbeitnehmer und Arbeitgeber nicht mehr eindeutig identifizierbar. Deshalb bedarf es eines weiter gefassten gesetzlichen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbegriffs, damit das System der Schutzrechte auch für Soloselbständige gilt.
- Die Unternehmensmitbestimmung muss auf Scheinauslandsgesellschaften erstreckt werden.
- Die nationalen Instanzen müssen nationale Formen der Unternehmensmitbestimmung respektieren.
- Der Beschäftigtendatenschutz muss die Beschäftigten schützen und nicht die Daten.
- Betriebsräte müssen frühzeitig in Digitalisierungsprozesse eingebunden werden, um effektive und nachhaltige betriebliche Lösungen zu entwickeln.
Insbesondere bei der Flucht vieler Unternehmen aus der Unternehmensmitbestimmung mittels rechtlicher Konstruktionen wünscht sich Hoffmann das Bekenntnis aller politischen Parteien, die Schlupflöcher zu schließen. „Es kann nicht angehen, dass Unternehmen wie C&A sich mit Hilfe von Auslandsgesellschaften so organisieren, dass 16.000 Beschäftigte um ihre Rechte auf Mitbestimmung im Aufsichtsrat gebracht werden“, sagte Hoffmann. Im Bereich der Plattformökonomie forderte der DGB-Chef die Einbeziehung Soloselbständiger in die sozialen Sicherungssysteme und die Beteiligung der Plattformanbieter an den sozialen Versicherungssystemen. Schließlich seien die Auftragnehmer auf Plattformen wie Uber oder Helpling de facto abhängig Beschäftigte. Nicht zuletzt deshalb müsse der Mindestlohn auch für Crowdworker gelten.
Schwellenwert für Aufsichtsratsgründung herabsetzen
Die Diskussion zeigte viele Punkte auf, die gesetzlich justiert bzw. verändert werden müssen. So setzt die SPD einen ihrer Schwerpunkte auf die Weiterentwicklung der paritätischen Unternehmensmitbestimmung. „Wir wollen den Schwellenwert für die Einführung der paritätischen Mitbestimmung von 2.000 auf 1.000 Beschäftigte senken“, sagt Katja Mast von der SPD-Bundestagsfraktion. Es gehe darum, Demokratie im Betrieb in der Breite zu organisieren.
Mehr Rechte für Betriebsräte
Mehr Mitbestimmungsrechte für Betriebsräte sieht Klaus Ernst, stellvertretender Vorsitzender der Bundestagsfraktion DIE LINKE, als Voraussetzung, um den Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträge in den Griff zu bekommen. Die Rechte der Beschäftigten würden bei diesen Vertragsformen oft auf der Strecke bleiben. „Betriebsräte benötigen hier ein Vetorecht.“
Trotz der unzweifelhaften Vorteile der Mitbestimmung seien Themen wie Aufsichtsrat- oder Betriebsratsgründung für Unternehmer und Unternehmerinnen häufig ein rotes Tuch, konstatierte Michael Kellner, Bundesgeschäftsführer von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Er betonte, dass Beschäftigte vor Repression von Unternehmensseite zu schützen seien. „Wir müssen Menschen schützen, die einen Betriebsrat gründen wollen und der Betriebsrat noch nicht im Wahlprozess ist.“ Ein weiteres wichtiges Thema für die Grünen: die Einführung von individuellen Arbeitszeitmodellen mit Hilfe von Betriebsräten.
Dafür und auch für viele andere Themen benötigen Betriebsräte mehr Mitbestimmungsrechte, sagte Hoffmann. Außerdem sollten Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen Mitbestimmung unterstützen, weil sie ihnen zu Gute kommt. „Mit der Digitalisierung sinkt die Halbzeitwert von Qualifikation und Kompetenzen deutlich. Deshalb sind die Anstrengungen in diesem Bereich umso wichtiger. Dafür brauchen die Betriebsräte effektive Mitbestimmungsrechte, um das Thema Qualifikation verbindlich zu regeln“, so der DGB-Vorsitzende.
Für deutsches Modell der Mitbestimmung in Europa werben
Die europäische Dimension der deutschen Mitbestimmung hob Peter Weiß, Leiter der Arbeitnehmergruppe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, hervor. Nicht nur in Deutschland, auch in Europa, müsse Überzeugungsarbeit für die Mitbestimmung geleistet werden. Dies könne am Ende helfen, auch hierzulande Widerstände zu überwinden. „Die Europäer müssen langsam verstehen, dass die deutsche Spielart der Mitbestimmung als Bestandteil der sozialen Marktwirtschaft ein erfolgreiches Wirtschaftsmodell ist. Deshalb besteht für uns alle eine große Aufgabe darin, unsere europäischen Partnerparteien und Partnerorganisationen für das deutsche Mitbestimmungsmodell zu begeistern.“
Einigkeit herrschte darüber, dass Mitbestimmung Teil des künftigen Regierungsprogramms sein muss, um Mitbestimmungsrechte im digitalen Zeitalter zu schützen und weiterzuentwickeln. Als positiver Rückenwind dafür war an diesem Abend vor Ort spürbar, dass die EU-Kommission bei der Anhörung vor dem EuGH im Fall der Klage eines TUI-Kleinaktionärs nur Stunden zuvor festgestellt hatte, dass die deutschen Regeln der Unternehmensmitbestimmung besonders schützenswert sind. Begründung: Die deutsche Unternehmensmitbestimmung unterstützt die sozialen Ziele der Europäischen Union.
Video von der Veranstaltung: