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Veranstaltungsbericht

Arbeit und Gesellschaft 4.0: Mitbestimmen, Mitgestalten!

Zwei Tage lang diskutierten 300 Gewerkschafter und Experten über die Zukunft von Arbeit und Gesellschaft. Die Hans-Böckler-Stiftung und die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft hatten gemeinsam zum Digitalisierungskongress nach Berlin eingeladen. Im Mittelpunkt stand die Frage:„Algorithmus oder Mensch. Wer bestimmt?“.

Interessen bestimmen die Richtung

Algorithmen sind Anleitungen für Computer, mit denen ein Problem gelöst werden kann. Sie werden von Menschen programmiert. Die Frage ist: Wer bestimmt nach welchen Vorgaben den Algorithmus? Auch über den Einsatz und die Strukturen von (digitaler) Technik entscheiden Menschen. Die Frage ist: Wer entwickelt diese Technik nach welchen Kriterien und entscheidet wann über deren Einsatz? Das bedeutet: weder der Algorithmus noch die Technik sind neutral. Programmierung und Einsatz werden von Interessen gesteuert. Die Frage ist: Welche Interessen setzen sich durch?

Daten dürfen kein Herrschaftsinstrument werden

Die Antwort ist keineswegs ausgemacht. Die digitale Zukunft ist noch ungewiss. Aber die Digitalisierung der Arbeitswelt ist schon heute allgegenwärtig. Das wird deutlich, als einige Betriebs- und Personalräte zu Beginn der Tagung kurze Einblicke in ihren betrieblichen Alltag geben: In der Logistik- oder Energiewirtschaft, im Gesundheitswesen oder in der öffentlichen Verwaltung – in vielen Bereichen spüren die Beschäftigten ganz unmittelbar die Wirkungen digitaler Arbeits- und Leistungskontrolle. Aber „nicht die Digitalisierung selbst ist das Problem, sondern was wir daraus machen“, sagt Frank Bsirske, Vorsitzender der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und warnt: „Daten drohen zum neuen Herrschaftsinstrument zu werden, wenn wir die Digitalisierung nicht aktiv mitgestalten.“ „Big Data“, findet der Physiker und Software-Entwickler Andreas Dewes, berge große Potenziale zur Verbesserung von Arbeitsbedingungen. Notwendig sei allerdings eine gesellschaftliche Steuerung, die nicht allein der ökonomischen Logik das Feld überlasse. Dewes fordert: „Wir brauchen eine Ethik für Algorithmen“.

Bsirske

Irrwege der Plattformökonomie

Dass Gestaltung dringend notwendig ist, zeigt ein Blick auf die wachsende Zahl digitaler Vermittlungsplattformen. Viele Dienstleistungsanbieter selbst erkennen darin einen Zugewinn von Freiheit und Selbstbestimmung. Aber die haben ihren Preis: so banal das ökonomische Grundprinzip der Plattformökonomie ist, so radikal wendet sie sich von grundlegenden sozialen und arbeitsrechtlichen Sicherungsstandards ab: entgrenzte und entsicherte Arbeit schafft neue Abhängigkeiten und Unsicherheiten. Als digitaler Unternehmer steht Benedikt Franke, Gründer der Vermittlungsplattform helpling.de, in der lebhaften Diskussion zwar „seinen Mann“ und verweist auf die Mündigkeit und Selbstbestimmung derer, die ihre Dienste anbieten. Jeder müsse die Möglichkeit zur Teilhabe an sozialer Absicherung haben, bekennt Franke, und zwar unabhängig von der konkreten Beschäftigungsform. Eine eigene unternehmerische Verantwortung erkennt er indessen nicht und sieht sich dafür auch nicht zuständig. Wer seine Dienstleistungen auf der Plattform anbiete, sei kein Mitarbeiter, sondern ein Kunde.

Rote Linien und Schutzrechte für digitale Arbeit

Prof. Sabine Pfeiffer, Soziologin an der Universität Hohenheim, sieht hier den Gesetzgeber in der Pflicht: „Wir brauchen Mechanismen, die auch dort greifen, wo es keine Betriebsräte und keine Tarifverträge gibt.“ Notwendig seien gesetzlich eingebaute „rote Linien“, die sicherstellen, dass niemand unter gewisse Mindeststandards rutscht. Wenn zentrale Schutzrechte in digitalen Arbeitsverhältnissen aufgegeben werden, dann drohe eine gesellschaftliche Destabilisierung, warnt Prof. Kerstin Jürgens, Vorsitzende der von der Hans-Böckler-Stiftung initiierten Expertenkommission „Arbeit der Zukunft“. Dabei sei die Lösung nicht wirklich kompliziert, weil es im Grunde darum gehe, die bewährten Regeln des Arbeitsrechts auf die neuen Formen der Arbeit zu übertragen.

Diskussionsrunde mit Benedikt Franke

Unsicherheiten und mangelnde Mitbestimmung

In insgesamt zehn Workshops nutzen die Teilnehmer intensiv die Gelegenheit, sich über aktuelle Entwicklungen und Gestaltungsanforderungen im betrieblichen Alltag auszutauschen. Ob mobile Arbeit oder Crowdworking, betriebliche Vereinbarungen oder Weiterbildung – die Wucht der Digitalisierung wird in diesen Arbeitseinheiten greifbar, die Unwuchten der gegenwärtigen Mitbestimmungsmöglichkeiten auch. Offen werden Unsicherheiten benannt, mitunter auch Hilflosigkeit angesichts fehlender Einflusschancen.

Steuern und Gegensteuern

Immer wieder münden die lebhaften Diskussionen der beiden Veranstaltungstage in eine zentrale Forderung – die Gewinnung oder Rückgewinnung von Steuerungs- und Gestaltungsmöglichkeiten. Auch für die Staatssekretärin im Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), Yasmin Fahimi, geht es darum, die Kontrolle über den Digitalisierungsprozess in Wirtschaft, Arbeitswelt und Gesellschaft zu behalten. Ihr Vortrag fokussiert auf den vom BMAS angestrebten „Flexibiltätskompromiss“, der neue Sicherheiten mit mehr Flexibilität für Betriebe und Beschäftigte zusammenbringen soll. In der Arbeitszeitgestaltung, so Fahimi, sei in den vergangenen 20 Jahren einiges weggerutscht. Den Preis für „mehr Flexibilität“ hätten vor allem die Beschäftigten bezahlt. Gegensteuern, eine Korrektur hin zu mehr Selbstbestimmung und einer stärkeren Berücksichtigung von Bedürfnissen der Arbeitnehmer sei dringend geboten. Das sei nur im Zusammenwirken von gesetzlichen, tariflichen und betrieblichen Regelungen möglich.

Die Machtverhältnisse neu justieren

Am Ende der Konferenz bringt Michael Guggemos, Sprecher der Geschäftsführung der Hans-Böckler-Stiftung, die Dimension der Diskussionen auf den Punkt: „Wir brauchen eine Debatte über die Neujustierung der Machtverhältnisse im digitalen Kapitalismus“. Dazu gehöre auch und vor allem, die Mitbestimmungsrechte den Herausforderungen des digitalen Umbruchs anzupassen und sie dort anzusetzen, wo heute über die Regeln und den Einsatz digitaler Technologien entschieden werde.

Logo Digitalisierungskongress 2016

Arbeit und Gesellschaft 4.0: Mitbestimmen, Mitgestalten!

Digitalisierungskongress

In Kooperation mit ver.di

Berlin, 17.-18.10.2016

Ansprechpartnerin: Eva Ahlene

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